Wie ein Kamenzer zwei weltberühmte Künstler zusammenbringt

Kamenz. Der Kamenzer Günter Kern hat sie zusammengebracht – zum zweiten Mal seit 40 Jahren. Zwei weltberühmte Maler – beide aus Ostsachsen, beide mit dem Nobelpreis der Künste „Praemium Imperiale“ geehrt. Werke von Günter Kerns Bruder Georg Baselitz und Gerhard Richter sind jetzt zusammen in Kamenz in einer Ausstellung zu sehen. „Das gab es seit über 40 Jahren nicht mehr“, sagt Günter Kern.
Das erste und bisher letzte Mal war 1981 in der Kunsthalle Düsseldorf. Das Original-Plakat von damals ist eines von etwa 40 Exponaten, die jetzt in einer außergewöhnlichen Schau in einem ebenso außergewöhnlichen Gebäude zu sehen sind: der alten, aber frisch sanierten Posthalterei im Kamenzer Stadtzentrum. Also in idealer Lage für so ein Projekt, sagt Kern. Ein Projekt, das er zusammen mit der Stiftung "Pro Gemeinsinn", der Hausherrin in der Posthalterei, realisiert.
In der Ausstellung fällt der Blick des Besuchers nicht zuerst auf ein Bild, sondern auf einen durchlöcherten Trinkbecher einer Wehrmachts-Feldflasche und einen Kalender von 1945 mit Notizen aus dem Besitz von Kerns Vater. Dazu aus Kindertagen 1945 ein Foto der Brüder Georg und Günter Kern mit Schwester Rosemarie und Mutter Lieselotte.
Vaters Schicksal inspirierte Baselitz zu Heldenbildern
Die Löcher im Becher berichten von einem Durchschuss im Zweiten Weltkrieg. Vater Johannes verlor damals ein Auge. Georg Kern, der sich angelehnt an seinen Geburtsort Deutschbaselitz den Künstlernamen Baselitz gab, inspirierte die Geschichte des Vaters wohl zu seiner Serie der Heldenbilder, die Antikriegsbilder sind: Sie zeigen gebrochene, abgerissene Menschen, auch mit fehlenden Gliedmaßen. Geschlagen und desorientiert stehen sie hoffnungslos in einer zerstörten Landschaft mit verbrannter Erde - wie jetzt auch wieder in der Ukraine, sagt Günter Kern.
Kern wird dabei nicht müde zu betonen: „Haltet euch von jeglicher Ideologie fern. Lasst euch nicht vereinnahmen.“ So ähnlich formulierte das auch sein Bruder einmal in einer Rede. Vater Johannes sei es eben nicht gelungen, sich fernzuhalten. Er sei der Naziideologie verfallen. Kern wiederum hätte seine Haltung zu DDR-Zeiten fast das Leben gekostet – nachzulesen in der Broschüre „Unser Leben mit der Stasi“.
Das Familienfoto in der Vitrine regte Maler Baselitz zu seinen Familienbildern an. Das Original hängt in einer Galerie in Chicago. „Die Originale sind meist zwei bis drei Meter groß und in Museen in der ganzen Welt zu sehen“, sagt Günter Kern mit Blick auf das Werk seines Bruders.

In Kamenz bekommen Besucher jetzt einen Eindruck davon - auch wenn hier keine Originalgemälde hängen. Alle ausgestellten Exponate stammen aus der Sammlung der Familie von Günter Kern. Die signierten Plakate sind bis auf Ausnahmen Originale. Die anderen Stücke sind Reproduktionen, die von original signierten und zertifizierten Kopien stammen, sagt Kern.
Kritikern hält er entgegen, dass auch Gerhard Richter zum Beispiel selbst kein Original daheim hängen habe. Die gehörten in Museen. Und für solch eine Ausstellung wie die in Kamenz sei es auch versicherungstechnisch nicht bezahlbar.
Dennoch seien viele Exponate in Originalgröße zu sehen und so besonders beeindruckend - wie „Ema, Akt auf einer Treppe“. Das Gemälde gilt als eines der berühmtesten Werke Gerhard Richters. Auf dem Weg ins Obergeschoss kommen die Besucher und die nackte Dame geschickt inszeniert quasi aufeinander zu.
Fotos zeigen andere Seite des als schroff bekannten Malers
Das Besondere an der Kamenzer Ausstellung ist, dass sie im Falle von Baselitz zugleich mit einer Familiengeschichte verwoben ist, die einen tiefen Einblick in die Nachkriegsgeschichte gibt. Sie handelt von zwei Brüdern, von denen einer in den Westen geht und ein berühmter Künstler wird und der andere bleibt und sich mit dem DDR-Geheimdienst Stasi anlegt. In seinem Roman "Raumfahrer" hat der gebürtige Räckelwitzer Lukas Rietzschel diesen Stoff verarbeitet, der jetzt auch als Theaterstück auf die Bühne des Staatstheater Cottbus kommt.
Exklusiv gewährt außerdem die renommierte Fotokünstlerin Herlinde Koelbl mit Bildern von Baselitz einen Einblick in die Persönlichkeit des Künstlers. Der ist eher als schroff bekannt. Koelbl zeigt ihn freundlich, verschmitzt. Kern bestätigt, sein Bruder könne sehr herzlich sein, das Schroffe sei ein Schutzreflex. Selbst habe er aber nur noch selten Kontakt zu ihm. Der Bruder lebe eben in einer anderen Welt.
Gerhard Richter habe er während der Jahrhundert-Flut 2002 in Dresden kennengelernt, erzählt Günter Kern. Damals ging es um eine Versteigerung von Bildern beider Künstler. Er sei als Vermittler zu seinem Bruder aufgetreten. Am Ende brachte die Versteigerung 3,4 Millionen Euro für die Sanierung der Gemäldegalerie, berichtet Kern.
Damals habe er auch den Gedanken gehabt, beide Künstler in einer Ausstellung in der Oberlausitz zusammenzubringen. Weil sie ja beide ihre Wurzeln in Ostsachsen haben – Baselitz im heutigen Kamenzer Ortsteil Deutschbaselitz und Richter in Dresden.

20 Jahre sind seit der Idee vergangen. Realität sei sie letztlich nur geworden, weil Gerhard Richter die signierten Repros einiger seiner Werke ermöglicht habe, so Kern.
Die Ausstellung trägt den Titel "Artefakte". Ein solches Artefakt ist auch der Wehrmachts-Becher. Der soll nach der Ausstellung in Kamenz seinen Platz im Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn finden.
Die Ausstellung "Artefakte" kann bis 3. Oktober jeweils mittwochs 16 bis 18 Uhr und sonnabends 14 bis 17 in der alten Posthalterei, Zwingerstraße 20 in Kamenz, besichtigt werden.