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Der 13. Februar: "Mein Kampftag für den Frieden"

75 Jahre SZ: Die Berichterstattung des SED-Organs spiegelte wider, wie das offizielle Gedenken der DDR die Bombenkatastrophe politisch benutzte.

Von Oliver Reinhard
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Deutliche Worte: sie Titelseite der Sächsischen Zeitung zum 20. Jahrestag der Bombardierung.
Deutliche Worte: sie Titelseite der Sächsischen Zeitung zum 20. Jahrestag der Bombardierung. ©  SZ-Archiv

Die Bombenangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 blieben in der DDR bis zu deren Ende ein wichtiges politisches und damit mediales Thema. Kein anderes Schicksal einer deutschen Stadt im Zweiten Weltkrieg wurde derart regelmäßig und ähnlich intensiv herbeigezogen als Bezugspunkt für die Formulierung ideologischer Botschaften. Und kaum eine Quelle illustriert das so plastisch wie die Sächsische Zeitung, das ehemalige Bezirksorgan der SED. Darin zeigt sich auch: Die von der NS-Propaganda noch 1945 in die Welt gesetzte Generalerzählung vom „sinnlosen“ Terror-Angriff auf eine „wehrlose“ und „unschuldige“ Kunst- und Kulturstadt samt der brutalen Ermordung unzähliger Frauen, Kinder und Greise wurde lange Zeit nahezu bruchlos übernommen und weitergepflegt. Schließlich war der heiße Krieg in den kalten übergegangen und der Haupt-„Feind“ im Westen derselbe geblieben: die USA und deren Verbündete.

"Wehrlose Dresdner bestialisch ermordet"

So hieß es am 11. Februar 1950 zur Vorbereitung auf den fünften Jahrestag der Katastrophe in der SZ: „Mit der gleichen verbrecherischen Brutalität, mit der anglo-amerikanische Luftstreitkräfte im Auftrag des Monopolkapitals in der Nacht vom 13./14. Februar 1945 Zehntausende wehrloser Dresdner bestialisch ermordeten, wollen die Kriegsbrandstifter … diesmal mit Atom- und Wasserstoffbomben Städte in Schutt und Asche legen, in denen heute zukunftsfrohe Menschen wohnen.“ So bedeutend war die Dresden-Erzählung, dass sich regelmäßig höchste Würdenträger dazu äußerten.

Am 13. Februar 1950 etwa druckte die SZ einen Brief von Wilhelm Pieck ab: „Ginge es nach den Plänen der Imperialistischen Reaktion, würde ganz Deutschland das angetan werden, was Dresden vor fünf Jahren erlebte: Ganz Deutschland würde eine einzige Trümmerstätte, Millionen Menschen würden vernichtet.“ Tags drauf berichtete die Zeitung dann über die erste organisierte und inhaltlich klar ausgerichtete Großkundgebung in der Stadt von „100.000 Werktätigen“ im Gedenken an den „anglo-amerikanischen Terrorangriff“. Der Redner Alexander Abusch bemühte als Kontrast dazu den angeblich ungleich menschlicheren Kampf der Sowjetarmee, die „darin ihren humanistischen, sozialistischen Charakter offenbarte“.

Am 13. Februar 1950 begann mit Staatspräsident Wilhelm Pieck eine Tradition, die bis zum Ende der DDR anhielt: Zu den "runden" Jahrestagen der Luftangriffe kamen stets höchste SED-Würdenträger.
Am 13. Februar 1950 begann mit Staatspräsident Wilhelm Pieck eine Tradition, die bis zum Ende der DDR anhielt: Zu den "runden" Jahrestagen der Luftangriffe kamen stets höchste SED-Würdenträger. ©  SZ-Archiv

Die offizielle Opferzahl bis 1990: 35.000 Bomben-Tote

Doch ganz so linear und gleichtönend blieben die Botschaften nicht. Immer wieder wurde auf die Veränderungen der weltpolitischen Großwetterlage ebenso reagiert wie auf die Fortschritte des „sozialistischen Wiederaufbaus“ der Stadt. So schrieb zum 10. Jahrestag der Bombardements Dresdens Oberbürgermeister Walter Weidauer 1955 in der SZ: „Das vor zehn Jahren fast unmöglich erscheinende ist Wirklichkeit geworden: Dresden hat den Tod besiegt. Es lebt, arbeitet und kämpft für ein glückliches Leben in Freiheit.“ Auch die Solidaritätsadressen von Städten im Westen, wo „Dresden“ ebenfalls als Mahnung für den Frieden verstanden wurde, griff man auf und lobte die „gemeinsame Friedensarbeit“ mit Orten wie Coventry, Stuttgart oder Offenbach.

Zugleich etablierte Weidauer die seither bis zum Ende der DDR durchweg gültige offizielle Totenzahl der Luftangriffe von 35.000. Trotz versöhnlicher Töne dominierte antiwestliche Propaganda. Auf einer von mehreren Sonderseiten zum 10. Jahrestag deutete ein anonymer Autor: Dass es Dresden getroffen hätte, „ergibt sich aus der Mentalität der amerikanischen Finanzmagnaten … Sie vernichteten die Kunststadt Dresden, um unsere Kultur einzuebnen und unser Nationalbewusstsein zu untergraben.“ Tatsächlich war nicht die Kultur das Ziel der alliierten Terror-Angriffe auf Zivilisten, vielmehr die Moral der Deutschen, deren Hitler-Treue und Durchhaltewille.

Drohte ein Blitzkrieg gegen die DDR?

Am 13. Februar 1960 druckte die Sächsische Zeitung auf der Titelseite den Aufruf: „Heraus zur Großkundgebung heute um 13 Uhr auf dem Altmarkt“ samt dem „Appell der Bevölkerung Dresdens an die friedliebenden Menschen der Welt“: „Nicht zum dritten Male darf es den westdeutschen Militaristen gelingen, das Leben von vielen Millionen Menschen zu vernichten“. Dass das Herz des deutschen Militarismus in den Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkriegs traditionell im alten Preußen verortet wurde und damit auf dem nachmaligen Staatsgebiet der DDR, fiel offenbar nicht weiter auf. Ungewöhnlich an dem Appell war die Forderung nach „Verzicht auf Atomrüstung in beiden deutschen Staaten“; offiziell wurde in der DDR nur gegen das Aufrüsten West protestiert. Bemerkenswert auch der Raum, den die SZ der Städtefreundschaft mit Coventry widmete.

Zweit Tage später, am 15. Februar 1960, berichtete man über die Großkundgebung von „200.000 auf dem Altmarkt“ mit Ministerpräsident Otto Grotewohl. In seiner Rede betonte er den Friedens- und Abrüstungswillen der DDR und zitierte Walter Ulbrichts Brief an Adenauer, der heute dabei hilft, die Ausrichtung der Veranstaltung vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse zu verstehen: „Er weist darauf hin, daß niemand Westdeutschland bedroht, daß uns aber die Pläne des Kriegsministers Strauß bekannt sind, der die Atomrüstung Westdeutschlands beschleunigt, um durch einen Blitzkrieg die Deutsche Demokratische Republik zu überfallen.“

Bis zuletzt kamen zahlreiche Dresdner zu den offiziellen "Kampfkundgebungen", zu denen die SED das Gedenken gemacht hatte. 1989 sollen sich auf dem damalige Georgi-Dimitroff-Platz 100.000 Einwohner versammelt haben.
Bis zuletzt kamen zahlreiche Dresdner zu den offiziellen "Kampfkundgebungen", zu denen die SED das Gedenken gemacht hatte. 1989 sollen sich auf dem damalige Georgi-Dimitroff-Platz 100.000 Einwohner versammelt haben. ©  SZ-Archiv

"Eine Handvoll rasender Tollhäusler aus Bonn"

Ab dem 7. Februar 1965 bombardierte erstmals die US-Luftwaffe Ziele in Nordvietnam. Das fand seinen Widerhall auch am 20. Jahrestag der Angriffe auf Dresden. Die SZ zitierte Stellungnahmen von Bürgern. Ein Schüler kritisierte das „Menschenschlachten“: „Es darf so etwas nie wieder geben, und ich möchte auch mithelfen, indem ich in der Schule fleißig lerne!“ Ein am 13. Februar 1945 geborener junger Mann wurde porträtiert, der sich für drei Jahre bei der NVA entschieden hatte, „um dabei zu helfen, das seit 1945 Geschaffene zu schützen und den vom Westen geplanten Dritten Weltkrieg zu verhindern“.

Der Ton der Offiziellen war überaus scharf und richtete sich vornehmlich gegen die mit den USA verbündete BRD. Dresdens nun ehemaliger OB Weidauer warnte, „wie schnell eine Handvoll rasender Tollhäusler aus Bonn alles das mühselig Geschaffene mit ihren wahnwitzigen Atomplänen in Schutt und Asche legen können“. ZK-Mitglied Hermann Matern sprach auf dem Altmarkt vor „Hunderttausend“, die SZ titelte mit einem Satz aus dessen Rede: „Für Besessene, die Dresden atomar zerstören wollen, gibt es Zwangsjacken“.

Der Vietnamkrieg als Thema des Dresdner Gedenkens

Ab 1970 ging die Intensität der Berichterstattung zum 13. Februar 1945 in der Sächsischen Zeitung zurück. Am 25. Jahrestag schrieb das Blatt von „100.000“ Teilnehmern der zentralen Kundgebung und zitierte ein „Bekenntnis der Bevölkerung Dresdens für Sozialismus, Frieden und europäische Sicherheit“. Die wesentlichsten Forderungen: „Schluss mit der USA-Aggression in Vietnam“ und „Beendigung der Aggression Israels gegenüber den arabischen Völkern“. Der DDR-Ministerrats-Vorsitzende Willi Stoph legte in seiner Rede fest: „Die gleichen Kräfte, die den Befehl für die sinnlose Zerstörung Dresdens gaben, tragen auch die Verantwortung für die grausamen Massaker in Südvietnam.“

Zum 30. und 35. Jahrestag schließlich wurde das Thema in der SZ eher als Pflichtübung absolviert. Auch die Kundgebungen scheinen an Anziehungskraft verloren zu haben. Zum 13. Februar 1980 reflektierte das Blatt nur noch eine „Eindrucksvolle Bekundung Zehntausender Dresdner“ statt einstmals über 200.000. Das hatte offenbar zwei Hauptgründe: Zum einen machte sich seit Beginn der Siebziger die Ost-West-Entspannungspolitik auch in den DDR-Medien bemerkbar. Zum anderen stand seit dieser Zeit der Wiederaufbau im Vordergrund der Berichterstattung, der allmählich die großen Lücken im Stadtzentrum schloss. Allerdings auf jene „sozialistische“ Weise, die viele Dresdner als „zweite Zerstörung“ ihrer Stadt empfanden und ihr wenig Sympathie entgegenbrachten.

Seit 1982 gab es das Stille Gedenken, hier am 13. Februar 1983 vor der Ruine der Frauenkirche. Es war auch ein Protest "von unten" gegen den ideologischen Missbrauch der Katastrophe durch die SED:
Seit 1982 gab es das Stille Gedenken, hier am 13. Februar 1983 vor der Ruine der Frauenkirche. Es war auch ein Protest "von unten" gegen den ideologischen Missbrauch der Katastrophe durch die SED: ©  SZ-Archiv

Wiederaufgebaut was im "Nazi-Inferno" zerstört wurde

Ganz anders der 40. und zugleich letzte staatlich organisierte „runde“ Jahrestag des 13. Februar 1945. Er war in vielerlei Hinsicht ein Höhepunkt. Erstmals versammelten sich zur Kundgebung auf dem Theaterplatz laut SZ wieder „200.000“ vor einer Tribüne, die prominent wie nie besetzt war. Erich Honecker, das halbe Politbüro und zahllose Gäste aus dem Ausland waren gekommen – indes nicht vornehmlich wegen des Gedenktages. Geschickt hatte man die feierliche Wiedereröffnung der Semperoper auf diesen Termin gelegt. Die SZ widmete dem Ereignis eine ganze Beilage.

Auf der Seite Drei schuf die Redaktion einen neuen Begriff: „Was im Nazi-Inferno zerstört worden ist, bauten wir in neuer Schönheit wieder auf.“ Die Luftangriffe der West-Alliierten als „Nazi-Inferno“; das irritiert noch heute. Ein paar Seiten weiter klagte Walter Weidauer über die „unverschämte Geschichtsfälschung vor allem westlicher, besonders bundesdeutscher Autoren“, die Dresdens Opfer-Bilanz von 35.000 anzweifelten und „mit wahnsinnig hochgestapelten Totenzahlen aufziehen“.

Das "Stille Gedenken" wird verschwiegen

Die totale Vereinnahmung des Gedenkens scheint beispiellos gewesen zu sein. Schließlich fand es im unmittelbaren Vorfeld des XI. Parteitags der SED statt. Auf den Bildern in der SZ flatterten Fahnen der Parteiorganisationen, Betriebe trugen politische Losungen vor sich her, sozialistische Kollektive verwiesen auf neue Wettbewerbsziele, ein Plakat verkündete: "Der 13. Februar: Mein Kampftag für den Frieden". Abgedruckt wurde eine neue „Willenserklärung der Dresdner zum 40. Jahrestag“ für den Weltfrieden und in der „Hoffnung auf die neuen Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und den USA“. Auch hier widerspiegelten sich in Dresden die aktuelle Weltpolitik und eine veränderte Stimmungslage: Das Wettrüsten zwischen den großen Machtblöcken und damit der Kalte Krieg gingen dem Ende zu. So gönnte sich Erich Honecker in seiner Dresdner Rede nur wenige pflichtschuldig wirkende Spitzen gegen „den Westen“ und blieb ansonsten im Tenor versöhnlich.

Bis 1989 setzte sich die politische Instrumentalisierung des 13. Februar 1945 auf den „von oben“ organisierten Großkundgebungen fort. Vom subversiven stillen Gedenken mit Kerzen, das junge Dresdner 1981 erstmals organisierten und mit Unterstützung der Kirchen rasch zu einer immer stärker besuchten Alternativ-Veranstaltung wurde, las man in der SZ kein Wort. 1990 war es mit der sozialistischen Überformung des Gedenkens vorbei. Erneut erklang ein Manifest in der Stadt: der „Ruf aus Dresden“, mit-initiiert vom Trompeter Ludwig Güttler. Ein Appell, der keinen Gegner mehr brauchte, für den Wiederaufbau der Frauenkirche und für den Frieden.

Der rechte Missbrauch löste den linken ab: Seit den Neunzigern haben Neonazis Dresden um den 13. Februar als Aufmarschplatz gewählt, um hier die Geschichte zu relativieren.
Der rechte Missbrauch löste den linken ab: Seit den Neunzigern haben Neonazis Dresden um den 13. Februar als Aufmarschplatz gewählt, um hier die Geschichte zu relativieren. ©  Foto: dpa

Seit 1989 dominiert der rechtsradikale Gedenk-Missbrauch

Damit endete auch die politisch-ideologische Aufladung des 13. Februar 1945 in der Sächsischen Zeitung. Nicht aber in der Stadt. Sofort zum 45. Jahrestag 1990 war der britische Autor und Holocaust-Leugner David Irving zur Stelle, nannte unter dem Applaus Hunderter Dresdner die Bombardierung „Völkermord“ und relativierte damit den NS-Holocaust. Das läutete die Instrumentalisierung der Katastrophe durch Rechtsextremisten und Neonazis ein. Sie erklärten Dresden zu ihrem Aufmarschgebiet und zogen in den 2000er-Jahren mehrere Tausend Teilnehmer an, denen sich nach längerer Schockstarre ebenso viele und schließlich weitaus mehr Gegendemonstranten aus ganz Deutschland in den Weg stellten. 2010 schloss sich als Zeichen gegen den Missbrauch des Gedenkens erstmals eine Menschenkette um die Altstadt.

Der Plan des damaligen Oberbürgermeisters Ingolf Roßberg ging auf: In der Sächsischen Zeitung ebenso wie in den übrigen berichtenden Medien haben die Bilder der Menschenkette die Aufnahmen marschierender Rechtsextremisten nahezu verdrängt. Doch solange es Versuche des extremistischen Missbrauchs des Gedenkens in Dresden gibt, bleiben die Jahrestage des 13. Februar für die SZ-Redaktion journalistische Ausnahmesituationen.