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Wie es zur Zerstörung des Hirschgrunds kam

Vor über 100 Jahren wurde der Bachlauf in Schöna gepflastert und eingemauert. Später geriet er in Vergessenheit. Das wurde beim Unwetter zum Verhängnis.

Von Dirk Schulze
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Die Niedermühle im Hirschgrund war eine von vielen. Das Wasser floss in Kaskaden zur Elbe hinunter.
Die Niedermühle im Hirschgrund war eine von vielen. Das Wasser floss in Kaskaden zur Elbe hinunter. © Marko Förster

Die Schilderung zeigt die Dramatik: "Das Licht geht aus! Der Strom ist weg! Neben dem Haus tobt der Mühlgrundbach. Es poltert und dröhnt, das Wasser steigt unaufhörlich, schon schwappt es über die Brücke zum Nachbargrundstück. Wird die Brücke standhalten?" Mit diesen Sätzen beschreibt Anwohner Helmut Paul den Beginn der Überschwemmungen im Hirschgrund in Schöna am 16./17. Juli.

Mittlerweile ist klar, dass das Juli-Unwetter allein in Reinhardtsdorf-Schöna einen Schaden von etwa 40 Millionen Euro verursacht hat. Die Gemeinde ist damit am schwersten von dem Starkregen und seinen Folgen betroffen, ein Großteil davon entfällt auf den Hirschgrund, wo meterhohe Stützmauern und Teile der Straße hinweggespült wurden.

Für Helmut Paul, Jahrgang 1938, Kletterer und Autor von Reiseberichten, der am unteren Ende des Hirschgrunds wohnt, kam die Katastrophe kaum überraschend. "Das Problem tritt nicht das erste Mal auf", erklärt er. Jeder Starkregen räume das Bachbett leer. Mit Erstaunen habe er beim Unwetter von 2010 entdeckt, dass der gesamte Bachgrund mit großen Quadern gepflastert sei. Schon damals habe es kleine Lücken in der Pflasterung gegeben und Schäden an den Mauern - immer dort, wo der Bachgrund fehlte.

Ein Teil dieser Schäden wurde behoben. Diese Mauern stehen auch heute noch, sagt Helmut Paul. An den anderen Stellen spülte das Wasser sie fort.

Hirschgrund war einst ein industrialisiertes Tal

Im 19. Jahrhundert war der Mühlgrundbach der am stärksten industrialisierte Wasserlauf der Sächsischen Schweiz, berichtet Paul. Acht Mühlen nutzten seinerzeit das starke Gefälle. Der Bach wurde damals zum ummauerten und gepflasterten Kanal umgebaut, der in Kaskaden zur Elbe hinablief.

Das Tal war entwaldet, jeder Platz wurde genutzt. Auf hohen Stützmauern entstanden Lagerflächen für die Sägewerke. An den Wänden des Tales gab es Steinbrüche, die Lockermassen wurden hinter die Stützmauern verfüllt.

In dem einst industrialisierten Tal mit Mühlen und Sägewerken wuchs ein dichter Wald heran.
In dem einst industrialisierten Tal mit Mühlen und Sägewerken wuchs ein dichter Wald heran. © Daniel Schäfer

Heute ist der Hirschgrund fast völlig verlassen. Die letzte Fabrik schloss nach der Wende, Pflegemaßnahmen seien in den letzten 50 Jahren nicht durchgeführt worden, schreibt Anwohner Helmut Paul. Es entstand ein natürlicher Wald. Dort, wo noch 1950 alles kahl war, wuchsen die Bäume bis zu 30 Meter hoch. Und ab und zu fiel einer um.

Anwohner hatten vor den Gefahren gewarnt

Seit Jahren habe er die Behörden auf die toten Bäume im Bachbett und die Löcher im Bachgrund aufmerksam gemacht, sagt Helmut Paul. Die Gebrüder Büttner von der stark in Mitleidenschaft gezogenen Niedermühle sprechen sogar von Bäumen, die Bachbett wuchsen. Passiert ist letztlich nichts. Für die Beräumung und Sanierung sei kein Geld da gewesen, sagt Helmut Paul, was allerdings nicht die Schuld der Gemeinde sei, wie er betont.

Der Mühlgrundbach gilt als Gewässer zweiter Ordnung, für seine Unterhaltung ist die Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna verantwortlich. Wie das Landratsamt Pirna mitteilt, habe es im Jahr 2016 eine Begehung im Bereich der Niedermühle mit Vertretern des Landratsamts und dem damaligen Bürgermeister gegeben. Dass an dem einst ausgebauten Bach seit Jahren nichts passiert war, war den Behörden also bekannt. Schon damals habe die Gemeinde aber erklärt, dass sie den Ausbauzustand nicht aus eigener Kraft erhalten kann.

Die Straße ist weggebrochen, das Geländer hängt in der Luft. Der Hirschgrund in Reinhardtsdorf-Schöna ist auch für Wanderer und Radfahrer gesperrt.
Die Straße ist weggebrochen, das Geländer hängt in der Luft. Der Hirschgrund in Reinhardtsdorf-Schöna ist auch für Wanderer und Radfahrer gesperrt. © Daniel Schäfer

Im Fokus der Gemeinde liege der Erhalt der Straße und der Straßenstützmauern, erklärt das Landratsamt. Es entspreche durchaus den rechtlichen Grundsätzen, dass zerstörte Ufermauern nicht wieder aufgebaut, sondern in einen naturnahen Zustand zurückversetzt werden sollten, erklärt das Landratsamt. Die Ufermauern an privaten Grundstücken wiederum lägen in der Verantwortung der jeweiligen Grundstückseigentümer.

Der heutige Bürgermeister von Reinhardtsdorf-Schöna, Andreas Heine (Wählervereinigung 94), ist seit Juni 2020 im Amt. Zu dem, was in den Jahren davor im Hirschgrund passierte oder nicht passierte, könne er keine Aussagen treffen, erklärt Heine.

Hoffnung für Wiederaufbau

Aktuell ist der Hirschgrund wegen der weggebrochenen Straße weiterhin gesperrt - auch für Fußgänger. Es bestehe die Gefahr, dass auch der verbliebene Rest der Böschung noch absackt. Für den Wiederaufbau der Straße gibt es aber Hoffnung, erklärte Bürgermeister Andreas Heine. Es deute alles darauf hin, dass ein bundesweiter Hochwasserfonds eingerichtet wird, aus dem die Gemeinde dann Flutgelder beantragen kann.

Dies gilt auch für Privatleute. Dort, wo es möglich ist, sollten betroffene Einwohner mit dem Baubeginn besser noch warten, damit es keine Schwierigkeiten mit den Fördermitteln gibt. Eine nachträgliche Förderung ist kaum möglich. Wann der Hochwasserfonds bereitsteht, ist allerdings noch offen.

Für die Sicherung der 1854 erbauten Niedermühle, an der die meterhohe Sandsteinmauer fortgerissen wurde, stehen Gelder von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Aussicht. In den kommenden Tagen wird es dafür einen Ortstermin mit den Denkmalexperten an der Mühle geben.