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Jenseits von Afrika und Niesky

Stadthistoriker und Togo-Experte Peter Sebald ist tot. Niesky verliert einen aufgeschlossenen und streitbaren Mitmenschen.

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© Rolf Ullmann

Von Steffen Gerhardt

Niesky. Am Montag verließen Dr. Peter Sebald seine letzten Lebenskräfte. Nach schwerer Krankheit starb der 83-Jährige in einem Berliner Krankenhaus. Das teilte seine Familie noch am Montagabend mit. Nicht nur für die Familie ist sein Ableben ein Verlust, auch für die Stadt Niesky. Denn mit ihr war Peter Sebald auf Lebenszeit verwurzelt, hier wurde er am 15. Mai 1934 geboren. Seine Kindheit war geprägt von den Kriegsereignissen bis hin zur Zerstörung seiner Heimatstadt 1945. Diese Historie arbeitete er in verschiedenen Beiträgen und Publikationen auf und war damit auch ein gern gelesener Autor in der Nieskyer Lokalausgabe der Sächsischen Zeitung.

Doch nicht nur die Kriegsjahre sind für Peter Sebald von Interesse gewesen, sondern die gesamte Nieskyer Geschichte. Nach aufwendigen Recherchen in den Archiven der Stadt und der Brüdergemeine sowie unter Einbeziehung weiterer Quellen gab Peter Sebald zum 250. Stadtjubiläum im Jahr 1992 eine fundierte Stadtchronik heraus. Sie umfasst die Jahre unter der Verwaltung der Herrnhuter Brüdergemeine. Von der Ortsgründung 1742 bis ins Jahr 1892. Wolfgang Rückert, damals Oberbürgermeister von Niesky, erinnert sich: „Mit der Herausgabe der Chronik hat sich Dr. Sebald große Verdienste über Niesky hinaus erworben. Er interessierte sich nicht nur für die Geschichte der Stadt, sondern auch für ihre Gegenwart und die Kommunalpolitik. In meiner Amtszeit lernte ich ihn als einen konstruktiven und streitbaren Menschen kennen und schätzen.“

Oberbürgermeisterin Beate Hoffmann, zählt Peter Sebald zu den Persönlichkeiten der Stadt Niesky. „Auf historischem Gebiet hat er eine wertvolle Arbeit geleistet, die auch für nachfolgende Nieskyer Generationen von Bedeutung sein wird.“

Peter Sebald mischte sich oft in das Stadtgeschehen ein. Auch als es 1996 um neue Straßennamen für Niesky ging. Sein Vorschlag, im Waggonbaugelände eine Straße „C & U“– nach Christoph & Unmack – zu benennen, fand aber nicht die Mehrheit der Räte. Der Nieskyer nahm auch nicht alles hin. Wie im Jahr 2002, als der Landkreis flächendeckend die Blaue Tonne für Altpapier einführte. „Nicht mit mir!“ schrieb er auf ein Pappschild, hängte es sich um und marschierte samt Blauer Tonne ins Nieskyer Landratsamt. Dort ließ er sich die Rückgabe bescheinigen.

Seine Leidenschaft galt nicht nur der Heimatstadt, sondern auch dem afrikanischen Land Togo. Nachdem Sebald in Leipzig zum Geschichtswissenschaftler promoviert hatte, widmete er sich ab 1956 der Geschichte Togos unter deutscher Kolonialherrschaft. Der „große Weiße“ war in dem Land angesehen und anerkannt. Er leitete dort mehrere Jahre das „Haus der Freundschaft“ in Sansibar. Von dort kehrte er Ende der 1970er Jahre nach Berlin zurück, um als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften zu arbeiten. Von 1990 bis 2010 forschte Dr. Sebald im Nationalarchiv Togos in Lomé. Er reiste dafür jährlich für drei Monate in die Hauptstadt. Das war nicht immer ungefährlich. Bürgerkriege und andere Unruhen erschütterten auch Lomé. „Der beste Schutz ist, sich ins Bett zu legen, einen Kasten Bier darunter zu stellen und abzuwarten, bis das Geknalle vorbei ist“, sagte Peter Sebald nach einem unruhigen Aufenthalt in Togo.

Trotz seiner wissenschaftlichen Arbeit, seinen Forschungen und Publikationen über die „deutsche Musterkolonie“ verlor er nie Niesky aus dem Blick. Mit dem Stadtmuseum verband ihn eine enge Zusammenarbeit. Das bekräftigt Leiterin Eva-Maria Bergmann: „Dem Historiker Dr. Peter Sebald verdanken wir eine exakt recherchierte Darstellung der Stadtgeschichte von Niesky. Sein erster Band sowie seine zahlreichen Aufsätze und Publikationen sind für die Museumsmitarbeiter ein unabkömmliches Nachschlagwerk bei Ausstellungsvorbereitungen und geschichtlichen Nachforschungen. Für mich war er immer ein aufgeschlossener Ansprechpartner und Berater, an den ich mich jederzeit mit meinen Fragen wenden konnte.“

Gern hätte es Peter Sebald gesehen, dass sein zweiter Band der Nieskyer Chronik noch erschienen wäre. Darin handelt er die Jahre der kommunalen Selbstverwaltung 1893 bis zum 250. Gründungsjahr 1992 ab. Aber seine Krankheit schritt schneller fort als die Arbeit an der Chronik. Ab 2014 reichte auch die häusliche Pflege durch seine Nichte Cornelia Tutzer nicht mehr aus. Peter Sebald kam in ein Pflegeheim nach Berlin. In die Stadt, in der seine Frau lebt. Cornelia Tutzer sieht in dem Tod eine Erlösung für ihren Onkel: „Er hatte die letzten Jahre sehr abgebaut und das Leben war für ihn nur noch eine Qual“, sagt die gelernte Pflegerin der Diakonie.

Ob die Chronik von Niesky fortgeschrieben wird, liegt jetzt in den Händen seines Neffen. Es ist Peter Sebalds hinterlassener Wunsch, dass Kai Kranich, der ebenfalls Geschichtswissenschaften studierte, diese Arbeit fortsetzen soll. Wie Kai Kranich sagt, habe er das ganze Material erst vergangenes Jahr bekommen, als sich zeigte, dass sein Onkel nichts mehr schreiben wird. „Meine Aufgabe ist es nun, alles zu sichten und Fehlendes zusammenzutragen. Das eigentliche Problem ist aber, dass die Chronik im Kopf meines Onkels ist und er mir davon nichts mehr erzählen beziehungsweise aufschreiben kann.“

Die Trauerfeier für Peter Sebald findet am kommenden Montag, 13 Uhr, in der Kirche am Zinzendorfplatz statt.