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Kindersegen am Keulenberg

Großnaundorf ist das kinderreichste Dorf Sachsens. Die Bewohner haben eine einfache Erklärung dafür.

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© Matthias Schumann

Von Nicole Preuß

Endlich Schnee. Collin und Amon staunen. Die beiden Jungs aus Großnaundorf sind erst ein Jahr alt. Weiße Flocken haben sie noch nicht oft gesehen. Und doch ist für sie schon eins klar: Sie werden wohl in Zukunft keine Probleme damit haben, Freunde für die Schneeballschlacht zu finden. Denn Auswahl haben sie im Dorf genug. Collin und Amon gehören zu den 17 Großnaundorfer Babys, die im Jahr 2014 in der kleinen Gemeinde am Fuß des Keulenbergs zur Welt kamen. Diese Zahl klingt erst einmal nicht viel. Doch sie hat zur Folge, dass sich Großnaundorf vorübergehend die fruchtbarste Gemeinde Sachsens nennen darf. Denn so viele Kinder wie hier wurden bezogen auf die Einwohnerzahl nirgendwo in Sachsen geboren.

Die Mütter von Collin und Amon kennen sich aus der Krabbelgruppe. Die Eltern und ihre Kinder trafen sich – natürlich – in der Gemeinde. Babys gibt es hier schließlich genug. Einige Mütter waren schon vorher befreundet. „Das Schwangerwerden ist fast schon ein bisschen ansteckend.“ Franziska Dorn lacht. Die 27-Jährige lebt schon seit Jahren in Großnaundorf. Sie wohnte als Kind in dem Ort und kam als Jugendliche wieder zurück. Viele in ihrem Alter machten es so wie sie. Manche studierten in Dresden, andere kamen bis nach Berlin oder sogar Kuba, doch einige zog es in die 1000-Seelen-Gemeinde zurück.

Freie Kita-Plätze erst wieder 2017

Die meisten von ihnen bringen ihre Kinder nun wieder in den Kindergarten, in den sie einst selbst gegangen sind. Die Kita „Kleine Strolche“ liegt am Fußballplatz von Großnaundorf. Carola Klemm ist die Leiterin der gemeindeeigenen Einrichtung. Erst vor wenigen Monaten konnte sie den neuen Anbau in Betrieb nehmen. 20 neue Plätze entstanden in dem Haus. „Und nun sind wir schon fast wieder überbelegt“, sagt Carola Klemm. Die nächsten freien Plätze gibt es jetzt erst wieder 2017 zu vergeben.

Die Sportgemeinschaft Großnaundorf kann auch nicht über Nachwuchsmangel klagen. 80 Kinder spielen allein Fußball in den verschiedenen Altersklassen. Dazu kommt noch eine Nachwuchsmannschaft im Tischtennis. Jürgen Kästner ist der Vereinspräsident und gleichzeitig der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde. Sport verbindet viele Großnaundorfer. Das hört man überall. Im Sommer trifft man sich zudem im Freibad. Im Frühling und im Herbst bei der Kindersachenbörse.

Andrang zur Kindersachenbörse

Zwei Großnaundorfer Mütter haben sie einst ins Leben gerufen. Kathrin Müller ist eine davon. Erst fand die Börse auf dem Hof der Familie statt. Doch weil immer mehr Eltern kamen, um gebrauchte Sachen für ihren Nachwuchs zu kaufen, mussten sie sich nach etwas Größerem umschauen. Jetzt verkaufen sie zweimal im Jahr für drei Tage in Räumlichkeiten der Gemeinde. Und der Andrang ist groß. Zu manchen Zeiten sind kaum Parkplätze zu finden. Auch, weil viele Eltern inzwischen auch aus dem Umland zur Börse kommen.

Doch was macht Großnaundorf zu einer so fruchtbaren Gemeinde? Zugegeben, bei einer so geringen Zahl von Einwohnern, wirkt sich natürlich jede Geburt aus. Nicht umsonst waren in den vergangenen Jahren auch eher die kleineren Gemeinden die fruchtbarsten. Für 2013 trägt Ralbitz-Rosenthal diesen Titel. 2012 war Neschwitz die geburtenstärkste Gemeinde. Doch Bürgermeister Jürgen Kästner will trotzdem nicht an einen Zufall oder einen Stromausfall glauben. „Der Zusammenhalt in unserer Gemeinde und in unseren Vereinen ist immer da, obwohl wir in finanzieller Hinsicht nicht sehr verwöhnt sind“, sagt er. „Aber wir machen immer das Beste draus.“

Die Abgeschiedenheit wird geschätzt

Das gilt auch für die Familien. Einkaufsmöglichkeiten gibt es außer einem kleinen Laden kaum. Der Arzt kommt einmal die Woche zur Sprechstunde. Sonst halten immer mal Bäckerwagen oder Sparkassenmobil im Ort. Doch manche schätzen gerade die Abgeschiedenheit und doch wieder die Nähe zur Autobahn und damit zu Dresden.

Julia Dziwok kommt eigentlich aus Steina und hat sich vor wenigen Jahren mit ihrem Freund ein altes Häuschen in Großnaundorf gekauft. „Ich war in Berlin, Norwegen und Irland.“ Doch Großnaundorf fand sie schön. Die Ergotherapeutin kannte das Dorf von Hausbesuchen. „Man hat hier Natur, Ruhe, ist scheinbar weit ab vom Schuss, aber trotzdem nah dran“, sagt die 30-Jährige. Nachbarschaft werde gepflegt. „Und es ist irgendwie ursprünglich. Die Kinder können raus und selbstverantwortlich groß werden.“ Die Familie hat sich Tiere angeschafft, ein paar Schafe grasen nun neben dem Haus. Ein großes Plus ist die Nähe zur Familie. „Wenn man arbeitet, ist man mit Kind oft auf Eltern und Schwiegereltern angewiesen“, sagt Franziska Dorn. Und manchmal kann man abends das Babyfone auch einfach zum Nachbarn schaffen, wenn noch etwas zu erledigen ist. Franziska Dorn und ihr Mann haben eine Wohnung gemietet. Doch sie wollen bald ein Haus bauen. Natürlich im Dorf.

Einige Monate kann Großnaundorf den Titel genießen. Doch nach der Auswertung des Jahres 2015 ist es damit wohl vorbei. Nur zehn Kinder wurden von Januar bis Dezember in Großnaundorf geboren. Doch 2016 wirft seine Schatten voraus. Einige Frauen sind schwanger. Die Mannschaften für die Schneeballschlachten werden voll. Fehlt nur noch der Schnee.