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Junge Sorben in Angst

Hakenkreuz-Schmierereien, maskierte Schläger und Pöbeleien in der Disco: Sorbische Jugendliche fühlen sich in der Oberlausitz nicht mehr sicher. Nun ermittelt eine Sondereinheit der Polizei.

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© dpa

Von Anett Böttger und Jörg Schurig

Bautzen. Unter sorbischen Jugendlichen in Ostro (Landkreis Bautzen) geht die Angst um - spätestens seit dem 13. September. Beim „Summer Ending Open Air“, einer Tanzparty, tauchten damals plötzlich Neonazis auf. Eine Bekannte von Janek S. (Namen geändert) wurde von Rechtsextremen umzingelt, als sie von der Toilette kam. Für die junge Frau endeten die angstvollen Minuten erst, als sorbische Freunde auftauchten und sie aus dieser Lage befreiten.

Janek kennt die Täter aus Bautzen. „Man sieht die manchmal auf der Straße in kleinen Cliquen herumlaufen.“ Der 18 Jahre alte Gymnasiast weiß, dass einige von ihnen in einem Bautzner Boxclub trainieren. Die Neonazis würden sich für ihre Attacken oft Partys aussuchen. „Die stehen nachts vor dem Eingang und greifen einzelne Jugendliche an, beispielsweise wenn sie zum Auto gehen.“ Die Neonazis kämen in Gruppen von 15 und 20 Leuten. Manchmal würden sie vorher „Spitzel“ auf die Partys schicken, die Opfer ausspähen sollen.

Schon seit einiger Zeit attackieren teils maskierte Täter in Teilen der Lausitz gezielt Jugendliche, die der nationalen Minderheit der Sorben angehören. Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) hat die Ermittlungen übernommen. Diese Polizeieinheit ist für Extremismus im Freistaat zuständig, vor allem für Rechtsextremismus.

OAZ-Chef Bernd Merbitz spricht von „gezielten Angriffen auf sorbische Jugendliche und damit auf die sorbische Bevölkerung.“ Das OAZ geht davon aus, dass es sich um Rechtsextreme handelt und ermittelt derzeit wegen Nötigung und Beleidigung. Zudem liegen vier Strafanzeigen vor, unter anderem wegen Sachbeschädigung. Sorbische Ortsschilder wurden mit Farbe übersprüht, in einem Fall auch mit einem Hakenkreuz.

Problem der Sorbenfeindlichkeit nicht neu

Für den Bund Lausitzer Sorben, die Domowina, ist Sorbenfeindlichkeit nicht neu. „Das zieht sich wie ein roter Faden durch unser Leben“, berichtet der langjährige Domowina-Vorsitzende Jan Nuck. Er selbst habe das erstmals in den 1960er Jahren zu spüren bekommen. Damals habe ihn ein deutscher Jugendlicher als „Sorbenschwein“ beschimpft. Die Erfahrung, wegen ihrer Herkunft, Bräuche und der eigenen Sprache diskriminiert zu werden, haben viele Sorben gemacht. „Wer in der Minderheit lebt, hat dafür eine besondere Sensibilität entwickelt.“

Nun hat auch die nächste Generation mit Anfeindungen zu kämpfen: Das Wort „Sorbenschwein“ war jüngst wieder öfter zu hören, berichten Jugendliche. Nucks Sohn Daniel war Mitte Oktober dabei, als eine Gruppe Schwarzgekleideter bei einer Feier in Schönau auftauchte. „Das wirkte schon bedrohlich“, schildert der 20-Jährige. Die Störer hätten sich später Sturmmasken übergezogen und sorbische Jugendliche auf dem Weg zum Parkplatz verfolgt. „Hier ist etwas zielgerichtet vorbereitet worden“, glaubt Daniels Vater.

Seit etwa 1 500 Jahren siedeln die Sorben in der Lausitz. Das Gebiet, in dem die slawische Minderheit lebt, erstreckt sich zwischen dem Spreewald im Norden und dem Lausitzer Bergland im Süden. Auf 60 000 wird die Zahl der Sorben heute geschätzt. Zwei Drittel davon, die Obersorben, leben in Sachsen, etwa 20 000 als Niedersorben in Brandenburg.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), selbst Sorbe, verurteilt die jüngsten Übergriffe: „Sorben und Deutsche leben seit mehr als 1000 Jahren friedlich zusammen. Die zunehmenden Angriffe werden von keinem toleriert. Die Polizei wird mit ihrem Einsatz dazu beitragen, dass die Täter schnellstmöglich gefasst werden.“ Um die Jugendlichen zu schützen, sind Polizeibeamte derzeit verstärkt am Wochenende oder bei größeren Disco-Veranstaltungen im Einsatz.

„Ab 1937 war es verboten, in der Öffentlichkeit Sorbisch zu sprechen“

„Diese Übergriffe erinnern uns schmerzlich an das Schicksal des sorbischen Volkes im Nationalsozialismus“, sagt Domowina-Vorsitzender David Statnik. Damals sollten sich Sorben als Deutsche bekennen.

„Ab 1937 war es verboten, in der Öffentlichkeit Sorbisch zu sprechen, auch in der Schule“, berichtet der Direktor des Sorbischen Instituts in Bautzen, Dietrich Scholze. „Der Wahn der Nazis war es, alles zu vereinheitlichen.“ Nach dem Motto „Hier wird Deutsch gesprochen“ seien Angehörige der slawischen Minderheit aber auch zu DDR-Zeiten in Gaststätten oder auf Straßen angepöbelt worden, sagt Scholze. „Dass im Siedlungsgebiet der katholischen Sorben Christus-Kreuze an Straßen zerstört wurden, kam damals ebenfalls vor.“

Der junge Sorbe Daniel Nuck kann verstehen, wenn andere nach den Übergriffen nun Angst haben, allein zur Disco zu gehen. Er selbst lasse sich nicht einschüchtern, sagt der Student. Wenn er abends ausgeht, dann allerdings immer in der Gruppe. (dpa)