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Katastrophenwinter in Dresden

Zu Weihnachten herrschte vor 40 Jahren noch Tauwetter. Zum Jahreswechsel brachen Schneestürme los.

Von Ralf Hübner
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Wintereinbruch 1978: Schnee türmt sich auf den Straßen.
Wintereinbruch 1978: Schnee türmt sich auf den Straßen. © Marco Klinger

Der Winter hält sich zurück. Das Thermometer zeigt fünf Grad über null, und wieder einmal ist kein Schnee in Sicht. Doch das kann sich rasch ändern, wie es die Menschen vor 40 Jahren erfahren mussten. Damals setzte plötzlich strenger Frost ein, das Land versank zum Jahreswechsel meterhoch in Schnee und Eis. Stürme fegten über das Land. Straßen und Schienen waren teilweise wochenlang unpassierbar. Der Wintereinbruch zum Jahreswechsel 1978/79 gilt als eines der ungewöhnlichsten Wettereignisse des vergangenen Jahrhunderts. In der damaligen Bundesrepublik starben 17 Menschen. In der DDR blieben die genauen Zahlen im Dunkeln. Es wird von mindestens 5 Toten ausgegangen.

Das winterliche Drama begann mit einem Temperatursturz, wie er sich nur selten ereignet. Noch zu Weihnachten hatte es getaut. Niemand rechnete mit einer schnellen Rückkehr des Winters. Was sich dann ereignete, erklärte ein Experte vom Meteorologischen Dienst der DDR damals so: „Der Zusammenprall zwischen sehr kalter Luft im Norden und wärmeren Luftschichten im Süden führte zu einer scharfen Luftmassengrenze.“ Die Folge: Auf einer Entfernung von etwa 100 Kilometern herrschten Temperaturunterschiede von bis zu 20 Grad. Am Mittag des 31. Dezember wurde auf dem Fichtelberg noch ein Grad plus gemessen. Doch in nur wenigen Stunden fiel das Thermometer bis zum Neujahrsmorgen auf 27 Grad minus.

Rügen war abgeschnitten

Das Unheil war in Windeseile ab dem 29. und 30. Dezembers vom Norden her, von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, über das Land gekommen. Nach einem fast dreitägigen Schneesturm war die Insel Rügen von der Außenwelt praktisch abgeschnitten. Das öffentliche Leben erstarrte. Rund 3000 Urlauber, die auf der Insel die Weihnachtsferien verbrachten, saßen fest. Straßen waren unpassierbar. Eisregen war niedergegangen. Unter der zentnerschweren Eislast rissen Freilandleitungen, der Strom fiel aus und setzte den ländlichen Gemeinden auf der Insel schwer zu. Die Folge: keine Heizung, kein Licht, kein warmes Wasser, weder Radio noch Fernsehen. 

In vielen der eiskalten Ställe ging das Vieh qualvoll zugrunde. Hunderte Ortschaften waren tagelang kaum zu erreichen. Vereiste Weichen stoppten den Bahnverkehr. Vier Tage war die Verbindung zwischen Stralsund und Saßnitz unterbrochen. Bis zu sechs Meter hohe Schneeverwehungen versperrten den Hilfskräften den Weg. Manche der Schneeberge wurden von der Armee gesprengt. Lebensmittel wurden teilweise per Hubschrauber oder mit Kampfpanzern gebracht. Auch Kranke und Schwangere erhielten auf diese Weise Hilfe – wenn sie Glück hatten.

In der DDR wurde der Katastrophenalarm ausgelöst. Staatschef Erich Honecker weilte unterdessen im warmen Mosambik in Afrika auf Staatsbesuch. Ein Abbruch der Reise stand nicht zur Debatte.

In Sachsen muss Energie gespart werden

Dresden trifft es nicht ganz so hart wie die nördlichen DDR-Bezirke. Dennoch: Schon in der Neujahrsnacht gehen ab 1.30 Uhr kurzzeitig die Lichter aus. Die Theater, Kinos sowie der Kulturpalast bleiben wegen der „gegenwärtigen Energielage“ geschlossen, wie es in der Sächsischen Zeitung Anfang Januar heißt. Wegen der „komplizierten Lage in den Braunkohletagebauen und den Kraftwerken“ seien vorübergehende Abschaltungen bei der Strom- und der Wärmeversorgung „unvermeidbar“. Von der Stadt wurde angewiesen, dass die Straßen- und Schaufensterbeleuchtung sowie Lichtreklame ausgeschaltet bleiben. Auch die Dauerschaltung für Haus- und Hofbeleuchtung sei zu unterlassen, hieß es. Die Bürger werden zum „sparsamsten Energieverbrauch“ aufgefordert.

Nur langsam gelingt es den Räumdiensten, die Hauptstraßen vom Schnee zu befreien. Schon geräumte Abschnitte werden oft schnell wieder zugeweht. Die Straßenbahn der Linie 7 fährt am 3. Januar erstmals wieder bis nach Weixdorf, nachdem Verwehungen die Strecke zuvor unpassierbar gemacht hatten. In einigen Schulen fällt für einige Tage der Unterricht aus. Die Belegschaften der Betriebe und die Bürger werden zum kollektiven Schneeschippen aufgerufen.

Die Berichterstattung zum Winterdrama füllt nahezu täglich mehreren Zeitungsseiten. Die Reporter sind auf Bahnhöfen, in Heizkraftwerken und Versorgungsbetrieben unterwegs und berichten, wie „Zehntausende Werktätige dem extremen Wetter trotzen“ und vom „Kampf gegen die Naturgewalten“. Diese fahren schon bald Sonderschichten, um die Planrückstände der Betriebe wieder aufzuholen. Der sozialistische Dank gilt ihrem „heldenhaften und aufopferungsvollen Kampf“. Doch Mitte Februar 1979 wiederholt sich die gefährliche Lage und Mitte März gibt es noch eine dritte Schneewelle.

Nur acht Jahre später wiederholt sich das Szenario so ähnlich. In der Nacht vom 13. zum 14. Januar 1987 erlebt Berlin die kälteste Januarnacht des Jahrhunderts. Vom 10. bis zum 15. Januar steigen die Tagestemperaturen in vielen Orten nicht über minus 20 Grad. Erneut gefriert die Kohle in den Tagebauen. In Dresden herrscht an 36 Tagen in Folge Frost.

Nord- und Ostseeküste waren 1963 vereist

Ausdauernde Winter gab es im vergangenen Jahrhundert in Dresden immer wieder. Der Januar 1963 etwa war einer der kältesten des vergangenen Jahrhunderts – mit Dauerfrost und teils extremen Minustemperaturen. Die Weichen der Straßenbahn froren immer wieder ein, die Busse konnten den Verkehr kaum bewältigen. Soldaten und Arbeiter halfen beim Abladen der Kohle von Güterwaggons am Kraftwerk. Auch damals mussten Theater und Kinos vorübergehend schließen. Die Arbeiter in den Betrieben wurden zu Wintereinsätzen abkommandiert. Nach und nach froren alle Flüsse, Kanäle und Seen zu, auch die Küsten von Nord- und Ostsee waren vereist. Damals war die Elbe bei Dresden das letzte Mal komplett zugefroren. In den bis ins Mittelalter zurückreichenden Aufzeichnungen wird dieses Ereignis insgesamt 37 Mal vermerkt.

Am 7. Februar 1956 behindern meterhohe Schneeverwehungen den Verkehr in Dresden. Es herrscht dichtes Schneetreiben mit einer Sicht bis zu 100 Meter. Es bildet sich im Stadtgebiet eine 17 bis 20 Zentimeter hohe Schneedecke. Immer wieder bleibt die Straßenbahn an den Weichen stecken, gibt es Verkehrsstörungen. Am 6. März 1970 lagen noch 50 Zentimeter Schnee, der erst am 20. März weggetaut war. Am 29. März fielen noch mal zwölf Zentimeter, die zwei Tage später bei mehr als 13 Grad plus wieder wegschmolzen.

Der Kälterekord von minus 30,5 Grad in der Dresdner Innenstadt wurde jedoch am 11. Februar 1929 gemessen, gefolgt vom 9. Februar 1956 mit minus 27 Grad.