Warum die Talsperre Kriebstein kaum vor Hochwasser schützt

Von Dagmar Doms-Berger
Kriebstein. Es war das Tosen der Zschopau und das furchtbare Knacken bei Dunkelheit. Wolfgang Hein, Kämmerer in der Gemeindeverwaltung Kriebstein, kann sich noch genau an diese Geräusche erinnern. Sie liegen 20 Jahre zurück, aber „das war so unheimlich, das werde ich nicht vergessen.“
In Kriebethal war das gesamte Areal an der Zschopau mit Feuerwehr, Bauhof Gemeindeverwaltung und den benachbarten Papierfabriken an der Zschopau geflutet. Über 2,23 Meter hoch stand hier das Wasser.
Die Technik sei nicht mehr zu retten gewesen. Durch den Druck des Wassers hatte es die großen Tore des Feuerwehr- und Bauhofdepots verbogen. Weggespült hatte es auch die Kriebethaler Hängebrücke unterhalb des Burgberges.
Vorwurf war offenbar unberechtigt
Nach der Flutkatastrophe ging der Blick vieler Hochwasserbetroffenen in Richtung Talsperre Kriebstein. Der Vorwurf: Mit einer optimalen Steuerung der Talsperre hätte die Hochwasserkatastrophe in dem Ausmaß verhindert werden können.
„Mit dem Pegel lässt sich theoretisch ein gewisses Maß regulieren“, so die Kriebsteiner Bürgermeisterin Maria Euchler (Freie Wähler). „Aber Wassermassen wie sie damals ankamen, kann die Talsperre nicht auffangen.“
Die Studie des Landesamtes für Umwelt und Geologie von 2006 belegt, dass die Talsperre Kriebstein den erhofften Hochwasserschutz nicht bieten kann. Das ergab die wissenschaftliche Untersuchung unter Verwendung von Quellen des Regierungspräsidiums Chemnitz, der Landestalsperrenverwaltung (LTV) Sachsen und der Stadtverwaltung Waldheim.
Ergebnis: Die Talsperre Kriebstein dient der Energieerzeugung, der Schifffahrt und Erholung, Hochwasserschutz bietet sie kaum. Die Hochwasserschutzwirkung von Talsperren beruht auf der Möglichkeit, den vorhandenen Stauraum gezielt zu füllen oder zu entleeren.
An der Talsperre Kriebstein wird der Abfluss in das Unterwasser über drei Grundablässe und acht Hochwasserüberfälle gesteuert. Daneben läuft das Wasser bei normalem Betrieb auch durch die Turbinen des Wasserkraftwerkes ab.
Geologische Besonderheiten
Im Gegensatz zu anderen sächsischen Talsperren ist das Einzugsgebiet der Talsperre und damit die Zuflüsse bei Hochwasser so groß, dass der freie Stauraum bereits in kurzer Zeit gefüllt wäre.
Die Hochwasserschutzwirkung der weiter oberhalb liegenden Talsperren reicht bei Weitem nicht bis Kriebstein. Die Talsperre Kriebstein hat ein Einzugsgebiet von über 1.700 Quadratkilometern.
Im Vergleich zum Stauraum von 11,6 Millionen Kubikmetern ist dies riesig. Hinzu kommt, dass rund fünf Millionen Kubikmeter des Stauraums mit Sedimenten und Schwebstoffen gefüllt ist.
Sinkt der Stauspiegel schnell, birgt das Gefahren
Die Erwägung einer schnellen Absenkung des Stauspiegels sei in einer Talsperre überdies mit speziellen Gefahren verbunden. Denn fällt der Seewasserspiegel schnell ab, so sickert das in den Gesteinsklüften der Talhänge befindliche Wasser nur allmählich heraus.
Da der Gegendruck aus dem Stauraum fehlt, kann das Kluftwasser Teile des Talhanges wegschieben. Es sei dann auch mit Rutschungen zu rechnen. An der Talsperre Kriebstein sei aufgrund der geologischen Struktur der rechte Hang („Ehrenberger Hang“) in dieser Hinsicht besonders gefährdet, so die Experten.
Das Ergebnis: Die Kappung des Hochwasserscheitels in der Zschopau mit dem Ziel, den Maximalabfluss im Unterwasser der Talsperre so gering wie möglich zu halten, ist in der Praxis nicht realisierbar.
Und auch eine zeitweilige Drosselung des Abflusses aus der Talsperre sei theoretisch zwar möglich, doch der Effekt sei praktisch gering und nur bei den Hochwassern möglich, die ohnehin geringste oder keine Schäden verursachen.
Außerdem setze dies eine sehr lange Vorwarnzeit und eine Vorentleerung voraus. Dieses Steuerregime, so die Studie weiter, führe außerdem zu zusätzlichen Risiken bei der Betriebssicherheit und zu steilen Flutwellen im Unterwasser.
Derzeitige Betriebsweise die einzig praktikable
Den Experten zufolge sei die derzeitige Betriebsweise die einzig praktikable, nämlich im Hochwasserfall den Ausfluss gleich dem Zufluss einzustellen.
Bei Hochwasser treffe es im Gemeindegebiet Ortschaften wie Reichenbach, Ehrenberg und Erlebach. Hier sind die Bäche das Problem. Im Laufe der Jahre seien sie begradigt worden, was dazu führe, dass sich die Fließgeschwindigkeit erhöhe, so Maria Euchler.
Im Hochwasserfall sei dies ein Nachteil. „Wir sind als Gemeinde sehr hinterher, Müll und Äste zu beräumen, bevor sie zu Fließhindernissen werden“, so die Bürgermeisterin. In Gemeindehand liegen auch die Durchlässe und Ufererneuerungen. Für die Privatgrundstücke aber müssten die Eigentümer vorsorgen, dafür sei die Gemeinde nicht zuständig.
Auch die eigene Vorsorge ist wichtig
Um künftig besser geschützt zu sein, wurde in Kriebethal die 40 Meter lange Stützmauer am Ufer der Zschopau erneuert. Plante die Gemeinde anfangs noch eine fünfstellige Summe für die Reparatur ein, geschätzt waren mal 30.000 Euro, so hatten sich die Sanierungskosten fast auf das Zehnfache gesteigert. Am Ende kosteten Sanierung und Stabilisierung rund 285.000 Euro, die zu 100 Prozent gefördert wurden.
„Angesichts der Hochwasser 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen fühlten wir uns an die Jahre 2002 und 2013 erinnert“, so Hein. „Wir können genau nachempfinden, wie es den Leuten dort geht.“
Damit werde auch klar, dass es einen absoluten Schutz vor Naturkatastrophen nie geben kann, man könne nur das Risiko so weit wie möglich minimieren. Dazu gehört auch, eine nahe Besiedlung am Wasser künftig auszuschließen, um dem Fluss die Möglichkeit zu bieten, sich auszubreiten. Es ginge aber nicht ohne individuelle eigene Vorsorge für Katastrophenlagen.