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Wie meinungsstark dürfen Lehrer im Unterricht sein?

Im sogenannten Beutelsbacher Konsens ist festgelegt, wie sich Lehrer im Politikunterricht  verhalten sollen. 

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Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, müssen Lehrer auch im Unterricht kontrovers darstellen.
Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, müssen Lehrer auch im Unterricht kontrovers darstellen. © dpa/Julian Stratenschulte

Es war schon mal so weit. 1976. Menschen im Bildungswesen haben gestritten. Ihr Streit endete allerdings mit einem Ergebnis, das Streitigkeiten selten vergönnt ist: im Konsens. Der Beutelsbacher Konsens ist nach dem Ergebnis dieses Streits und nach der Kleinstadt Beutelsbach benannt. Auf Initiative der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg wurde in Beutelsbach im Jahr 1976 während einer Fachtagung ein Regelwerk erarbeitet, das für politisch-historischen Unterricht in Schulen bis heute als Standard gilt. In Deutschland und in vielen weiteren Ländern. Drei Grundsäulen tragen den Konsens:

1. Das Indoktrinationsverbot, auch Überwältigungsverbot genannt, das Lehrern verbietet, Schülern mit ihren Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau nämlich, so die Landeszentrale, verlaufe die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Letztere sei „unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten“ Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.

2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, müssen Lehrer auch im Unterricht kontrovers darstellen. Eine Forderung, die eng mit dem Indoktrinationsverbot verknüpft ist. Lehrer müssen unterschiedliche Standpunkte, Optionen und Alternativen erörtern, um Schülerinnen und Schüler nicht zu indoktrinieren. Die Landeszentrale schreibt dazu: „Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich, warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden.“

3. Lehrer müssen Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren. Sie müssen dazu im Stande sein, „nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.“ Letzteres bedeutet unter anderem, dass Schülerinnen und Schüler sich ihrer Möglichkeiten bewusst sein sollen, politisch zu agieren – sei das durch ihr Wahlrecht, durch ein Gespräch mit ihrem Abgeordneten oder durch ihre Demonstrationsfreiheit.

Im Zuge der Meldeplattformen der AfD gegen Lehrer erwähnen Menschen den Beutelsbacher Konsens wieder häufiger. Und interpretieren ihn oft falsch. Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, die Geburtshelferin des Konsens, betont: „Der Beutelsbacher Konsens verpflichtet Lehrkräfte gegen Indoktrination, aber nicht zur Werteneutralität.“

Selbstverständlich, so die Zentrale, seien Lehrer „zuallererst dazu verpflichtet, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit die Werte des Grundgesetzes und der Landesverfassung einzutreten. Zudem haben sie die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler im Geiste der Demokratie, Menschenwürde und Gleichberechtigung zu erziehen. Die dafür notwendige Überparteilichkeit ist nicht mit Werteneutralität zu verwechseln.“

Lehrer dürfen keine politisch relevanten Positionen ausblenden oder bewerben, auf eine eigene Wertung von aktuellen politischen Ereignissen müssen sie aber nicht verzichten. Didaktik-Professor Tim Engartner konkretisierte kürzlich in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung die Zeit: Lehrer „dürfen den Besuch einer Anti-AfD-Demo nicht zu einer Schulveranstaltung machen, aber sie können darauf hinweisen, dass eine Demonstration stattfindet, und natürlich auch persönlich teilnehmen.“ Die Haltung der AfD in der Migrationsfrage, so Engartner, „können Lehrerinnen und Lehrer folglich ablehnen, wenn ihre Sichtweise im Klassenzimmer nicht absolut gesetzt wird, sondern andere Wertungen zugelassen sind.“ Auch die Bremer Landesregierung stellte kürzlich nach einer Dienstaufsichtsbeschwerde der AfD fest: "Lehrer dürfen Mitteilungen von Parteien kritisch zerpflücken, historisch Parallelen ziehen und sie in einen Kontext stellen."

Die baden-württembergische Landeszentrale für politische Bildung sieht in dem Konsens nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht der Lehrer, politisch zu bilden: „Wenn ein amerikanischer Präsident pauschal über einzelne Bevölkerungsgruppen herzieht, die Unabhängigkeit von Richtern infrage stellt, Wahlergebnisse zu seinen Ungunsten nicht anerkennen will oder kritische Medien am liebsten verbieten würde, dann ist dies im Gemeinschaftskunde-Unterricht im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung selbstverständlich kritisch zu beleuchten. Dasselbe gilt auch für politische Parteien, die Antisemiten in ihren Reihen dulden, erkennbare personelle Überlappungen in die rechtsradikale und rechtsextremistische Szene aufweisen und deren Abgeordnete bei Demonstrationen mitlaufen, bei denen offen der unter Strafe stehende Hitler-Gruß gezeigt wird. Dies kann im politischen Unterricht nicht nur kritisch angesprochen werden, dies muss kritisch angesprochen werden.“ (SZ/fak)

https://www.lpb-bw.de/beutelsbacher-konsens.html