Kamenz. Donnerstagvormittag, 11 Uhr. Die neue Lieferung Obst und Gemüse kommt gerade rein bei der Tafel Kamenz. Mit den Fahrern schwappt ein Brise kalte Januarluft in den Sortierraum. Hier stehen ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Ein-Euro-Jobberinnen nebeneinander und legen sofort los. Welke Blätter abschneiden, schlechte Früchte entsorgen. Die Guten in die Stiege, die Schlechten ins Eimerchen. Es muss schnell gehen. Die Ausgabe startet 14 Uhr. An die 30 Bedarfsgemeinschaften werden auch heute kommen und ihre Einkaufsbeutel füllen. Seit dem frühen Morgen wird geräumt und sortiert.
In der ersten Januarwoche ist Routine eingekehrt. Die Lebensmittausgabe der Tafel Kamenz wird dieser Tage noch mehr frequentiert als sonst schon. "Die Corona-Krise hat Menschen in Not gebracht. Unser Kundenstamm ist deutlich gewachsen", sagt Sandra Muschter. Am Anfang der Krise, letzten März, wäre das erst einmal anders. Man habe die Ausgabezeiten einschränken müssen. Keiner wusste, wie das alles weiter laufen soll. Viele hatten Angst, einkaufen zu kommen. Das habe sich nun grundlegend geändert.

Die Projektleiterin der Ein-Euro-Jobber arbeitet seit 2014 hier. "Ich bin hier hängen geblieben, aber das ist gut so. Die Arbeit macht Spaß, das 20-köpfige Team stimmt", sagt die 44-Jährige. Auch wenn das mit der Mitarbeitergewinnung schwieriger wird. Manchmal würde sich Sandra Muschter engagierte Leute wünschen, die vom Amt geschickt werden. "Es ist eine gute und sinnvolle Arbeit, die wir hier verrichten", sagt sie. Auch zusätzliche Vereinsmitglieder wären wünschenswert. Der Altersdurchschnitt steigt. Der Verein hat sich übrigens gerade von "Kamenzer Tafel" in "Tafel Kamenz" umbenannt. Damit folgt man dem bundeseinheitlichen Vorbild.
Die ersten Stiegen Obst und Gemüse leeren sich mittlerweile. Die Ware sieht gut aus. Und die Auswahl ist groß. "Zum Glück gibt es davon zurzeit viel. Überhaupt funktioniert die Abgabe über die Discounter und Supermärkte bestens. Ich nehme an, dass doch weniger Kundschaft zurzeit durch Corona einkaufen geht und dadurch mehr für uns abfällt", so Sandra Muschter. Eine ganze Stiege geräucherte Forellen sind mit dabei. Auch fertige Flammkuchen und andere Leckereien, die Weihnachten nicht verkauft wurden.
Falsche Scham - vor allem bei Neuzugängen
Im Schnitt versorgt man in Kamenz 200 Bedarfsgemeinschaften pro Woche. Die setzen sich im Regelfall aus zwei Erwachsenen und zwei Kinder zusammen. Manchmal sind es Alleinstehende. Die Klientel habe sich gewandelt. "Immer mehr Senioren sind dabei. Die Altersarmut hat zugenommen. Viele können von ihrer schmalen Rente nicht leben, müssen bei uns aufstocken", so Sandra Muschter.
Und noch immer ist die Unsicherheit und Scham groß. "Wir beobachten es vor allem bei unseren Neuzugängen. Manche fragen dann, ob sie zu anderen Zeiten kommen können, wenn sie nicht gesehen werden von den anderen", so die Projektleiterin. Andere kommen bewusst ganz zum Schluss der Ausgabe. Doch damit sinkt auch ihre Chance auf Vielfalt und Schnäppchen. Selbst das nehmen sie in Kauf.
Corona-Hygieneauflagen werden streng umgesetzt
Mitarbeiterin Ina Langanki bestückt derweilen das Brötchenregal. Die Auswahl stimmt. Neben großen Märkten wie Netto, Kaufland, Lidl und Aldi stiften auch einige Bäckereien der Region Ware. Mit dem neuen Transporter wird Montag bis Freitag allmorgendlich alles abgeholt. Auch die Tafelausgaben in Bernsdorf und Königsbrück profitieren einmal pro Woche davon. Eine vierköpfige Familie muss lediglich einen Obolus von vier Euro pro Einkauf bezahlen. Ein Single nur drei Euro. Das ist angesichts der Auswahl günstig, finden die meisten. Meckerer gäbe es aber auch immer...
Zurzeit dürfen wegen der Corona-Hygieneregeln nur zwei Leute gleichzeitig die Ausgabe betreten. "Man sollte sich warm anziehen, denn die Schlange draußen ist lang", weiß Sandra Muschter. Doch die beengten Verhältnisse lassen nichts anderes zu. Andere Tafelausgaben mussten aus dem Grund schließen. "Wir setzen die Auflagen ganz streng um", sagt die Projektleiterin. "Uns nützt es nichts, wenn wir aufgrund einer Anzeige geschlossen werden."
Spendenbereitschaft vor Weihnachten groß
Unterdessen sind die Frauen dran, Käse und Wurst in die Kühltheke zu legen. In wenigen Stunden kommt die Kundschaft. An diesen Waren hapert es immer, aber das ist nichts Neues. "Wir sind froh, dass wir das Angebot aufrecht erhalten können. Dabei sind wir auf Spenden der Bevölkerung angewiesen. Ohne Finanzspritzen geht es nicht", so Sandra Muschter. Auch Betriebskosten, Benzin und Miete fallen an.
Gerade vor Weihnachten öffneten sich aber viele Herzen, trafen zahlreiche Geldspenden, aber auch Geschenke für die Kinder ein - von Privatleuten und Accumotive-Mitarbeitern. Das Prinzip der Solidarität funktioniert. Spenden sind jederzeit willkommen!
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