Von Sven Siebert, Berlin
Sogar der Beauftragte für den Aufbau Ost stand auf der Abhörliste des US-Geheimdienstes NSA. Johannes Ludewigs Telefonnummer im Bonner Kanzleramt ist der älteste „Selektor“ auf einem Dokument, das die Enthüllungsplattform Wikileaks, unterstützt von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR, jetzt veröffentlichte.
Die Dokumente belegten, so die „Süddeutsche“, dass die Regierungszentrale spätestens seit Beginn der 90er-Jahre „systematisch von den Amerikanern belauscht wurde“. Vor zwei Jahren hatte der „Spiegel“ unter Berufung auf Snowden-Dokumente berichtet, dass Angela Merkels CDU- und Kanzlerinnen-Handy abgehört worden war. Nun präsentiert Wikileaks eine Liste von 56 Telefonanschlüssen aus der Umgebung von Helmut Kohl (CDU), Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel: Kanzleramtschefs, Büroleiter, Spitzenbeamte.
Das Ganze ist für Merkel keine angenehme Situation. Einerseits hat die Kanzlerin nach den Berichten über das Überwachen ihres Telefons erklärt: „Abhören unter Freunden geht gar nicht“. Und damals hatte US-Präsident Barack Obama versprochen, so etwas werde es nicht mehr geben. Andererseits will Merkel ganz offensichtlich weitere Trübungen des deutsch-amerikanischen Verhältnisses vermeiden. Ihr Sprecher teilt auf Fragen bezüglich der jüngsten Wikileaks-Enthüllungen nur noch mit: „Zu nachrichtendienstlichen Angelegenheiten äußert sich die Bundesregierung nur gegenüber den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages.“
Wirklich überraschend sind die neuesten Veröffentlichungen auch nicht. Deutsche Sicherheitsbehörden hatten nach einem Bericht der „Zeit“ bereits seit 2001 den Verdacht, dass amerikanische und britische Geheimdienste die Kommunikation im Berliner Regierungsviertel ausspähen. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sagte der Wochenzeitung: „Wir haben nicht weggeschaut. Seit 1998 hat unser Amt Bundesregierung und Parlament wiederholt vor Ausspähungen durch Botschaften im Regierungsviertel gewarnt.“
Und dann ist da noch die Zusammenarbeit des deutschen Auslandsdienstes BND mit der NSA. Möglicherweise unfreiwillig hat der BND die NSA wohl auch bei der Ausspähung europäischer Ziele unterstützt. Das ist nicht schön, illegal ist es aber auch nicht. Und jedenfalls in der Vergangenheit hat ohnehin jeder jeden ausgespäht – Feind oder Freund.