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Kiew hofft auf Amerika

Bei seiner Ukraine-Visite trifft US-Vize Biden auf alte Bekannte, aber eine neue Situation.

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© Itar-Tass

Von Nina Jeglinski

Als US-Vizepräsident Joe Biden gestern Nachmittag auf dem Kiewer Flughafen Borispol landete, hat er vielleicht an seine letzte Ukraine-Visite im Juli 2009 gedacht. Damals hatte der frisch ins Amt gewählte US-Präsident Barack Obama gerade einen „Neustart“ der Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten verkündet. Obwohl der Georgienkrieg noch kein Jahr her war, musste Biden den Ukrainern klarmachen, dass es auf absehbare Zeit weder für Georgien noch für die Ukraine einen Beitritt zur NATO oder EU geben werde.

Vieles hat sich seit damals verändert. Die Ukraine durchlebt die schwerste Krise seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991, der versprochene Neuanfang des russisch-amerikanischen Verhältnisses ist ausgeblieben. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten zu 2009: Auch heute steckt die Ukraine in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wie vor fünf Jahren befindet sich das Land im Präsidentschaftswahlkampf. Biden wird auf altbekannte Gesichter, aber auch auf neue Akteure treffen.

Ein Wahlkämpfer von 2009 ist heute Regierungschef, zwar nur übergangsweise, aber mit großen Ambitionen. Arsenij Jazenjuk ist der Favorit der US-Politik, bei Republikanern wie bei Demokraten genießt der 39-Jährige Vertrauen. Auch die beiden aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten, der Oligarch Petro Poroschenko und die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, erhoffen sich ein offenes Ohr Bidens. Bei seinem letzten Kiew-Besuch hatte Timoschenko fast vier Stunden mit Biden gesprochen. Danach entschuldigte sich der Vize-Präsident bei den Medienvertretern auf der verspäteten Pressekonferenz, die Gespräche hätten länger gedauert, „weil er eine der schönsten Frauen des Ostens getroffen habe“.

Dieses Mal wird es anders ausgehen. Russland hat die Krim völkerrechtswidrig besetzt, im Osten des Landes braut sich ein militärischer Konflikt zusammen. In der EU und den USA gibt es viele, die einen neuen „Kalten Krieg“ befürchten.

In der Ukraine ziehen die verschiedenen politischen Kräfte trotz der Gefahr eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der Bedrohung durch Russland nicht an einem Strang. Zum einen ist Wahlkampf, zum anderen sind die Gräben, die durch die politische Landschaft des Landes gehen, zu tief. Auch zwischen Poroschenko und Timoschenko ist ein beinharter Wettbewerb ausgebrochen. Der Milliardär war am Wochenende in Israel und hat dort offen für Militärhilfe geworben. „Die Ukraine kann von der Terrorbekämpfung Israels viel lernen“, sagte der 48-Jährige nach einem Treffen mit Israels Außenminister Avigdor Liebermann.

Das Treffen mit Biden dürfte die Übergangsregierung in Kiew aufwerten und soll als Signal an Moskau bedeuten, die politische Führung in der Ukraine anzuerkennen. Russland hatte immer wieder kritisiert, die Übergangsregierung sei nicht der richtige Ansprechpartner, weil „sie sich ins Amt geputscht hat“. Auch in Teilen der ukrainischen Bevölkerung wächst die Kritik an Interimspräsident Alexander Turtschinow und Regierungschef Jazenjuk. Den beiden wird vorgeworfen, nicht hart genug auf die Annexion der Krim reagiert zu haben. Doch die ukrainischen Streitkräfte sind schlecht ausgestattet und dem russischen Militär komplett unterlegen.

Doch bei dem Streit in der Ostukraine will das Land dem russischen Nachbarn nun anders entgegentreten. Jazenjuk warnte am Wochenende in mehreren Interviews mit amerikanischen TV-Sendern wie CNN davor, Putin wolle eine neue Sowjetunion aufbauen, und dazu benötige er vor allem die Ukraine. Deshalb hofft das Land auf eine aktive Unterstützung des Westens. Wenn die EU sich nicht zu einer einheitlichen Linie durchringen könne, müssten die USA Vorreiter in der Verteidigung des osteuropäischen Raums sein.

Beobachter gehen davon aus, dass Biden den Ukrainern neben Militärhilfe auch mit wirtschaftlicher Unterstützung zur Seite springt. Der Internationale Währungsfonds wird in den nächsten Wochen die erste Tranche eines internationalen Hilfskredits in Höhe von fast 30 Milliarden US-Dollar auszahlen. Schon bald könnten zudem die ersten Militärberater aus den USA in der Ukraine eintreffen – auch, um aktiv der Armee zur Seite zu stehen.