"So was wie im Ahrtal könnte im Kreis Meißen nicht passieren"

Herr Voigt, kann sich so ein Hochwasser wie 2002 wiederholen?
2002 standen wir vor einer ganz anderen Situation: Damals sind alle davon ausgegangen, dass so was nicht passieren kann. Aber danach hat der Freistaat schnell gehandelt und wichtigste technische Voraussetzungen geschaffen. Das meiste davon haben wir gar nicht mitbekommen, weil es still und leise passierte: Sei es der millionenschwere Ausbau der Hochwasserschutzanlage in Riesa-Gröba, die neuen Deiche für Radebeul-Kötzschenbroda oder die Erneuerung aller vorhandenen Deiche. Außerdem verfügt das Technisches Hilfswerk (THW) mittlerweile über eine Hochleistungspumpe, die 25.000 Liter Wasser pro Minute wegpumpt und der Landkreis über einen Anhänger mit vier Pumpen, die insgesamt 8.000 Liter Wasser pro Minute pumpen – einsatzbereit in den großen Städten. Zusätzlich hat der Freistaat im Gebirge Regenwasserrückhaltebecken gebaut, um das Hochwasser dort zu bekämpfen, wo es entsteht.
Die größten Mangelressourcen sind nach wie vor die ehrenamtlichen Helfer. Wenn sich so ein Ausnahmeereignis wiederholt, kann es gar nicht genug helfende Hände geben.
Wie viel können ungeschulte Helfer in so einer Ausnahmesituation bewirken?
Natürlich geht nichts ohne THW, die Feuerwehren, unseren Hilfsorganisationen, der Wasserwacht und Bundeswehr. Die ungebundenen Helfer sind angehalten, sich anzuschließen; auch wenn sie nicht ausgebildet sind und kein Führungsverständnis mitbringen: Das Wichtige ist, dass sie sich an die Ansagen der Einsatzleitung vor Ort halten, damit alle den Einsatz gesund überstehen.
Heute könnten wir diese Kräfte viel gezielter einsetzen, weil wir über ein Hochwasser-Warnsystem verfügen, das uns drei Tage im Voraus verlässlich informiert, auf welchen Wasserstand der Elbe oder Röder wir uns vorbereiten müssen. Unsere digitalen Hochwasserkarten zeigen dann ganz genau, welche Bereiche überflutet werden. Außerdem ermöglicht uns das System einen strukturierten Überblick, auf welche Ressourcen wir zurückgreifen können: Im Hochwasserlager der Landestalsperrenverwaltung befinden sich zum Beispiel aktuell 380.000 Sandsäcke.
Das klingt nach einer großen Zahl, ist letztlich aber nicht viel: Allein in einem Ballen mit der Größe eines Meters, da sind 1.000 Sandsäcke drin – und 1.000 Sandsäcke sind relativ schnell verbaut.
Das reicht doch im Katastrophenfall nie und nimmer aus.
Die Gemeinden halten natürlich auch Sandsäcke vor. (Klickt sich durch sein Computersystem.) Ich könnte jetzt sofort auf über fünf Millionen Sandsäcke - über ganz Sachsen verteilt - in den Hochwasserlagern zugreifen. Das ist auch genau unser Job: Die Ressourcen zu erfassen und im Notfall abzufordern.
Schon beim Hochwasser 2013 waren Sandsäcke im Landkreis keine Mangelware mehr. Zumal wir im Kreis den Vorteil haben, dass im Bereich Zeithain die großen Kieswerke stehen, wo wir im Krisenfall unsere Sandsackfüllstationen aufbauen; das funktioniert auch gut mit den ungebundenen Helfern, die gemeinsam mit der Bundeswehr die Sandsäcke befüllen.
Haben Sie bei einem drohenden Triebisch-Hochwasser auch mehrere Tage Zeit, um sich vorzubereiten?
Die Nebenflüsse der Elbe - wie Döllnitz, Jahna und der Triebisch - können bei Starkregen ganz schnell ansteigen. Da bleiben uns zur Gefahrenabwehr manchmal nur ein paar Stunden. Gerade bei der Triebisch können wir nur schwer reagieren. Deshalb ist es wichtig, dass es so viele technische Installationen gibt. Wir können zwar die Feuerwehren alarmieren: Die sind schnell vor Ort – aber alleine einen Sandsack zu verfüllen dauert manchmal bis zu zwei Stunden.
Bei einem Elbehochwasser haben Sie zum Glück deutlich mehr Handlungsspielraum: Wie laufen diese drei Tage ab?
In unserem Amt schauen alle ein bisschen intensiver aufs Wetter, sobald sich etwas zusammenbraut, sind wir immer sozusagen im Stand-by-Modus – die Feuerwehren wissen auch Bescheid. Ab der Hochwasserstufe 3 (sobald der Pegel in Dresden über acht Meter steigt), wird in Sachsen der Hochwasser-Katastrophen-Voralarm ausgerufen: Das heißt, in der Außenstelle des Landratsamts Riesa arbeitet dann rund um die Uhr ein Katastrophenschutzstab. Ab diesem Zeitpunkt sind wir bereit: Können die Bevölkerung rechtzeitig warnen und Hochwasserinformationen verbreiten: Was sich im Ahrtal in dieser Form und Geschwindigkeit abgespielt hat, könnte bei uns nicht passieren.
Können Sie das mit Gewissheit sagen?
Man sollte nie nie sagen. Aber aufgrund dieser frühzeitigen Vorhersagen können wir die betroffenen Einrichtungen auf jeden Fall rechtzeitig evakuieren. Das muss nämlich richtig zeitig passieren: Bei einem Altenheim zum Beispiel brauchen wir Plätze, um die Bewohner unterzubringen – dabei müssen wir ganz besonders auf demente Patienten achten. Es ist also ein ganz komplexer Prozess. Aber schauen deshalb mit Argusaugen-Augen auf jede Entwicklung und greifen ein, sobald wir nasse Füße bekommen.
Dass Häuser innerhalb von wenigen Stunden überflutet sind - wie im Ahrtal - ist an der Elbe mit größter Wahrscheinlichkeit nicht möglich. Natürlich haben wir hier auch Schwachstellen: Zum Beispiel die Brücke in Meißen, die 2010 wieder überflutet wurde, in Riesa haben wir am Abschnitt der B 169 gar keine Änderungen vorgenommen und die Röderauer Häuser an der Ampel-Kreuzung würden nach wie vor überflutet. Da können wir nichts dagegen tun.