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Die Wiedergeburt der Semperoper

In den vergangenen 75 Jahren hat die SZ über viele Höhepunkte berichtet. So wie über die Wiedereröffnung der Semperoper am 13. Februar 1985.

Von Oliver Reinhard
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Die Dresdner Semperoper wurde 1985 zum dritten Mal wiedereröffnet.
Die Dresdner Semperoper wurde 1985 zum dritten Mal wiedereröffnet. © Sven Ellger

Die Februarkälte hatte Dresden im Griff, doch die weiße Taube auf blauem Grund blieb unbewegt. Anders als die angeblich über 200.000 Menschen auf Dresdens Theaterplatz. Denn unter der Friedenstaube auf der Tribüne vor ihnen hatte sich das größtmögliche Prominentenaufgebot der DDR platziert, darunter die bekanntesten Köpfe des Politbüros: Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph, Horst Sindermann, Hermann Axen, Kurt Hager, Harry Tisch, Egon Krenz, Werner Krolikowski. Hinzu kamen dutzende hochrangige Gäste aus dem Ausland.

Das Ereignis hatte einen doppelten Anlass. Es war der 40. Jahrestag der verheerenden Luftangriffe auf Dresden, der 13. Februar 1985. Und es war der Tag, an dem die zerstörte Semperoper wiedereröffnet wurde. Natürlich geschah die Doppelung nicht zufällig. Man hatte den Festakt auf dieses Datum gelegt, um dem Aufbauwillen und der Aufbauleistung Dresdens, des ganzen Landes (und selbstverständlich des Sozialismus) mit einem besonders hell leuchtenden Fanal in die Welt strahlen zu lassen.

Eine Seite für Honeckers Rede

Auch für die Sächsische Zeitung war es ein besonderer Tag. Das SED-Bezirksorgan widmete dem Ereignis in der Ausgabe vom 14. Februar 1985 ganze zwölf Seiten. Die Titelseite stellte klar: „Dresden – das ist eine Mahnung und eine Verpflichtung: Alle Kräfte für den Kampf um Frieden vereinen. Traditionsreiche Semperoper wiedereröffnet.“ Doch anders, als diese Schlagzeilen vermuten ließen, stand im Blatt das Politische hinter dem Kulturellen zurück. Auf der Seite Drei druckte die Redaktion Erich Honeckers Rede auf dem Theaterplatz ab. Auf der zweiten Seite ging es um das Gedenken auf dem Heidefriedhof. Der große Rest aber, insbesondere die komplette Beilage „wir“, gehörte der Semperoper, deren bemerkenswertem Wiederaufbau und den Menschen, die ihn vollbracht hatten.

In klassenschrankenloser Eintracht formulierten hintereinander der Görlitzer Maurer-Jugendbrigadier Gerolf Otte, Professor Manfred von Ardenne, Kammersänger Theo Adam, Ex-Ministerpräsident Max Seydewitz und der 80-jährige „Bauarbeiterveteran“ Richard Heinitz ihre Gedanken zur „Auferstehung“ des Hauses. Heinitz erinnert sich an die Sicherung der Ruine in den Fünfzigern, an die Rettung einzelner historischer Bauteile, wie man es auch bei der Frauenkirche gemacht hatte. „Einige Millionen Mark aus den Mitteln des Staates wurden damals in die Erhaltung des Bauwerks gesteckt“, erzählt der Veteran, „und über 1,5 Millionen spendete die Bevölkerung. Das war nicht wenig in einer Zeit, wo fast alles fehlte – vor allem Wohnungen.“

Die „Perle des Aufbaus"

Dabei war es keinesfalls selbstverständlich gewesen, dass die Semperoper zur Gänze wieder so auferstehen würde, wie wir sie seither kennen. Vielmehr sollte bis Mitte der Siebziger das Herz des Hauses hinter der historischen Fassade, den entsprechenden Foyers und Vestibülen in einem Zuschauerraum „mit moderner Gestaltung“ schlagen. Alle Entwürfe in diesem Sinne „zeigten aber immer wieder aufs Neue, dass mit einer ,modernen Festlichkeit‘ der klassisch motivierten Architektur Sempers nichts Ebenbürtiges gegenübergestellt werden kann“, erklärte Chefarchitekt Wolfgang Hänsch dem SZ-Redakteur Jörg Marschner im Interview.

„Auch die akustische Güte des alten Hauses wäre nicht zu erreichen gewesen.“ Überhaupt liest sich die „wir“-Ausgabe noch heute wie ein sehr gut gemachtes Stück Kulturjournalismus. Das notwendige ideologische Geklingel überließ man dem damaligen Oberbürgermeister Gerhard Schill auf der Beilagen-Titelseite unter der Überschrift „Perle des Aufbaus – dem Frieden verpflichtet“ sowie dem langjährigen Geschichtsredakteur Eberhard Günther auf der letzten Seite.

Gedenkveranstaltung auf dem Theaterplatz am 13. Februar 1985 zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens. Am gleichen Tag wurde die Semperoper wiedereröffnet.
Gedenkveranstaltung auf dem Theaterplatz am 13. Februar 1985 zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens. Am gleichen Tag wurde die Semperoper wiedereröffnet. © tt

Ansonsten blieben die Seiten weitgehend frei von sozialistischen Ergebenheitsadressen. Ihre anhaltende Faszination liegt vor allem darin begründet, dass die Redaktion sich zurückhielt und den am Aufbau Beteiligten das Wort überließ: Chefsouffleusen, Mitarbeitern des Besucherdienstes, Technikern, aber auch führenden Brigadiers.So berichtet Werner Haupt von der Maler-PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) „Canaletto“ darüber, wie seine Brigade sich bei den Innenraum-Ausmalungen mit den alten Techniken des 19. Jahrhunderts vertraut machen musste. Der Gipsbildhauer Franz Bretschneider schildert, wie er und seine Kollegen die Modelle für die zahllosen Stuckaturen schufen. Und Betriebsdirektor Hans-Joachim Bauer erinnert sich gemeinsam mit Bauleiter Gottfried Ringelmann an die Anfänge: „Nie werden wir vergessen, als wir das erste Mal in der Hütte drin waren. ,Hütte‘ – so nannten wir die Oper. Und was war sie mehr? Da flogen die Tauben ein und aus. Da waren Gänge notdürftig mit Bohlen abgedeckt, damit keiner hin- und nichts einstürzte.“ Sie empfanden alles als „tot, ausgebrannt, unmenschlich. Symbol des Krieges. Keiner, der heute in unsere Oper kommt, kann unsere damaligen Gefühle nachempfinden.“

Ein Satz, der heute noch gültig ist

Wohin die Reise der wiedererstandenen Semperoper gehen sollte, stellte deren Intendant Gerd Schönfelder in Aussicht: in Richtung eines Musiktheaters, „das sich nicht bloß in Dresden, sondern in der ganzen Welt sehen und hören lassen kann“. Daher könne es auch keine Beschränkung geben „auf nur ein Inszenierungsprinzip, einen Stil“. Vielmehr sollten „Inszenierungen von international führenden Regisseuren der DDR wie Ruth Berghaus, Joachim Herz und Harry Kupfer“ ergänzt werden von solchen, die all die glanzvollen Stimmen szenisch herausstellen „mit modernen Inszenierungsverfahren, die noch auszuprobieren sein werden“, auch „von jungen Regisseuren“. Denn, so der Intendant: „Manchmal vergessen die Dresdner, dass sie auch auf dem Musiktheater immer ziemlich risikofreudig gewesen sind.“Die vergangenen 35 Jahre haben gezeigt, dass viele damals in der SZ-Beilage „wir“ geäußerten Hoffnungen sich erfüllt haben, nicht nur die von Gerd Schönfelder. Und ebenso, dass sein letzter Satz noch heute Gültigkeit besitzt.