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Ist Architektur Geschmackssache?

In einer Masterarbeit weist Lydia Döring nach, wie wichtig Information und Diskussion zu Bauthemen sind.

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© Steffen Füssel

Von Bettina Klemm

Besonders leidenschaftlich streiten die Dresdner über Bauprojekte in ihrer Stadt. Das war beim Zwinger und der Yenidze nicht anders als in heutiger Zeit beim Postplatz oder dem Neumarkt. Ist das alles eine Frage des Geschmacks? Dem ging Lydia Döring in ihrer Masterarbeit im Studiengang Angewandte Medienforschung an der TU Dresden nach.

Dresden schmückt sich gern mit den Bezeichnungen „Elbflorenz“ und „Stadt von europäischem Rang“, auch wenn davon nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und den Bauten zu DDR-Zeiten nur wenig übrig geblieben ist. „Die Stadtplanung ist gespalten zwischen Musealisierung der Stadt und Wunsch nach Integration zeitgenössischer Bauten“, schätzt Döring ein. Geprägt werden die beiden Richtungen von Traditionalisten und Modernisten von den Vereinen Gesellschaft historischer Neumarkt und Zeitgenossen.

These 1: Dresdner finden Gefallen an zeitgenössischer Architektur.

Für ihre Arbeit wertete Döring hauptsächlich Ergebnisse von sieben Umfragen zwischen 1996 und 2013 mit jeweils mehreren Hundert Befragten aus. Diese wurden hauptsächlich am Institut für Kommunikationswissenschaft von Professor Wolfgang Donsbach durchgeführt. Etwa 60 Prozent der Befragten gefielen das Karstadt-Gebäude an der Prager Straße und das Militärhistorische Museum. Die Zustimmung für das World Trade Center und für das St-Benno-Gymnasium lag jeweils bei 41 Prozent. Fast ein Drittel fand das Gymnasium nicht gelungen. Die meiste Ablehnung gab es dabei nicht zur Architektur, sondern zur kräftigen blauen Farbe am Gebäude. Grundsätzlich kommt Döring zu dem Ergebnis, dass die Dresdner Gefallen an der zeitgenössischen Architektur finden. Moderne Architektur werde nicht im Stadtbild zugunsten historischer Bauten vernachlässigt.

These 2: Skepsis gegenüber Plänen für moderne Architektur

„Dennoch sind die Dresdner grundsätzlich skeptisch gegenüber der städtischen Bauplanung, die zeitgenössische Konzeptionen vorsehen“, sagt Döring. Mit deutlicher Mehrheit lehnten die Befragten den Neubau eines Gewandhauses mit moderner Architektur am Neumarkt ab. Sie stimmten für den Erhalt und die Sanierung des Kulturpalastes, er sei ein Zeitzeuge. Neubauten nach der Wende hätten den Charakter Dresdens stark verändert, fand mehr als die Hälfte der Befragten. Nur sechs Prozent schätzten ein, dass der Eindruck so gut wie nicht verändert wurde.

These 3: Je höher die Bildung, desto aufgeschlossener sind die Dresdner.

Mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe können Geschmacksurteile bekräftigt werden. „Wenn ein Befragter über ein hohes Bildungsniveau verfügt, dann ist dessen Offenheit für zeitgenössische Architektur wahrscheinlich“, hat Döring herausgefunden. Hinsichtlich des Alters und der Höhe des Einkommens gäbe es jedoch keine signifikanten Unterschiede. Deutlich wurde aber, Männer lassen sich eher zu der Gruppe der Modernen rechnen. Bei den Traditionalisten ist so ein eindeutiger Geschlechterunterschied nicht zu erkennen.

These 4: Kulturinteresse fördert Offenheit für moderne Architektur.

Wer kulturell sehr interessiert ist, ist auch der zeitgenössischen Architektur gegenüber aufgeschlossener. So präferieren die Modernen stärker Kultur- und Informationssender, während die Gruppe der Traditionellen Unterhaltungsprogramme liebt, so das Studienergebnis. Die Vertreter beider Richtungen nannten die Sächsische Zeitung als meistgelesene Tageszeitung. Bei den Traditionellen spielte die Bild-Zeitung eine wichtige Rolle. Die Modernen gaben an, eher keine Tageszeitung zu lesen. Womöglich nutzen sie eher das Internet.

These 4: Geschmack lässt sich entwickeln.

Die beliebtesten Informationsquellen der Dresdner seien Gespräche in der Familie und im Freundeskreis, gefolgt von regionalen Zeitungen. Lange Zeit hatte sich in der Öffentlichkeit eher die Gesellschaft historischer Neumarkt Dresden Gehör verschafft. Sie vertritt grundsätzlich traditionelle Ansichten. „Wir sind aber nicht gegen zeitgenössische Architektur, auch nicht am Neumarkt. Sie muss nur zum Umfeld passen“, sagt Vorstand Torsten Kulke.

Der Verein Zeitgenossen wird zunehmend stärker öffentlich wahrgenommen. „Wir plädieren dafür, den hohen Anspruch an das Bauen in Dresden beizubehalten und das Erbe mit den schöpferischen Mitteln unserer Zeit fortzuschreiben“, erklärt Architekt Alexander Pötzsch.

Durch umfangreiche Informationen über die Bauprojekte lasse sich das Urteil der Dresdner beeinflussen. Pötzsch setzt sich dafür ein, dass die Stadt künftig stärker auf den Sachverstand der Fachleute vertrauen soll.