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Ist sie eine gefährliche Frau?

Rita Kunert organisiert seit Jahren Demos gegen Pegida – und hat nun von der Dresdner Versammlungsbehörde ein Bußgeld erhalten.

Von Alexander Schneider
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Die von Rita Kunert organisierte Demo gegen Pegida am 1. Oktober 2018 in Dresden.
Die von Rita Kunert organisierte Demo gegen Pegida am 1. Oktober 2018 in Dresden. © SZ/Alexander Schneider

Über mangelnde Unterstützung kann sich Rita Kunert nicht beklagten. 40 Männer und Frauen haben sie am Freitag ins Amtsgericht Dresden begleitet – das waren mehr Menschen, als an manchen Montagen mit der Initiative „Nationalismus raus aus den Köpfen“ gegen die aus ihrer Sicht unerträglichen Pegida-Demos auf die Straße gehen. Rita Kunert führt die Initiative an und aufgrund ihrer Bekanntheit bekam sie wohl auch ein Knöllchen.

Am 1. Oktober vergangenen Jahres, so der Vorwurf, habe Rita Kunert, die Anordnung der Versammlungsbehörde missachtet und sei nicht rechtzeitig zu dem vom Amt vorgegebenen Ausweichplatz gegangen. Knapp 100 Teilnehmer der Gegendemo waren an jenem Montagabend vom Neumarkt Richtung Hauptbahnhof unterwegs. Dort hatte die Pegida-Demo stattgefunden.

In der Prager Straße jedoch hatten sich die Teilnehmer gegen 19 Uhr zu einer Zwischenkundgebung entschieden. Es gab Gespräche mit Polizei und Versammlungsbehörde, bei denen dann entschieden wurde, dass die Gegendemonstranten ihre Kundgebung in einer Seitengasse abhalten sollten. Der Grund: Die Prager Straße war die an jenem Abend vorgesehene Pegida-Route. 

Es gab in einem überschaubaren Ausmaß ein kleines Getümmel, manche setzten sich als spontane Sitzblockade auf das Pflaster. Der Aufforderung, die Straße freizugeben, kamen die Teilnehmer nur sehr langsam nach, sodass sie von Polizeibeamten weggetragen wurden. Es sei auch teilweise ruppig geschubst worden, klagen manche bis heute. Eine Woche später suchte die Polizei mit Fotos nach mutmaßlichen Störern, darunter auch Rita Kunert, die als langjährige Anmelderin der „Nationalismus raus aus den Köpfen“-Demos bestens bekannt war. Viel Aufwand für ein paar Knöllchen.

130-Euro-Knöllchen und Strafanzeige

Im März dann erhielt Kunert ihren Bußgeldbescheid. 130 Euro veranschlagte die Dresdner Verwaltungsbehörde für ihre mutmaßlich zur Schau gestellte Renitenz. Neben der 58-jährigen Angeschuldigten seien vier weitere Teilnehmer der fraglichen Demo ebenfalls mit Knöllchen aus dem Ordnungsamt bedacht worden, berichteten Zuschauer der Prozesses vor dem Amtsgericht. Doch nicht jeder habe wie Rita Kunert Einspruch dagegen eingelegt. Benjamin H. als Leiter der Versammlung hatte sogar eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz erhalten. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft Dresden das Verfahren wegen Geringfügigkeit längst eingestellt.

Für den Prozess wechselte Richter Jochen Meißner extra den Gerichtssaal, Wachtmeister schleppten noch weitere Stühle herbei. Alle 37 Plätze waren besetzt, weitere Anhänger der Angeschuldigten mussten vor dem Saal auf das Ergebnis warten. Drinnen berichtete unterdessen die Angeschuldigte, wie sich die Demo aus ihrer Sicht zugetragen hatte. 

Sie wurde von ihrem Anwalt Johannes Lichdi unterstützt, den man als erfahren im Umgang mit dem Sächsischen Versammlungsgesetz bezeichnen darf. Als langjähriger Landtagsabgeordneter der Grünen, der er bis 2014 war, hatte er wohl auch daran mitgewirkt. Seine Mandantin sagte, dass sie seit Jahren Gegendemos veranstaltet und Anmelderin sei. An jenem Tag sei Benjamin H. Versammlungsleiter gewesen. Sie sei mehr oder weniger eine normale Teilnehmerin gewesen, sagte die 58-Jährige. Es habe keine Konfrontation gegeben, als die Menschen die Straße verlassen sollten. Die meisten seien jedoch nicht auf den zugewiesen Platz in der Seitenstraße gegangen, sondern hätten sich an die Seite der Prager Straße gestellt. 

„Ich habe darauf geachtet, dass sie das in Ruhe tun“, sagte Kunert. Sie sei als letzte von der Prager Straße und nannte als Grund ihre Verantwortung gegenüber den Teilnehmern. Es habe nicht lange gedauert, da sei auch sie von hinten von Polizeibeamten geschubst worden. Sie habe sich dort noch mit einer Frau unterhalten, die an der Hand verletzt worden sei, als sie von Polizisten auf die Seite getragen wurde. „Ich bin dann wieder hin in die erste Reihe und habe darauf geachtet, dass es keine Konflikte mit Pegida gibt“, sagte Kunert.

Prozess wird fortgesetzt

Die Videobilder, die die Prozessbeteiligten nun am Richtertisch ansahen, schienen die Angaben Kunerts zu belegen. „Meine Mandantin hat sich nicht hingesetzt oder irgendwelche Widerstandshandlungen begangen“, sagte Lichdi. „Der Tatvorwurf ist widerlegt.“ Darüber hinaus scheint es einige Mängel in dem Verfahren zu geben. Ein Polizeibeamter, der von der Verwaltungsbehörde als Zeuge genannt wurde, habe an jenem Tag nichts mit der Angeschuldigten zu tun gehabt. Sie habe sich auch nicht Polizeibeamten widersetzt. 

Rita Kunert organisiere seit Jahren die Gegendemos, nie sei etwas passiert. Lichdi: „Die Polizei ist glücklich, wenn Rita Kunert und Benjamin H. vor Ort sind.“ Darüber hinaus sei das Agieren der Verwaltungsbehörde gegenüber seiner Mandantin unverhältnismäßig gewesen, denn die Pegida-Demo sei erst gegen 20 Uhr, also eine halbe Stunde später, dort vorbeigekommen. Kurz: Eigentlich gibt es keinen erkennbaren Grund, der das Knöllchen für seine Mandantin rechtfertige.

Anschließend vernahm Richter Meißner den Versammlungsleiter H. als ersten Zeugen. Benjamin H. berichtete, dass er die ganze Zeit mit Polizei und Versammlungsbehörde verhandelt und die Ergebnisse den Teilnehmern mitgeteilt habe. Er habe die ganze Zeit am Rande der Demo gestanden, wo sich Rita Kunert aufgehalten habe, könne er nicht sagen. Der Polizist bestätigte, dass er mit der Angeschuldigten nichts zu tun gehabt habe.

Nun war die Sache für Meißner entscheidungsreif. Offenbar plante er, das Bußgeldverfahren einzustellen, denn er wollte auf die Feststellung der persönlichen Verhältnisse Kunerts verzichten. Doch nun meldete sich überraschend die Vertreterin der Verwaltungsbehörde zu Wort und forderte, das Video anzusehen. Es belege, wie oft die Polizei per Durchsage dazu aufgefordert habe, die Straße freizugeben, sagte sie. Als jedoch auch das Video den Richter offensichtlich nicht umgestimmt hatte, forderte die Behördenvertreterin, den an diesem Freitag verhinderten Mitarbeiter der Versammlungsbehörde als Zeugen zum Verhalten der Angeschuldigten zu vernehmen. 

Auch diesem Wunsch kam der Richter nach, ohne eine Miene zu verziehen. Der Prozess muss fortgesetzt werden. Richter Meißner zückte seinen Kalender und vertagte die Verhandlung auf kommenden Freitag, 9 Uhr. Die Wachtmeister werden den Saal wohl wieder aufstuhlen müssen.