Ein Stück England mitten in Kamenz

Kamenz. Dieser Garten mutet wie ein begehbares Landschaftsgemälde an. Darin zwei Menschen, die im Sommer oft Fernsehen einfach Fernsehen sein lassen. "Ich erinnere mich nicht, wann wir das letzte Mal einen Film gesehen haben", schmunzelt Thomas Schöne. In der untergehenden Abendsonne läuft nämlich gerade der schönste reale Blockbuster über die Leinwand: "Hilde Garden". Vorn am Eingang zum Grundstück steht genau das auf einer grauen Schiefertafel geschrieben. Die Schönes mögen es stylisch. Und der riesige Garten hinterm Haus bringt täglich eine neue Folge an wundervollen Einblicken heraus.
"Hilde war meine Oma. Die hatte das Gärtnern im Blut", erzählt der Hausherr. Der Großvater legte den Garten zwar an, das Herz des grünen Refugiums aber war sie. "Für sie stand damals die Vorratshaltung im Vordergrund. Und das hatte seinen Grund," erzählt Enkel Thomas Schöne. Denn sie erbte einst das Haus an der Pulsnitzer Straße. Musste ihre Geschwister dafür aber mit Naturalien auszahlen.
Anfangs ging einiges gründlich schief
Kartoffeln, Gemüse, Obst und nur am Rand ein paar Blumen zur Zierde kamen da ins Beet. Thomas Schöne weiß, dass seine Eltern später überhaupt nichts mit dem Gärtnern am Hut hatten. Aber der heute 59-Jährige erinnert sich noch immer an ein Bild: Oma und Mutter gemeinschaftlich beim Einkochen. Und das den ganzen Sommer lang.
Als Thomas Schöne und seine Frau 1996 ein Eigenheim auf das Grundstück neben dem Elternhaus bauen, steht schnell fest, dass man den Garten der Oma bewirtschaften oder besser noch zu einem besonderen Hingucker machen will. Etwa 1.500 Quadratmeter Fläche warteten auf das Ehepaar. Eine Herausforderung.
Manuela Schöne zupft gerade ein paar welke Rosenblätter vom Strauch. Der Lavendel hat einen Radikalschnitt gebraucht. Dann blüht er im Spätsommer noch einmal. Die erfahrenen Gartenfans wissen viel über die Abläufe der Natur. Von Werden und Vergehen. Sie haben sich über die Jahre einen reichen Erfahrungsschatz angesammelt. Sind wissbegierige Schüler.
"Ich weiß noch, wie wir zuerst eine italienische Phase hatten," erinnert sich Manuela Schöne. Die gemeinsamen Urlaube führten sie damals oft in das Land der Zypressen. "Wir waren begeistert vom Mediterranen, wollten unbedingt den ,Raketenwacholder' bei uns heimisch machen", lacht die 59-Jährige. So nannten sie die Zypressen scherzhaft. Doch das misslang gründlich.
Pflanzen nach Blütenfarben sortiert
"Unsere große Tochter ging dann später für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach England", erzählt die Mutter. "Wir haben sie zum Schluss dort abgeholt und uns sofort in die Gärten verliebt." Seitdem sind Cottage-Gärten ein großes Hobby geworden. Es hat ihnen imponiert, wie Beete in Form von Tortenstücken angelegt werden. Und auch, dass sie nach Farben sortiert sind. Mittlerweile haben die Kamenzer im eigenen Garten viele solcher Elemente geschaffen.
Es ist ein bisschen so, als ob man verschiedene Gartenzimmer betritt. Hier blüht es blau, weiter hinten im schönsten Rosa. Gelbe, weiße und dunkelrote Blumen-Areale wechseln sich ab. Dazwischen stehen Bögen geflochtener Elemente, geschickt drapierte verrostete Hingucker, Sprüche auf Schiefertafeln, verspielte Deko oder Vasen mit ausladendem Blütenwerk. Thomas Schöne fertigt zudem kleine Kunstwerke aus Holz und Strandgut. Ein herrliches Meer von dekadent blühenden Pfingstrosen und Malven gehört saisonal dazu. Aber auch jede Menge Kräuter.
Fast kommt man sich ein bisschen vor wie in der Szenerie eines Jane Austen-Romans. Dabei hatten die beiden vorher überhaupt keine gärtnerische Erfahrung damit. Doch die Begeisterung hält an. Und machte neugierig. Viele Bücher, Dokumentationen, Vorträge und Erfahrungsaustausche später gehören die Schönes heute zu den Spezialisten.
"Wir fahren auch gern auf Gartenschauen. Kürzlich waren wir auf der Buga in Erfurt," sagt Thomas Schöne. "Wir holen uns dabei Anregungen und freuen uns über jede neuen Erkenntnisse." Natürlich bringt man sich von solchen Reisen Pflanzen mit.
Aktion Offene Gartenpforte brachte viele Freunde
"Im Laufe der Zeit haben wir gelernt, dass es nicht nur eine Sorte Thymian gibt, sondern Dutzende", lacht Manuela Schöne. Ein weiterer Glückstreffer war es, dass ihre jüngere Tochter im Gartenmarkt lernte. "Sie ist unsere Anlaufstelle, wenn wir wieder einmal Anregungen benötigen", sagt ihr Vater. Das Schöne daran: Die Eltern haben sie mit ihrem Garten-Virus infiziert. Aber auch die Stauden-Gärtnerei Karl Förster in Potsdam-Bornim entdeckten sie für sich. Nun blüht "Hilde Garden" fast das gesamte Jahr über. Das sei die große Kunst.
Der Blick zur Hauptkirche ist zudem unschlagbar. Wenn das Ehepaar zur Ruhe kommt, sitzt es gern an der Feuerstelle. Doch zuvor ist Gießen angesagt: Ganze 36 Kannen brauchen die Schönes pro Tag. Deshalb haben sie überall Wasserfässer und Regentonnen aufgestellt. "Dass es in diesem Sommer bis jetzt so schön zwischendurch regnet, kommt uns entgegen," sagen sie. Es blühe alles üppiger, als in anderen Jahren.
Seit zwei Jahren gehören sie auch der Initiativgruppe "Offene Gartenpforte Kamenz und Umgebung" an. Hier unter den vielen Gleichgesinnten fühlen sie sich aufgehoben. Auch sie hatten zum letzten Aktionstag im Juni geöffnet. Hunderte Neugierige strömten durch "Hilde Garden". "Die Oma hätte das sicherlich gefreut", sagt Thomas Schöne.