Kamenz. Keine Goldbarren und doch ein Schatz: In einem grünen Panzerschrank der Kamenzer Redaktion der Sächsischen Zeitung schlummerten 30 Jahre lang Kisten voller Foto-Negative in Papiertaschen. In weiteren Schränken war das Zeitungsarchiv verstaut, außerdem Berge von Papierbildern in Hängeregistern und aus den 2000er-Jahren auch schon Foto-CDs.
Ein brachliegender Fundus an Zeitdokumenten auch aus den Jahren der politischen Wende, die mühevoll aufgearbeitet werden müssten, um sie ins digitale Zeitalter zu bringen. Aus dem Kamenzer Rathaus war unterdessen immer mal wieder zu hören, dass es gerade aus der Wendezeit nur wenige Fotodokumente gebe.
Erinnerungen an früheren SZ-Fotografen
Da reifte in der Redaktion eine Idee, wie beide Seiten zusammenkommen könnten. Die Redaktion regte an, den gesammelten Fundus zu übergeben. Ralf Haferkorn ist Geschäftsführer der DDV Bautzen GmbH, zu der auch die Kamenzer Redaktion gehört. Es sei eine gute Lösung, dass SZ-Archiv an die Stadt zu übergeben und damit allen Menschen leicht zugängig zu machen, schätzt er ein: „Es ist dort gut aufgehoben, besser als in den Redaktionsräumen. Ein unwiederbringlicher Schatz wird so einfacher zugänglich.“
Ein großer Teil der Fotomotive stammt aus der Arbeit des früheren SZ-Fotografen Hans-Christian Lindner. Er war viele Jahre für die Redaktion nicht nur in Kamenz unterwegs, sondern auch zwischen Bischofswerda und Königsbrück. Sein plötzlicher und völlig überraschender Tod im Jahr 2003 war ein Schock für die Familie, für Verwandte und Freunde und ging auch den Mitarbeitern der Lokalredaktion sehr nahe.
Er habe den SZ-Fotografen als Menschen mit viel Gefühl und begeisterten Chronisten kennen gelernt, erinnert sich der Kamenzer Oberbürgermeister Roland Dantz (parteilos). Immer am Leben dran, wie die Bilder belegen: „Es ist uns eine Ehre, das Archiv zu übernehmen“, sagt Roland Dantz. Die SZ habe damit den richtigen Schritt getan, er sei froh und dankbar dafür, denn es eröffne die Möglichkeit, dokumentierte Geschichte nicht nur zu verwahren, sondern zu erschließen und nutzbar zu machen.

Die Mitarbeiter des Kamenzer Stadtarchivs sind bereits dabei. Zwar wurde die Übergabe jetzt offiziell mit Unterschrift besiegelt. Aber schon seit ein paar Monaten wird das schier unerschöpfliche Material gesichtet, dabei besonders intensiv die Fotos. Das ist eine Heidenarbeit. Der Hauptbestand beginnt 1990. Bis 1994 ist Archiv-Mitarbeiter Tobias Geweniger bereits vorgedrungen, rund 25.000 Fotos hat er bisher digitalisiert. Das klinge viel, sei aber erst ein Bruchteil.
Mit moderner Scan-Technik kann Tobias Geweniger einen klassischen Film mit bis zu 36 Negativen in einem Ritt auf die Festplatte saugen. Das dauert an die zehn Minuten. Doch dann beginnt oftmals die eigentliche Detektivarbeit.
Gerade hat der junge Mann Sachsens ersten Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf auf dem Bildschirm, der in den 1990ern einen Abstecher aufs Forstfest unternahm. Den kennt natürlich fast jeder. So klar ist das aber nicht immer. Wenn die Angaben spärlich sind, wird es schwierig. Manchmal sind reichliche Informationen handschriftlich auf den Papiertaschen notiert. Manchmal gibt es aber nur ein Datum. Dann beginnt die Tiefen-Recherche.
Der Fassadenkletterer am Kamenzer Rathaus
Dazu liegen auch immer die SZ-Jahrgänge griffbereit, um dort nachzuschlagen, die Fotos Texten zuzuordnen und mit Informationen zu den Ereignissen oder Namen von Personen des Zeitgeschehens zu beschriften.
Wenn das jedoch alles nichts bringt, können auch Zeitzeugen helfen: „Wir haben ja zum Beispiel auch viele Rathausmitarbeiter, die wir in schwierigen Fällen zu Rate ziehen können“, sagt der Leiter des Stadtarchivs, Thomas Binder. Zehn Filme pro Tag seien maximal zu schaffen. Als Forstfest-Fotos von 1994 auftauchen, werden auch beim OB sofort Erinnerungen ans Adlerschießen wach. Er vermutet, „das Interesse wird riesig sein“.
Fast vergessene Geschichten kommen plötzlich wieder ins Gedächtnis, wie von einem Fassadenkletterer, der zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 am Blitzableiter den Kamenzer Rathausbalkon erklomm, um eine DDR-Fahne hinab zu werfen. Das wird nicht die letzte Überraschung sein. Denn was bisher digitalisiert wurde, so Thomas Binder „ist nur die Spitze des Eisberges“.
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