Mit dem 9-Euro-Ticket von der Zugspitze bis Prora

Bautzen. Das 9-Euro-Ticket, mit dem man bundesweit noch bis Ende August Bus und Bahn im Nahverkehr nutzen kann, ist beliebt - aber auch umstritten. So hat etwa die Hälfte der Teilnehmer einer aktuellen Umfrage des Senders MDR das Ticket bisher nicht genutzt. Die Begründung: schlechte Verbindungen, überfüllte Züge, unkomfortabel.
Ist das tatsächlich so? Michel Helbig aus Großharthau, 18 Jahre und angehender Student, und sein Kumpel Eduard Krujatz aus Pulsnitz wollten es wissen und machten sich auf den Weg: fünf Tage zweimal durch die Republik zwischen Rügen und Zugspitze – insgesamt 3.000 Bahnkilometer. Nur ausgerüstet mit Rucksäcken für die nötigsten Dinge, Zelt und Isomatten.
Verspätung schon auf den ersten Kilometern
Bange Minuten gab's gleich zum Start in Großharthau: Denn mit dem Zug um 17 Uhr Richtung Dresden sammelte Michel Helbig schon die erste Verspätung. Da stand die ganze Tour beinahe auf der Kippe. Aber zum Glück hatte auch der Anschlusszug Verspätung.
Dann in Elsterwerda nochmal umsteigen und mit dem Regionalexpress direkt nach Rostock - natürlich mit Verspätung. Der Bus nach dem Zwischenziel Warnemünde war weg - eine Stunde Wartezeit.
Eine Fahrt am späten Abend, so die Erkenntnis, hat aber Vorteile: Die Züge sind nicht so übervoll, Sitzplätze oft sicher. Aber Achtung: Nach 1 Uhr legt der regionale Bahnverkehr eine Pause ein. So verbrachten die beiden Reisenden die restliche Nacht im Schlafsack am Strand – mit aufdringlichen Möwen, die die Rucksäcke plündern wollten.

Bis Hamburg lief am nächsten Tag alles glatt – sogar im Berufsverkehr. Sehr gepflegt, gut klimatisiert seien die Züge in Mecklenburg gewesen: „Man merkt, dass es eine Urlauberregion ist.“ Ähnlich auch in Hessen und Thüringen.
Das große Chaos begann dann in der Hansestadt. Dabei hatten Michel Helbig und sein Freund doch ein nächstes großes Ziel vor Augen: Garmisch-Partenkirchen und die Zugspitze. „Wir konnten froh sein, auf dem Bahnsteig noch Platz zu bekommen.“ Den mussten die ganzen Massen dann sogar noch mal wechseln. Dazu Gleisbau, Zugausfälle, Verspätungen: „Wir haben wie die Heringe gestanden und hätten auch laufen können, so schleppend ging das.“
Nach anstrengenden 18 Stunden Fahrt und achtmal Umsteigen war Garmisch-Partenkirchen dann erreicht. Dort war allerdings gerade G-7-Treffen und spontan kein Quartier zu bekommen – also zelten und rauf auf den Berg.
Von der Zugspitze bis nach Prora
Aus dem bayerischen Süden dann noch mal der Test, um bis Prora auf Rügen zu kommen. Dafür sollte man bis zu 24 Stunden einplanen, so die Erfahrung der beiden Reisenden. Allein zwischen Hof und Wittenberg mussten sie sechsmal umsteigen. Und verloren über zwei Stunden durch Verspätungen.
In Bayern waren die Züge so voll, dass sie aus Sicherheitsgründen nicht fahren konnten - "echt stressig". Bei Zwickau sei der Zug wegen einer Baustelle stehengeblieben. Wieder zweieinhalb Stunden durch Umwege verloren.
Von Wittenberg bis Greifswald fiel schließlich die Klimaanlage aus, und die Fahrgäste schmorten eng an eng bei 38°C Außentemperatur. Bequemes Reisen ist was anderes. Auch auf den letzten Kilometern zurück in die Heimat ging es dann wegen Verspätungen nicht ohne Zickzack-Fahrten ab.
Das spricht für und gegen eine Reise mit dem 9-Euro-Ticket
Das Fazit der beiden jungen Leute fällt gespalten aus: Man komme günstig durch Deutschland wie nie und bekomme so viel zu sehen. Ein Vorteil für alle mit knapper Kasse. Im Osten komme man zum Beispiel super an die Ostsee. Im Westen seien durchgehende Verbindungen deutlich schlechter ausgeprägt. Und: Mit dem Ticket muss man sich nicht durch einen Tarifdschungel schlagen und kann sehr spontan reisen.
Dafür muss man allerdings einiges in Kauf nehmen: Die Verspätungen summierten sich am Ende auf zehn Stunden: „Wir haben alle Minuten zusammengezählt“, sagt Michel Helbig. Allein 60 Stunden gingen an reiner Wartezeit auf Bahnhöfen oder im Zug verloren. Das sei schon ein ganz schöner Batzen. Und auch der fehlende Komfort sei nervig.
Besonders für Familien mit kleinen Kindern könnte die 9-Euro-Spar-Reise stressig werden, weil sie sich tüchtig in die Länge zieht. Dazu komme der extreme Umsteigestress und die Angst, den Anschluss zu verpassen. Das mache jede schöne Reise kaputt. Viel Familien-Gepäck sei zudem eher hinderlich, zumal in Regio-Zügen kaum Platz dafür vorgesehen sei. Vor allem Senioren sollten bedenken, dass es am Tag schwierig mit Sitzplätzen werden könnte.
„Bringt man viel Zeit mit und hat einen guten Freund dabei, macht es sogar Spaß, und man lernt Leute kennen“, sagt Michel Helbig, der dazu rät, unbedingt ein Smartphone dabei zu haben. Der DB-Navigator zeige alle 9-Euro-Touren an und helfe, die richtige Verbindung zu finden. Das sei, gerade wenn es mit Anschlüssen nicht klappe, sehr nützlich.
Trotz alledem: Michel Helbig würde es gut finden, wenn es das Ticket weiter geben könnte. Wer an seinen Erlebnissen auf der Deutschland-Tour teilhaben möchte, findet Videos darüber auf seinem Youtube-Kanal.