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Jetzt fragt mal der MP die Journalistin

Ministerpräsident Michael Kretschmer ist schon oft von SZ-Politikchefin Annette Binninger interviewt worden. Zum 75. Geburtstag der SZ stellt er mal die Fragen.

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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer befragt in der Staatskanzlei in Dresden Annette Binninger, Politikchefin der Sächsischen Zeitung.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer befragt in der Staatskanzlei in Dresden Annette Binninger, Politikchefin der Sächsischen Zeitung. © Ronald Bonß

Er lacht, hat Spaß: Heute darf er mal die Fragen stellen. „Fassen Sie sich bitte kurz“, grinst Michael Kretschmer vergnügt am großen Besprechungstisch in der Dresdner Staatskanzlei. Einen Zettel mit ein paar krakligen Sätzen und Stichwörtern hat der sächsische Ministerpräsident in der Hand. „Der Satz kommt mir bekannt vor“, murmle ich noch. Zugegeben: nervöser als sonst, denn was kommt jetzt? „Ich fange mal mit einer leichten Frage an“, sagt Kretschmer, dann nimmt der „Rollentausch“ seinen Lauf.

Wohin geht morgens Ihr erster Blick, Frau Binninger: aufs Handy, um Nachrichten zu lesen, oder in die Zeitung?

Aufs Handy, weil die Zeitung da noch im Briefkasten steckt.

Welche Rolle spielt denn die Zeitung heute noch? In einer Zeit des Internets und im Vergleich zu sozialen Medien? Wie wird sich das in den kommenden Jahren verändern?

Ich dachte, wir reden heute über Corona?

Das kommt ja noch.

Gut. Wie war noch mal die Frage?

Welche Relevanz hat eine Tageszeitung noch in der Zukunft?

Sie wird ein wichtiger Bestandteil bleiben, ein Angebot für alle, die an aktuellen Entwicklungen, vor allem in ihrer Region und vor Ort interessiert sind. Welche Rolle Papier noch spielen wird, entscheiden am Ende unsere Abonnenten selbst. Die Angebote verlagern sich zunehmend ins Digitale. Aber solange es eine Generation gibt, die ihren „Tagesbegleiter“ jeden Morgen aus dem Briefkasten holen möchte und sich das auch für die Verlage wirtschaftlich darstellen lässt, so lange wird es auch die gedruckte Zeitung noch geben.

Annette Binninger ist Politikchefin der Sächsischen Zeitung.
Annette Binninger ist Politikchefin der Sächsischen Zeitung. © ronaldbonss.com

Man hat den Eindruck, dass die Sächsische Zeitung sehr früh und sehr stark in die digitale Transformation investiert hat. Wie hoch ist der Arbeitsaufwand derzeit für die gedruckte Zeitung, wie hoch für das digitale Geschäft?

Wir arbeiten „online first“, das heißt, unsere Reporter schreiben zuerst für die aktuellen Online-Kanäle. Über den Tag fügen unsere Zeitungs-Editoren diese digitalen Nachrichten und Geschichten dann zur gewohnten Zeitungsausgabe zusammen. Das läuft inzwischen ganz gut. Die Zeitung wird jetzt sogar besser gelesen als früher, das zeigen unsere Messungen. Und online haben wir noch nie so viele Leser gewonnen wie jetzt. Und wir sehen mit Freude, wie sich auch digitale Spezialangebote entwickeln – vom täglichen Politik-Newsletter, über die wöchentlichen Angebote zu Kultur, Wirtschaft bis hin zu allen News rund um Dynamo. Der allgemeine Informationsbedarf gerade in dieser Corona-Zeit ist enorm hoch. Wir versuchen, die notwendigen Infos zuverlässig und gut recherchiert möglichst schnell zu liefern. Wir wollen damit Orientierung geben in einer, auch für uns, manchmal sehr wirren und verwirrenden Zeit.

Journalisten fragen Politiker oft und gerne, was ihr größter Fehler war, den sie je gemacht haben. Wenn ich Sie jetzt frage: Was war Ihr größter journalistischer Fehler, der Ihnen am meisten leidtut in Ihrer Karriere?

Darüber redet man natürlich nicht gern.

Ich weiß, ich kenne das Gefühl.

Dann gehe ich mal kurz ganz weit zurück, mehr als 25 Jahre, lasse sämtliche Beteiligten anonym. Damals habe ich als noch junge Journalistin über eine Intrigen-Geschichte innerhalb einer Partei geschrieben. Man wollte die Karriere eines bestimmten Mannes verhindern, streute also bestimmte Gerüchte in den Rathaus-Fluren. Ich wollte über die Intrige berichten, habe dabei aber auch unbedacht einen Teil der üblen Nachreden weitergetragen. Es war mir eine Lehre, die ich bis heute nicht vergessen habe: Nicht einfach über Gerüchte zu schreiben. Denn schon in dem Moment, wenn ich sie aufschreibe und damit öffentlich mache, kann der- oder diejenige, die sie betreffen, noch so sehr erwidern, dass nichts dran ist – es bleibt etwas „hängen“. Ich habe mich später dafür bei dem Betroffenen entschuldigt.

Welchen Teil der Sächsischen Zeitung lesen Sie eigentlich nie?

Hm, da kriege ich ganz schön Ärger, wenn die Kolleginnen und Kollegen das lesen.

Tja, aber mir gefällt die Frage.

Also gut: der Sport-Teil. Es gibt Ausnahmen, wo die Kollegen auch mich mit spannenden Themen „kriegen“. Aber irgendwo muss ich, zeitbedingt, den Mut zur Lücke haben.

Ganz andere Frage: Kann ich mich darauf verlassen, dass mir auch in den nächsten 75 Jahren bei der Sächsischen Zeitung das Gender-Sternchen erspart bleibt?

Also über einen so langen Zeitraum würde ich mich nicht festlegen wollen. So ähnlich würden Sie das als Politiker vermutlich auch beantworten – oder?

Zugegeben, sieben Tage sind da schon mal zu lang. Aber trotzdem …

Es gibt auch bei uns in der Redaktion immer wieder spannende Diskussionen dazu, wie weit die Geschlechter-Gerechtigkeit sich auch in der Sprache wiederfinden darf oder sollte. Mit durchaus unterschiedlichen Meinungen. Sprache ist ein Spiegel der Zeit, da müssen wir auch immer wieder mal zur Vergewisserung neu hineinschauen. Die Ansprache beider Geschlechter ist absolut richtig. Ich persönlich empfinde den Stern aber als einen kleinen Bruch in unserer schönen deutschen Sprache und bin kein Freund davon. Aber am Ende müssen wir auf die schauen, für die wir schreiben, unsere Leserinnen und Leser.

Was sich ja damit ausdrückt, ist für mich auch dieses gesellschaftliche Auseinanderdriften – jeder will für sich sein. Damit meine ich jetzt nicht nur das Gender-Sternchen. Das muss doch für eine Tageszeitung ein Riesen-Problem sein. Wie kriegt man das unter einen Hut?

Das ist tatsächlich ein Problem. Ich würde als Journalistin deshalb nie versuchen, es allen recht zu machen. Wer das versucht, macht nichts richtig. Anbiedern und Nach-dem-Mund-Reden ist falsch. Wir versuchen immer wieder, auch durch Interviews oder Gastbeiträge ganz verschiedene Positionen einfließen zu lassen. Manchmal ist das, ehrlich gesagt, für mich persönlich hart an der Grenze. Aber das muss sein, wenn wir in Sachsen miteinander im Gespräch bleiben wollen.

Was denken Sie über den Begriff „Haltungsjournalismus“?

Zwei wichtige Wörter verschmolzen zum Schimpfwort. Dabei braucht jede/r Journalist/in eine bestimmte Grundhaltung. Eine menschenfreundliche, am Grundgesetz und an unserer Rechtsordnung ausgerichtet. Und ich finde, das haben meine Kolleginnen und Kollegen auch ganz gut durchgehalten in all den Jahren. Ob in der Auseinandersetzung mit Pegida, um die Würde des 13. Februars in Dresden, in der Flüchtlingskrise oder jetzt in der schwierigen Corona-Zeit. Trotz vieler Widerstände, Beschimpfungen, Bedrohungen bis hin zu körperlichen Angriffen. Es ist härter geworden, das ist meine Beobachtung. Und ich sorge mich manchmal, wohin wir da abdriften, wenn wir es nicht schaffen, gesellschaftlich wieder stärker zueinanderzufinden. Aber das ist in der Politik auch nicht anders, oder?

Nein, man braucht eine Richtung. Wenn die verloren geht, verliert man auch an Zustimmung. Ist nur eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht? Wie viel Aufregung ist erlaubt, um die Zeitung verkaufen zu können?

Die Aufregung machen doch nicht wir, wir berichten nur darüber. Ehrlich gesagt: Momentan würde ich mir deutlich weniger davon wünschen. Aber in dem Punkt gebe ich den „Ball“ zurück an die Politik.

Ich weiß …

Wir leben in einer so unruhigen, aufwühlenden, nervigen Zeit, die uns alle doch völlig erschöpft. Da fragen auch wir uns manchmal: Was können wir dem Leser noch zumuten? Wie viele schlechte Nachrichten denn noch? Müssen wir den Lesern jedes kleinste Detail, nur weil es bei uns zuerst „gelandet“ ist, wirklich sofort ausführlich berichten, auch wenn es in 24 Stunden schon wieder anders ist? Wir versuchen, alle wichtigen Nachrichten und Geschichten zu bringen, andere zurückzustellen, damit ein bisschen Ruhe reinzubringen. Aber trotzdem das Wichtigste zu transportieren. Darum haben wir auch zurzeit ganz viele Erklärstücke mit den wichtigsten Fragen und Antworten. Auch wir müssen aufpassen, dass wir in diesem aufgewühlten Meereswogen nicht selbst von jeder noch so kleinen Schaumkrone mitgerissen werden.

Da ist die Sächsische Zeitung, glaube ich, als Marke auch stark genug, um das genau zu prüfen und da auch die richtigen Themen zu setzen.

Ja, wir sprechen jeden Tag darüber, was wir machen, aber auch darüber, was wir warum nicht oder weniger machen.

Wo wird die Sächsische Zeitung in fünf Jahren sein? Zum 80. Geburtstag?

Wir werden erscheinen. Wie wir dann aussehen, in welchem Umfang, auf welchem Weg wir den Nutzer erreichen, darüber entscheiden zum größten Teil unsere Leserinnen und Leser.

Was macht Ihnen Sorge für die Zukunft?

Wo sind die jungen politikinteressierten Leserinnen und Leser? Wenn wir schrumpfen, dann verändern sich auch demokratische Prozesse, zu denen nun einmal auch seriöse Information gehört.

Das stimmt.

Zynisch betrachtet könnte man sagen: Regieren wird in Zukunft vermutlich leichter.

Nein, das glaube ich nicht. Aber es macht einen Unterschied, ob man wissend entscheidet oder aus einer Stimmung heraus. Noch eine ganz andere Frage: Was ist Ihre größte Sorge in dieser Corona-Zeit?

Menschen zu verlieren, die ich liebe.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) muss heute keine Fragen beantworten - sondern darf sie stellen.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) muss heute keine Fragen beantworten - sondern darf sie stellen. © Ronald Bonß

Damit sagen Sie, dass diese Krankheit gefährlich ist.

Ja, klar.

Aber das denken nicht alle. Das merkt man ja auch manchmal an den Leserbriefen, dass nicht bei allen, drücken wir es mal so aus, der gleiche Wissensstand vorhanden ist.

Gegenfrage: Hat das wirklich alles nur mit Wissen zu tun? Bei manchen habe ich fast schon den Eindruck, sie gehen in die Voraufklärung zurück. Es haben sich leider viele in ihren Graben zurück- und die Decke drübergezogen.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Da ist viel Vertrauen verloren gegangen. In uns, die Medien, aber auch in die Politik. Das verbindet uns doch, leider.

Aber nur weil jemand besonders laut ist, muss man sich doch davon nicht zu viel beeindrucken lassen. Was hätten wir denn aus Ihrer Sicht anders machen sollen in der Corona-Politik?

Ich glaube, es wurde so unglaublich viel geredet, verkündet, angekündigt und versprochen, wie ich es in so kurzer Zeit noch nicht erlebt habe. Aber wie kann es sein, dass die Menschen trotzdem nicht wissen, wie es weitergeht? Ich habe noch nie bei einem solch existenziellen Thema eine solche „Kakophonie“ erlebt. Da wurde so viel Vertrauen verspielt.

Noch vor einem Jahr hatte man den Eindruck, dass das politische Handeln breiter getragen worden ist. Jetzt gehen die Interessen auseinander.

Aber warum bremst man nicht, bevor der Zug gegen die Wand fährt? Die stark steigenden Infektionszahlen sind doch momentan eindeutig.

Aber das geschieht doch. Das tun wir. Jeden Tag.

Aber warum kommt das nicht so klar bei den Menschen an?

Das ist eine gute Frage, Frau Binninger. Aber hatten wir nicht ausgemacht, dass ich heute mal die Fragen stelle?

Ja, stimmt. Alte Gewohnheit. Tut mir leid.

Frau Binninger, ich danke für das Gespräch.

Ich auch, Herr Kretschmer. Aber das nächste Mal bin ich wieder dran.

Die Fragen stellte Michael Kretschmer.