Von Antje Steglich
Nünchritz. Frauen nach dem Alter zu fragen, kann schon mal als unhöflich aufgefasst werden. Diese Erwachsenenregel ist Lenny jedoch piepegal. „Wie alt bist denn du“, fragt der Junge deshalb unverblümt Margarete Tröber, die beim Seniorennachmittag der Volkssolidarität in der Kita Kinderland in der ersten Reihe sitzt. 88, antwortet die Rentnerin und lacht über den Gesichtsausdruck des Jungen. Die Zahl ist für ihn unvorstellbar groß, und man braucht viel zu viele Finger, um dahin zu kommen. Deshalb plappert er einfach weiter vom Geburtstag seines Vaters und von seinen Plänen für den Nachmittag, bis Kita-Leiterin Kristin Bittig ihn in sein Gruppenzimmer schickt. Denn das Programm soll gleich beginnen, das die Kinder heute zu Ehren der Geburtstagskinder im Rentenalter aufführen werden.


Eigentlich besuchen die Knirpse dafür alle drei Monate den Treffpunkt der Volkssolidarität auf der Karl-Marx-Straße gleich gegenüber. Schon seit vielen Jahren ist es nämlich Brauch in Nünchritz – und auch in vielen anderen Orten der Region –, dass die Kinder den Senioren ein Ständchen bringen. Seit genau fünf Jahren gibt es nun aber eine besondere Vereinbarung zwischen Kita und Volkssolidarität: Als Gegenleistung für die netten Kinder-Besuche stricken die Senioren nicht nur fleißig neue Jacken, Strampler und Mützen für die Puppen, sondern gehen auch in die Kita, um dort Geschichten vorzulesen, gemeinsam zu basteln oder zu malen.
Mal werden mit Pinsel und Farbe bunte Faschingsbilder aufs Papier gebracht, mal sind es Schneemänner, sagt Veronika Schubert. In den kalten Monaten malt die 75-jährige ehemalige Kunstlehrerin wöchentlich mit den Knirpsen, jetzt im Sommer ist es einmal im Monat. „Ich habe ja auch noch einen Garten“, lacht die Hobbykünstlerin. „Blumen malen sie immer gern. Die Jungen auch Autos. Und es ist auch gar nicht so eine Sauerei“, sagt Veronika Schubert. Auch ihr selbst mache es immer sehr viel Spaß. Und sie freue sich immer besonders darüber, wenn sie ihre Schützlinge auch mal im Dorf trifft.
Am Anfang waren es durchaus einige Senioren mehr, die regelmäßig im Kindergarten mitgeholfen haben, gibt der Vorsitzende der Ortsgruppe der Volkssolidarität Udo Schmidt zu. „Aber einigen war es dann doch zu laut und zu anstrengend.“ Deshalb konzentrieren sich die meisten nun aufs Stricken, und nur Veronika Schubert und er gehen in die Kita.
Das Buch „Die Abenteuer des Wassertropfens“ ist der Renner bei den Kindern, weiß der Rentner von seinen monatlichen Besuchen. Manchmal liest er auch Märchen vor oder bastelt – es wird demokratisch entschieden, sagt Udo Schmidt. Und oft gibt es riesigen Andrang vor dem Lesezimmer, „manchmal muss er dreimal lesen“, sagt Kita-Leiterin Kristin Bittig.
Eine solch enge Zusammenarbeit zwischen Kita und Senioren kennt sie aus anderen Einrichtungen nicht. „Ich bin aber froh, dass es hier so etwas gibt. Man merkt, dass es beiden Seiten gut tut“, sagt sie. Denn jedes Alter gehöre zum Leben dazu, und man könne viel voneinander lernen.
„Das habe ich immer gern“, freut sich indes Margarete Töbner über das Programm der Kinder. Wie ihre Nachbarinnen an der hübsch gedeckten Kaffeetafel lächelt sie oft bei den bunten Kostümen und lustigen Liedern der Kinder. Bei „Summ, summ, summ“ stimmen die Senioren leise mit ein. „Das haben wir auch schon gesungen“, sagen sie. Und beim Kosten der selbst gebackenen Kuchen kommen sie sogar richtig ins Schwärmen. Die Kinder sind mächtig stolz, verteilen Blumen und lassen sich geduldig die Wange tätscheln. Auf die nächste Geburtstagsrunde im Oktober freuen sich schon beide Seiten.