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Keine Ermittlungen gegen Retter

Die Dresdner Staatsanwaltschaft macht ganz kurzen Prozess: Noch vorm Vorladungstermin der Bundespolizei beendet sie die Ermittlungen gegen die Seenotretter von Mission Lifeline.

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© Stefan Becker

Dresden. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat Ermittlungen gegen zwei Mitglieder des Vereins Mission Lifeline aus Dresden wegen des Verdachts des Einschleusens von Ausländern eingestellt, bevor sich die beiden überhaupt zu den Vorwürfen äußern konnten.

Auf Geheiß der Staatsanwaltschaft hatte die Bundespolizei die beiden Vereinsgründer Axel Steier und Sascha Pietsch für den kommenden Donnerstag vorgeladen. Bei dem Termin sollten die beiden Stellung nehmen zum Vorwurf des versuchten Einschleusens von Ausländern. Basierend auf der Anzeige einer Privatperson hatte die Staatsanwaltschaft Dresden vor rund zwei Wochen die Ermittlungen gegen den Verein initiiert.

Sowohl die Vorladung, wie auch die Ermittlungen sorgten bei den Betroffenen und Kennern des Themas für große Irritationen. Zwar sammelt der Verein seit einem Jahr intensiv Geld für ein eigenes Rettungsschiff und ist seinem Ziel auch schon sehr nahe gekommen - aber noch kreuzt kein Schiff unter „Mission Lifeline“-Flagge vor der libyschen Küste.

Das Spendenkonto weist aktuell einen Betrag von 191 000 auf, was laut Verein rund 80 Prozent des benötigten Geldes entspricht. Ein von Schülern gebasteltes Spendensammel-Schiff dockte jüngst symbolisch beim Hightech-Konzern Globalfoundries an und auch von den Machern der „Tolerade“ nimmt Steier in den nächsten Tagen einen Scheck entgegen.

Viele Dresdner engagieren sich finanziell bei dem Projekt und mussten zweimal hinschauen, als sie von den Ermittlungen lasen. Schließlich agieren seit fast zwei Jahren mehrere private Hilfsorganisationen im Mittelmeer und retten permanent Menschen vor dem Ertrinken. Auf Nachfrage teilten sowohl „Sea-Watch“ wie „Sea-Eye“ und „Jugend rettet“ mit, dass noch nie gegen sie ermittelt worden sei wegen des Verdachts des Schleusens von Ausländern.

Und auch die Bundesmarine, einer der größten Retter im Mittelmeer, weiß bisher von keinen Ermittlungen gegen sich: „Im Einsatzführungskommando der Bundeswehr sind keine Ermittlungsverfahren gegen Bundeswehrangehörige wegen der Seenotrettung im Rahmen der EUNAVFOR MED Operation SOPIHA bekannt“, schreibt Marine-Sprecher und Korvettenkapitän Bastian Fischborn.

Soldaten der Deutschen Marine haben seit Mai 2015 im „Zentralen Südlichen Mittelmeer“ 20 281 Menschen aus Seenot gerettet, teilte Fischborn weiter mit: Insgesamt haben die Einheiten der EUNAVFOR MED mehr als 39 000 Menschen aus Seenot gerettet.

In seinem Schreiben erklärt der Offizier auch kurz den juristischen Hintergrund der Seenotrettung: „Seenotrettung ist eine völkerrechtlich verbindliche Pflicht jedes Seefahrers. Sie ergibt sich aus Art. 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen („United Nations Convention on the Law of the Seas“) in Verbindung mit dem Internationalen Übereinkommen zum Schutze menschlichen Lebens auf See („International Convention for the Safety of Life at Sea“) und dem Internationalen Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See („International Convention on Maritime Search and Rescue“).“

Entsprechend erklärte jetzt die Staatsanwaltschaft in Dresden, dass eine Strafbarkeit nur dann vorläge, wenn die geplanten Seenotrettungen ohne Einhaltung des Seerechts und ohne Beachtung der Regelungen der zuständigen Behörden erfolgen.

Von solchen strafbaren oder kriminellen Praktiken seien die privaten Helfer aber seemeilenweit entfernt, erklärt Axel Steier. Erst am Wochenende sondierte er auf Malta die Lage, wo die meisten Rettungsschiffe stationiert sind. Die Einsatzbefehle erhalten die Kapitäne vom Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) in Rom. Die Seenotrettungsleitstelle überwacht das gesamte Mittelmeer, dort laufen alle Notrufe von Schiffen und Booten in dem Seegebiet auf und die MRCC koordiniert dann alle notwendigen Rettungseinsätze.

Die Seenotretter eilen zu den durchgegebenen Positionen und sichern die Menschen mit Rettungsinseln und Nahrung, bergen Verletzte und versorgen sie auf den eigenen Schiffen, bis die größere Rettungsschiffe der italienischen Küstenwache kommen oder von der internationalen Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“.

Da deren Schiffe die aufgenommenen Flüchtlinge in die nahen italienischen Häfen bringen, drohte die italienische Regierung ihren EU-Partnern vor wenigen Tagen noch mit der Sperrung der Häfen.

Bisher nimmt Italien als einziges Land die Flüchtlinge auf, die von der libyschen Küste aus hinausfahren aufs Mittelmeer - und es werden immer mehr: In Italien seien seit Jahresbeginn nach UN-Angaben fast 20 Prozent mehr Flüchtlinge angekommen als im Vorjahreszeitraum, berichtete die Tagesschau. Insgesamt trafen damit seit Januar mehr als 83 000 Bootsflüchtlinge in Italien ein. Allein in der vergangenen Woche seien 12 000 Flüchtlinge an Italiens Küsten angekommen. Seit Januar sind laut Schätzungen schon 2 300 Menschen auf dem Weg über das Mittelmeer ums Leben gekommen.

Am Donnerstag will Italien im Kreis der 28 EU-Länder das Problem weiter diskutieren und hofft auf einen Akt der Solidarität. Bisher setzte die EU primär auf die Finanzierung der libyschen Küstenwache - und deren umstrittene Rückführungs-Praktiken widersprechen offenbar geltendem Recht.

Am Donnerstag sollte es auch zur Vorladung von Mission Lifeline bei der Bundespolizei kommen, doch der Termin hat sich für alle Beteiligten erledigt. Bleibt der Verfasser der Anzeige: „Wir werden uns die Akten besorgen und versuchen, den Anzeigenerstatter zu schnappen“, sagt Steier.

Er vermutete, dass sie aus den Reihen der islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung kam. Mission Lifeline war 2016 juristisch gegen Pegida-Chef Lutz Bachmann vorgegangen, nachdem er einen ihre Arbeit diskreditierenden Post geschrieben und den Verein als kriminell hingestellt hatte. (szo/stb)