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Zeitung braucht Haltung

Die Redaktion von Sächsische.de orientiert sich an klaren journalistischen Richtlinien. Denn die sind heute wichtiger denn je.

Von Marcus Thielking
 5 Min.
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Teilnehmer eine Kundgebung vor dem Haus der Presse in Dresden.
Teilnehmer eine Kundgebung vor dem Haus der Presse in Dresden. © Robert Michael

Wie soll das gehen: Immer objektiv sein und ausgewogen, neutral, unabhängig - und dabei trotzdem eine Haltung haben? Diese Frage beschäftigt Journalisten, seit es Zeitungen gibt. Dennoch stellt sie sich immer wieder neu, in diesen Zeiten vor allem deswegen, weil der digitale Wandel den Journalismus radikal verändert. Das Internet macht alles noch schneller, schriller, unübersichtlicher. Da fällt es umso schwerer - und wird es umso wichtiger -, Haltung zu bewahren.

Die Redaktion der Sächsischen Zeitung hat vor einigen Jahren eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um über dieses Thema einmal grundsätzlich nachzudenken. In dieser Gruppe waren je ein Redakteur oder eine Redakteurin aus jedem Ressort und aus jeder Region unseres Verbreitungsgebiets vertreten.

Am Ende dieser Diskussion entstand ein Papier mit Richtsätzen zur Haltung, das seitdem als interner Leitfaden für die SZ gilt. Dabei lautet der Leitgedanke: "Wir suchen das Beste für die Region und die Menschen, die hier zu Hause sind."

Kritik, aber konstruktiv

Bei diesen Richtsätzen geht es keineswegs um eine bestimmte politische Haltung. "Wir pflegen einen redaktionellen Pluralismus und geben kontroversen Stimmen Raum", heißt es in dem Papier. Deshalb kann es zum Beispiel vorkommen, dass wir in unserer Reihe "Perspektiven" sowohl einen Gast-Beitrag von einem Pegida- Sympathisanten als auch von einem Mitglied der Antifa drucken. Ebenso wählen wir für unsere Seite "Leserforum" jede Woche ganz bewusst auch solche Leserbriefe zum Abdruck aus, über die wir in der Redaktion nur den Kopf schütteln.

Auch für die Redakteurinnen und Redakteure der SZ gilt: Sie sind in ihrer Meinung vollkommen frei. Das heißt, sie bekommen weder von der Geschäftsführung noch von der Chefredaktion irgendwelche Vorgaben. "Kommentare in der SZ sind persönliche Meinungen", heißt es in unseren Richtsätzen zur Haltung. "Sie folgen keiner politischen Linie und können ganz verschieden sein." Es ist also möglich, dass ein Redakteur die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin kritisiert, tags darauf aber ein anderer Redakteur diese Politik lobt.

Diese liberale Grundhaltung bedeutet jedoch nicht, dass wir keine Grenzen setzen. So heißt es in unseren Richtsätzen ebenso: "Jeder Form von Menschenhass und Fremdenfeindlichkeit treten wir entgegen." Vor nicht allzu langer Zeit hätten deutsche Journalisten so einen Satz wohl als wohlfeile Selbstverständlichkeit abgetan, die man nicht unbedingt betonen muss. Als wir die Richtsätze 2015 formuliert haben, waren wir uns aber darüber einig, dass uns diese Klarstellung wichtig ist.

Das staatliche Grundrecht auf Meinungsfreiheit geht so weit, dass es sogar Hass und Hetze in der Öffentlichkeit bis zu einem gewissen Grad zulässt. Das muss und kann die Gesellschaft durchaus aushalten. Eine Konsequenz der Meinungs- und Pressefreiheit ist aber auch, dass wir als Zeitung das Recht haben zu sagen: Hass und Hetze haben bei uns keinen Platz! Wer das nicht akzeptiert, der wird mit der Sächsischen Zeitung wenig Freude haben.

Das Beste für die Region

Dass wir bei unserer Arbeit stets "das Beste für die Region" im Blick haben, ist viel mehr als nur eine allgemeine Formel. Sie bedeutet, dass wir an Pläne in Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport nicht mit ideologischen Vorurteilen herangehen - sondern immer zuerst die Frage stellen: Ist es gut für Sachsen? Wenn wir also die Dinge kritisieren und bewerten, geht es nicht in erster Linie darum, ob sie uns persönlich gefallen oder nicht. Unsere Kritik soll konstruktiv sein, und nicht vernichtend. Ja, als Journalisten sind wir immer auf der Suche nach Fehlern und Problemen - aber nicht, um andere fertigzumachen und die Dinge schlechtzureden, sondern um Lösungen zu finden und Wege , die Dinge zu bessern.

Manche Leser wollen am liebsten eine Zeitung lesen, die ihrem eigenen Weltbild entspricht. Das Blatt, das sie abonniert haben , soll konservativ sein oder links oder wirtschaftsliberal. An deutschen Zeitungskiosken und im Internet gibt es zum Glück eine große Bandbreite an ganz unterschiedlich gefärbten Zeitungen. Wir als Regionalzeitung wollen jedoch möglichst offen sein in alle Richtungen. Nicht beliebig, nicht unpolitisch, nicht so neutral wie ein Roboter. Die Zeitung wird von Menschen gemacht und von Menschen gelesen. Aber wir wollen uns keinen Stempel geben wie "links" oder "rechts" oder "grün" oder "schwarz". Unsere Leser sind bunt gemischt, und wir sind uns der Verantwortung als größte - und in vielen Gemeinden einzige - Zeitung in der Region bewusst. Alle Leser sollen sich in ihrer Zeitung wiederfinden und dabei auch Meinungen kennenlernen, die nicht ihrer eigenen entsprechen.

In vielen Ländern der Welt werden Journalisten zensiert, verfolgt und vom Staat bedroht. In Deutschland genießen sie alle Rechte und Freiheiten. Man braucht hier keinen besonderen Mut, um die Regierung zu kritisieren. Das ist ein großes Geschenk. Bedroht ist der Journalismus hierzulande eher durch wirtschaftliche Zwänge: Immer weniger sind bereit, für unabhängigen Journalismus Geld zu bezahlen, wenn es Informationen übers Internet kostenlos gibt. Auch die Anzeigenerlöse sinken, sodass es schwieriger wird, journalistische Qualität zu finanzieren.

Hinzu kommen gerade in Sachsen Beschimpfungen und Bedrohungen gegen Journalisten, wie man sie vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Es ist also, trotz der Pressefreiheit in Deutschland, beileibe kein Pappenstiel, eine journalistische Haltung zu bewahren . Aber eines ist heute so gewiss wie lange nicht: Zeitung braucht Haltung.

Dieser Artikel ist zuerst 2016 in der Sächsischen Zeitung erschienen.