Kamenz. Die Gitter sind heruntergelassen, die Tür ist verschlossen. Ein Kunde versucht es trotzdem und klopft an. Radio- und TV-Fachmann Olaf Böttcher steckt den Kopf hinaus und erklärt freundlich, dass keine Ausnahme von den Corona-Regeln möglich ist. Das werde auch kontrolliert.
Die Tür des traditionsreichen Kamenzer Geschäftes wird demnächst ohnehin für immer schließen. Wann genau hängt von der Pandemie ab. Im Schaufenster weist ein Plakat auf den Ausverkauf hin. Den wollte Olaf Böttcher im Dezember starten. Doch dann kam die Zwangspause: „Das hat uns getroffen wie ein Hammer“, sagt der Geschäftsmann. Der Lockdown hält an, und der Ausverkauf muss warten. Das ganze Weihnachtsgeschäft sei flöten gegangen.
Eigentlich mit 71 Jahren schon im Ruhestandsalter hätte Olaf Böttcher durchaus noch weitergemacht. Aber die Corona-Krise habe das durchkreuzt: „Nach zwei Lockdowns ist Schluss.“ Und es kommt noch etwas hinzu: Er habe verzweifelt einen Verkäufer oder eine Verkäuferin fürs Geschäft gesucht. Was aber gescheitert sei. Er habe niemanden gefunden, der die Voraussetzungen für den Job hatte. Also geht nun bald eine über 100-jährige Tradition in Kamenz zu Ende.
Sein Opa knipste Kamenz das Licht an
1919 hatte der Großvater die Firma gegründet. Die Nachkriegswirren nach dem Ersten Weltkrieg hatten ihn nach Kamenz verschlagen. Die Stadt sollte gerade elektrisches Straßenlicht bekommen, nur blieben die Lampen erst einmal dunkel, und die Kamenzer waren ratlos. Opa Wilhelm Böttcher hatte aber Ahnung von Elektrik und knipste den Kamenzern das Licht an. Das war sein Einstieg in der Stadt.
Seit den 1920er-Jahren befand sich das Geschäft in Räumen an der Kurzen Straße/ Ecke Markt, wo jetzt ein Schuhladen ist. Antennenbau, Verkauf von Rundfunkgeräten: Über die Jahre wurde das Angebot breiter. Natürlich wurde auch repariert und sogar selbstgebaute Technik verkauft, wie eine Erweiterung für damals gebräuchliche Mittelwellen-Radios zum Empfang von UKW-Sendern.
Das Geschäft florierte, und das Nebenhaus kam noch hinzu. Die Enteignung 1958 warf die Firma dann zurück. Die DDR-Handelsorganisation HO zog in die Geschäftsräume. Was blieb, war ein Bastelladen auf der Kurzen Straße, den Olaf Böttchers Eltern weiterbetrieben und aus der Not eine Tugend machten: „Wir durften keine großen Geräte mehr über 600 DDR-Mark verkaufen“, so Olaf Böttcher. Es habe viel Zoff mit DDR-Behörden gegeben.
Bastler gaben sich die Klinke in die Hand
So zogen Böttchers einen Handel mit elektronischen Bauteilen auf und trafen voll den Nerv der Bastler in der Region. Olaf Böttcher war dann auch genau der Richtige für das Geschäft als studierter Ingenieur für Hochfrequenz- und Informationstechnik. Im Institut für Nachrichtentechnik war er in der Entwicklung tätig gewesen und hatte gute Kontakte zur Halbleiterindustrie.
„Die Eltern fragten mich dann, ob ich das Geschäft weiterführen wolle. 1979 bin ich eingestiegen.“ Gerade auch viele Elektro-Modellbauer und Freunde der Funktechnik gaben sich die Klinke in die Hand. Dazu der Reparaturbetrieb, der weiterhin möglich war: „Wir hatten allein drei Fernsehmonteure im Außendienst, einen in der Werkstatt und vier Mechaniker“, erzählt Böttcher.
Weiten-Messtechnik für den Wassersport entwickelt
Mit der politischen Wende 1989/90 konnten Böttchers in die alten Geschäftsräume zurückkehren und auch wieder Heimelektronik verkaufen. Olaf Böttcher in der Werkstatt, Frau Ute im Verkauf und der Buchhaltung. Reparaturen spielen heutzutage eher keine Rolle mehr. In der Werkstatt beschäftigt sich der Elektronikfachmann dafür schon seit vielen Jahren mit anderen Dingen. Das werde auch nach dem Ende des Fachgeschäfts so sein, versichert er.
Schon in den 1980er-Jahren hat er Weiten-Messtechnik für den Wassersport entwickelt. Für das Wasserskispringen ganz genau. Böttcher selbst war mehrfacher DDR-Meister und habe lange Zeit den DDR-Rekord gehalten mit 43,5 Metern. Sein Verein, der WSC Kamenz, trainiert in der ehemaligen Kohlegrube Piskowitz. Die Technik entwickelt Olaf Böttcher ständig weiter. Es gebe ja auch immer neue Kameras, die präziser arbeiten.
14 Tage nach dem Lockdown ist Schluss
„Die Messtechnik wird weltweit bei Wettkämpfen eingesetzt. Zuletzt bei den Asien-Games, danach fiel wegen Corona alles aus.“ So kommt der Kamenzer auch viel in der Welt herum, um die Messtechnik aufzubauen, vor allem in Asien, wo der Sport boome. Außerdem beschäftigen den Kamenzer die Energiewende und die E-Mobilität. Er arbeite an einem neuartigen Elektromotor verrät er, aber das sei noch nicht spruchreif.
Derzeit hoffen Böttchers auf ein Ende des Lockdowns: „Wir hatten uns ja auf das Weihnachtsgeschäft vorbereitet und eingekauft.“ Es sei noch einiges da, das raus muss. Das Geschäft zu schließen, stehe fest: „Nach Ende des Lockdowns noch 14 Tage, dann ist es vorbei.“ Die Kinder haben andere berufliche Wege eingeschlagen.
Der Kamenzer Markt verliert damit ein wichtiges Fachgeschäft. Olaf Böttcher hat großes Interesse, einen Nachnutzer zu finden und die Räume als Laden zu erhalten. Er ist mit Interessenten aus unterschiedlich Branchen im Gespräch, aber das Ergebnis sei offen.
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