Von Daniel Klein
Das Zeugnis des Chefs fiel vernichtend aus. Eine „unterirdische Mentalität und Einstellung“ bescheinigte Ralf Rangnick seiner Mannschaft, er sah „Totalausfälle auf zu vielen Positionen“ und hätte auch „fünf oder sechs Gegentore“ als gerechte Strafe empfunden. „Ich stelle mich sonst gerne vor die Spieler, aber diesmal fällt mir das schwer“, erklärte der Trainer von RB Leipzig nach der 2:3-Niederlage zum Auftakt der Gruppenphase in der Europa League gegen die kleinere Red-Bull-Filiale Salzburg. Emotion und Rotation waren die Schlüsselwörter – das erste muss sich dringend ändern, am zweiten will Rangnick unbedingt festhalten.
Wie groß das Entsetzen über das hilflose Herumgestochere selbst innerhalb der Mannschaft war, zeigte sich in der Pause, in der Rangnick gleich dreimal wechselte. Yussuf Poulsen wurde vom geschonten Emil Forsberg mit dem Auftrag auf den Platz geschickt: „Zeig denen, was Mentalität ist.“ Gemeint waren die Mitspieler, nicht der Gegner. Eine alarmierende Botschaft. Der Trainer hatte „nicht das Gefühl, dass alle, die auf dem Platz standen, gewusst haben, was da an Dynamik und Wucht auf sie zukommt“, erklärte Rangnick. „Dabei hatten wir es ihnen in den Tagen davor mit Nachdruck eingeschärft.“
Die Mängelliste war umfangreich. Neben dem zumeist körperlosen Spiel in der Offensive kamen haarsträubende Fehler in der Defensive. Den ersten Punkt konnte Rangnick durch seinen Dreierwechsel ansatzweise beheben, der zweite blieb. Und das ist ein grundlegendes Problem. Sieben Treffer kassierten die Rasenballer in den ersten drei Bundesligapartien – und nun drei in der Europa League im eigenen Stadion. „Wenn man sich die Gegentore anguckt: Das zieht sich ja seit längerer Zeit bei uns durch“, meckerte Diego Demme.
„In dem einen oder anderen Fall hat es auch etwas mit Physis zu tun“, bemerkte Rangnick, der in der Vorbereitung Dayot Upamecano namentlich angezählt hatte. Der Franzose war offenbar ohne Laufschuhe in den Urlaub geflogen. Am Donnerstag bekam nun Nebenmann Ibrahima Konaté einen öffentlichen Tadel. Als er die Leistung des Innenverteidigers einschätzen wollte, stockte Rangnick kurz und meinte resigniert: „Das hat ja jeder selbst gesehen.“ Nur: Eine Alternative zum 19-Jahre-Franzosen-Duo gibt es kaum, weil es Willi Orban nicht nur an Schnelligkeit mangelt. Trotzdem wird der Kapitän am Sonntag gegen die Frankfurter Eintracht wohl wieder in die Startelf rotieren.
Auf sieben Positionen hatte der Trainer und Sportdirektor die Formation gegenüber dem letzten Bundesligaspiel verändert und den Großtausch hinterher verteidigt. „Wir haben von Anfang an so argumentiert, dass wir in die Europa League wollen, damit wirklich jeder Spielzeiten bekommt“, erklärte er. „Wenn man bei einem 18-Mann-Kader immer die gleichen aufstellt, weiß ich nicht, was das innerhalb der Mannschaft macht.“
Die jeweiligen Aufstellungen verraten allerdings, worauf er den Fokus legt: Die Europa League ist es offenbar nicht. In der nächsten Saison will RB unbedingt wieder in der Champions League dabei sein, dafür reicht Platz vier in der Liga. Um in allen drei Wettbewerben erfolgreich sein zu können, ist die Personaldecke einfach zu dünn. Gegen Frankfurt sollen zumindest die am Donnerstag angeschlagenen Timo Werner und Marcelo Saracchi zurückkehren – vor allem aber die Emotionen.