Merken

„King Abode“ bleibt vorerst in Sachsen

Der mehrfach straffällig gewordene Libyer erhält voraussichtlich kein Recht auf Asyl in Deutschland. Doch abgeschoben werden kann er faktisch nicht.

Teilen
Folgen
© Uwe Soeder

Karin Schlottmann

Bautzen. Sicherheitsbeamte sieht man selten im Sächsischen Oberverwaltungsgericht in Bautzen. Selbst, wenn es um Asylprozesse geht, ist der Einsatz speziell ausgebildeter Kräfte meistens unnötig. Im Fall des Libyers Mohamed Youssef T. lässt die Justiz lieber Vorsicht walten. Vier Beamte kontrollierten am Mittwoch die Zuhörer, die die mündliche Verhandlung besuchen wollten. Zwei von ihnen setzten sich im Saal in die Nähe des Klägers.

Der junge Libyer ist in den vergangenen Jahren in Bautzen zu einer lokalen Berühmtheit geworden. Menschen, die sich um ihn kümmern, sagen, er lasse sich leicht provozieren. Unter anderem war er an Schlägereien auf dem Bautzner Kornmarkt beteiligt und aus Protest gegen die Verlegung in eine andere Unterkunft auf das Dach eines Heimes gestiegen. Der Spitzname „King Abode“, den er sich selbst zulegte, sorgte zusätzlich für erboste Reaktionen in der Stadt. Das Amtsgericht Dresden verurteilte ihn wegen eines gewalttätigen Angriffs auf einen Fahrgast in der Regionalbahn zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe. Weitere Verfahren wegen Sachbeschädigung, Beleidigung und Diebstahls sind anhängig. In Bautzen darf er sich laut einer Verfügung der Stadt drei Monate lang nicht mehr aufhalten.

Vor diesem Hintergrund war die Gerichtsverhandlung um seinen Asylantrag mit einigem Interesse erwartet worden. Der Vorsitzende Richter Dirk Munzinger stellte zu Beginn klar, dass es an diesem Tag ausschließlich um asylrechtliche Fragen und um die Lage in Libyen gehe. Das Verhalten des Klägers in Deutschland sei nicht relevant. Zwar könne Asylbewerbern, die wegen schwerer Straftaten verurteilt worden sind, deswegen Flüchtlingsschutz versagt werden. Doch im Falle des Libyers sei die gesetzliche Grenze noch nicht überschritten worden.

Der Kläger war 2014 über Italien und die Schweiz nach Deutschland eingereist. Das Bundesamt für Migration lehnte seinen Asylantrag ab. Auch das Verwaltungsgericht Dresden wies die Klage zurück. T. kommt aus einer Familie, die dem Stamm der Tuareg angehören. Die Tuareg gelten als Unterstützer des libyschen Diktators Gaddafi, viele Tuareg arbeiteten für den damaligen Machthaber. Auch der Vater und ein Bruder des Klägers standen in Diensten Gaddafis. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 machten die Islamisten Jagd auf die Tuareg. Vater und Bruder seien von Milizen getötet, und auch auf ihn sei geschossen worden, trug der Kläger vor.

Wie die Vorinstanz bezweifelt auch das Oberverwaltungsgericht, dass die Angehörigen des Klägers, die vor dem Bürgerkrieg keine herausgehobene Position innegehabt hätten, noch immer einer besonderen Gefahr ausgesetzt sind. Sie wohnen nicht in einem Risiko-Gebiet, hieß es. Auch Anspruch auf subsidiären Schutz sei voraussichtlich nicht gegeben. Die Lage in Libyen sei allgemein katastrophal, insbesondere gebe es keine medizinische Versorgung mehr. Eine erhöhte individuelle Bedrohung des Klägers sehen die Richter aber nach derzeitigem Stand nicht.

Ein Urteil will das Gericht am Freitag veröffentlichen. Selbst, wenn die Richter die Klage ablehnen und T. weder als Flüchtling anerkennen noch subsidiären Schutz gewähren, wird er wie andere abgelehnte Asylbewerber aus Libyen auf absehbare Zeit nicht abgeschoben. Angesichts der Lage in dem Land sei völlig unklar, mit wem die deutschen Behörden über Rückführungen verhandeln könnten, sagte Munzinger. Außerdem sei der Flughafen in Tripolis in der Hand einer islamistischen Miliz und deshalb als Zielort ungeeignet. Nach Auskunft des Innenministeriums leben in Sachsen 701 ausreisepflichtige Libyer.

Ein ausdrückliches Abschiebeverbot im Fall des Klägers will Munzinger wohl dennoch nicht erlassen. In den Urteilsgründen wird das Gericht aber voraussichtlich die Behörden auffordern, „King Abode“ nicht zurückzubringen, wenn sie mit islamistischen oder anderen gefährlichen Kräften in Libyen kooperieren müssten.