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Kein Platz für Altes im neuen Robotron?

In der Lingnerstadt soll ein Viertel mit Parkcharakter gebaut werden. Jetzt gibt es Vorschläge für historische Bezüge.

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© Robert Michael

Von Lars Kühl

Die ersten Robotron-Riegel am Georgplatz sind gefallen. Die Weitläufigkeit wird allerdings nicht lange zu sehen sein. Denn der Kasseler Investor Immovation steht in den Startlöchern und lässt in der Lingnerstadt in den nächsten Jahren ein neues Wohnviertel hochziehen.

Das Palais Kaskel-Oppenheim an der Bürgerwiese war als Stadtpalast ein typisches Beispiel für den Dresdner Historismus.
Das Palais Kaskel-Oppenheim an der Bürgerwiese war als Stadtpalast ein typisches Beispiel für den Dresdner Historismus. © Deutsche Fotothek

Star-Architekt Peter Kulka (unter anderem Umbau Sächsischer Landtag) hat seine Entwürfe mit New Yorker Central-Park-Charme durch die Nähe zum Großen Garten und zum Blüherpark bereits vorgestellt. Platz für Nostalgie ist darin nicht. Weder für den Kantinen-Flachbau der DDR-Computerschmiede, der auch nach der politischen Wende noch als Speisegaststätte für die Mitarbeiter benachbarter Bürokomplexe, später als Diskothek und zuletzt als Probebühne von der Semperoper genutzt wurde, noch für die Vorkriegsbebauung.

Das ehemals dichte Nebeneinander der verschiedenen Häuser will Kulka im neuen Viertel zwar aufgreifen. Rekonstruktionen einzelner Gebäude kommen für ihn aber nicht infrage. Auch ein einzelnes Objekt, quasi als Reminiszenz und Aushängeschild, möchte der Architekt nicht wieder aufbauen. Genau das hatte ihm Felix Richter jetzt vorgeschlagen. Der 33-Jährige interessiert sich sehr für die Geschichte seiner Heimatstadt und ist Mitglied der Gesellschaft Historischer Neumarkt. In den Entwürfen für das Gebiet an der Bürgerwiese vermisst er den Vergangenheitsbezug.

Der Wiederaufbau des Palais Kaskel-Oppenheim würde Stadtgeschichte erlebbar machen und sich gut in das Viertel einfügen. Dabei handelt es sich um jenes palastähnliche Bauwerk, dessen Vorbild in Florenz steht (Palazzo Pandolfini). Zwischen 1845 und 1848 ließ Gottfried Semper im Englischen Viertel für den Bankier Martin Wilhelm Oppenheim an der Ecke zur heutigen Zinzendorfstraße das zweieinhalbgeschossige Palais mit einer Frontlänge von 35 Metern errichten. In seinem Neorenaissance-Stil war es ein typisches Beispiel für den Dresdner Historismus. Nach mehreren Eigentümerwechseln kam das Palais 1870 in den Besitz der Familie Kaskel – die zwei Jahre später die Dresdner Bank gründeten. Das Kreditinstitut war bis zu seiner Fusion mit der Commerzbank vor acht Jahren immerhin Deutschlands drittgrößte Bank.

Das repräsentative Sandsteingebäude überzeugte auch mit seinem prunkvollen Treppenhaus, seinen reich geschmückten Sälen sowie den verzierten Wänden und Decken. Selbst als die Familie Kaskel die Innenausstattung, die Semper entworfen hatte, umgestalten ließ, um mit der neuen Dekoration mehr den zeitgenössischen Geschmack zu treffen, büßte das Palais keineswegs an Glanz ein. Nach den Luftangriffen am Ende des Zweiten Weltkrieges brannte es komplett aus. Seine äußerliche Hülle blieb allerdings erhalten.

Denkmalpfleger Hans Nadler forderte, die Fassade zu schützen. Der Ruine wurde aber zum Verhängnis, dass sie in einem „Großberäumungsgebiet“ lag. Dazu hatten Anfang 1951 die DDR-Oberen das Areal zwischen dem Blüherpark, der Bürgerwiese, der heutigen St. Petersburger Straße und der Lingnerallee erklärt. Ein Platz der Jungen Pioniere sollte dort für das erste Pioniertreffen ein Jahr später entstehen. Auf dem Grundstück des Palais Kaskel-Oppenheim war ein monumentales Haus der Pioniere geplant. Nadler wurde von seinem Vorgesetzten überstimmt, der dazu vom Rat der Stadt unter Oberbürgermeister Walter Weidauer aufgefordert worden war. Ende April wurde das Palais trotz Protests der Landesamtes für Denkmalpflege gesprengt. Nur wenige Monate später wurden auch die Pläne für den Neubau des Pionierhauses aus Geldmangel ad acta gelegt. Stattdessen wurde der Pionierpalast in Schloss Albrechtsberg eingerichtet.

Auch deshalb setzt sich Felix Richter für eine Rekonstruktion des Oppenheimpalais ein. „Es würde ein Stück weit die Dresdner Seele heilen, gerade weil die Abtragung für das nie gebaute Haus der Pioniere völlig sinnlos war“, schrieb er an Kulka. Dieser hatte ihm geantwortet, dass die Stadt mit der Frauenkirche, dem Neumarkt, dem Residenzschloss und der Semperoper bereits über genügend geschichtsträchtige Orte verfüge. Diesen müsse man etwas „Neues entgegensetzen und den Platz dafür an richtiger und wichtiger Stelle bereitstellen“. So wie in der Lingnerstadt.

Richter sieht das anders und dürfte seine Meinung in Dresden nicht exklusiv haben. Orte, wo Neues dominiert, seien jetzt schon in der großen Überzahl. Er zählt auf: am Postplatz, an der Prager Straße oder am Wiener Platz, wo inzwischen die historischen Bezüge (fast) völlig fehlen.

Doch Kulka will Altem in seinem Viertel mit Gartencharakter keinen Platz geben. Bei der Robotron-Kantine sollten er, beziehungsweise der Investor, es sich möglicherweise noch einmal überlegen. Die steht zwar inzwischen leer und der schnelle, bereits genehmigte Abriss droht. Jetzt haben die Linken und Grünen aber einen Eilantrag in die nächste Stadtratssitzung in der kommenden Woche eingebracht. Das Gebäude soll aus denkmalpflegerischer Sicht neu bewertet werden, erklärt Tilo Wirtz von den Linken. Wenn die Kantine saniert sei und einen Betreiber gefunden habe, könnte sie künftig als Café und Treff für Kreative reizvoll sein, sagt Thomas Löser (Grüne). Der Investor würde nicht einmal Baufläche verlieren, denn auf dem Platz sollen Bäume gepflanzt werden.