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Kisten, Katzen und eine Königstochter

Annett Wolf illustriert Bücher von Autoren wie Annelies Schulz. Bei ihrem Umzug nach Dittelsdorf gibt’s ein Malheur.

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© Matthias Weber

Von Silvia Stengel

Dittelsdorf. Rums, rums. Und noch mal rums. Annett Wolf lässt sich von dem Krach im Haus nicht aus der Ruhe bringen. Sie sitzt am Küchentisch in Dittelsdorf bei Zittau und redet über ihre Arbeit als freischaffende Illustratorin. Vor ihr liegt ein Block mit Zeichnungen. Im Regal an der Seite stehen Bücher, dazwischen die „Aphorismen“ von Annelies Schulz aus Taubenheim, die gerade erschienen sind. Annett Wolf hat sie schön illustriert. Wie sie dazu gekommen ist? Da rumst es wieder. Die Antwort muss warten. Die 41-Jährige will nun doch erst mal erklären, was es mit dem Krach auf sich hat. Sie ist kurz vor Weihnachten hier eingezogen, zusammen mit ihrer zehnjährigen Tochter, dem Lebensgefährten und einem Hund. Und mit zwei Katzen, die nun dummerweise in einem Raum eingesperrt sind. Die Tür ist zu, es gibt keinen Schlüssel und eine Wand muss durchbrochen werden, um die Katzen zu befreien. Das ist eigentlich nicht so schlimm, weil sie die Wand sowieso durchbrechen wollten. Aber sie hätten lieber in Ruhe eins nach dem anderen auf Vordermann gebracht in dem alten Bauernhaus.

Gemalt: Die Mohnblumen schuf Annett Wolf für Servietten, ein Auftragswerk.
Gemalt: Die Mohnblumen schuf Annett Wolf für Servietten, ein Auftragswerk. © Repro: privat
Gezeichnet: die Weiße Frau mit Bär und Wolf. Das Bild ist für eine Sage entstanden.
Gezeichnet: die Weiße Frau mit Bär und Wolf. Das Bild ist für eine Sage entstanden. © Repro: privat
Illustriert: Das Buch mit Aphorismen von Annelies Schulz ziert ein Apfelbaum. Es erschien im Oberlausitzer Verlag.
Illustriert: Das Buch mit Aphorismen von Annelies Schulz ziert ein Apfelbaum. Es erschien im Oberlausitzer Verlag. © PR

Nun ist die Wand eben eher dran. Als es nicht mehr rumst und ihr Lebensgefährte auftaucht und die Botschaft überbringt, dass die Katzen wieder frei sind, beantwortet sich die Frage nach dem Buch sozusagen von selbst. Der Mann ist Andreas Gerth, Inhaber des Oberlausitzer Verlages in Spitzkunnersdorf bei Zittau. Dort ist das Buch von Annelies Schulz erschienen. Die Schriftstellerin hatte sich eine kleine Illustration gewünscht und da lag es nahe, Annett Wolf zu fragen.

Das Blättern in dem Buch ist eine Freude, nicht nur durch die Aphorismen von Annelies Schulz. Annett Wolf hat ein eigenes Thema gewählt, nämlich Äpfel, die sich durch das ganze Werk ziehen und zugleich die Kapitel bedienen. Vorn ist ein Apfelbaum zu sehen, den Einband zieren Apfelhälften, das Vorwort umranden Zweige mit Blättern und Früchten. Am Anfang jedes Kapitels taucht der Apfelbaum wieder auf, erst mit Blüten, dann mit Früchten und schließlich mit fallenden Blättern. Dazu kommen Figuren. Beim Thema „Liebe, Ehe, Sex“ sind es Adam und Eva mit einer Schlange, beim „Glück“ eine Großmutter, die einen Baum pflanzt. Zum Schmunzeln verführt ein kleines drolliges Männlein beim Kapitel „Über die Dummheit und die Klugheit“, das neben einem Korb voller Äpfel steht, und ein weiterer Mann, dessen Korb leer ist. Zu dem drolligen Männlein sagt die Illustratorin: „Auch wenn er vielleicht dumm aussieht, er hat die Äpfel in seinem Korb, der andere nicht.“ Es könnte aber auch ganz anders sein. „Er hat vielleicht zu früh geerntet“, ergänzt sie. „Über Dummheit kann man streiten.“ Sie lacht.

Die Illustratorin arbeitet gern mit „so einem leisen Humor“. Der zeigt sich auch bei dem älteren Ehepaar am Ende des Buches: Das sitzt einträchtig am Kaffeetisch mit Apfelkuchen. „Sie hat schon zwei Stück auf ihrem Teller und er hat noch nichts“, sagt sie.

Zittau gibt Stoff für einen Krimi

Annett Wolf zeichnet auch Sagenfiguren wie Krabat und Wassermann. „Die weiße Frau vom Zangenberg“ ist mit Bär und Wolf zu sehen. Vielleicht ist sie eine Königstochter. Sie spukt jedenfalls gern in Schlössern. Die Illustratorin schreibt selber gerade ein Buch und dichtet dafür Sagen um. „Ich interpretiere sie neu“, sagt sie. „Das wird teilweise eine ganz andere Geschichte.“ Zittau gibt reichlich Stoff dafür her, so die Sage vom Ascheweibchen, das vor einem Angriff und einem großen Brand warnt und nicht erhört wird. Die Zeichnerin zeigt ihre ersten Entwürfe, eine ist noch sehr skizzenhaft, das Gesicht der Frau aber bereits farbig und deutlich zu erkennen. „So bekommt das Bild für mich schon Leben“, sagt sie. „Das Gesicht ist für mich das Zentrum, von dem alles ausgeht.“ Wie sie arbeitet, ist schnell erklärt: Sie zeichnet alles mit der Hand.

Aus der Sage vom Malzmönch könnte sogar ein Krimi werden. Sie geht zurück in Zeiten, als es in Zittau zahlreiche Bierbrauer und deswegen auch Neider gab. Ein Mönch ist sehr erfolgreich und ein junges Brautpaar versucht, ihm sein Geheimnis zu entlocken. Dabei ertrinkt das Paar und reißt den Mönch mit. Wegen des toten Mädchens erhält das Getränk den Namen Jungfernbier. An dieser Sage arbeitet Annett Wolf gerade. „Da fehlt noch das Ende“, sagt sie. Wann das Buch fertig sein wird, kann sie auch noch nicht sagen. Aber sie zeigt gern weitere Zeichnungen, die sie bereits aus den Umzugskisten geholt hat. Viele Bilder wirken dezent. Mit einer großen Farbpalette arbeitet sie aber auch, meist, wenn es um Aufträge geht, die nicht mit Büchern verbunden sind. So hat sie Blüten für Servietten entworfen und Hasenfamilien für Ostereier. Bei solchen Motiven ist ihre erste Ausbildung als Porzellanmalerin in Meißen zu spüren. Aufgewachsen ist sie im Erzgebirge in Johanngeorgenstadt. Später zog es sie nach Görlitz, wo sie Kommunikationspsychologie studierte. Das Thema ihrer Diplomarbeit war: Wie gestaltet man ein modernes Bilderbuch für Kinder? Über ihre Werke diskutiert sie natürlich auch mit ihrem Lebenspartner. Zoff gab es deswegen noch nicht. „Das kommt vielleicht bei schwierigeren Themen“, sagt sie. Seit 2000 arbeitet Annett Wolf als freischaffende Illustratorin. Nach Zwischenstopps in Hörnitz und Neueibau, beides bei Zittau, ist sie nun in Dittelsdorf gelandet. „Ruhe, Inspiration, den Weitblick, das haben wir zum Glück hier alles gefunden“, sagt sie. Auch der Verlag zieht nach Dittelsdorf.

Und als die erste Katze wieder zu sehen ist, atmet Annett Wolf auf. Sie nimmt das Tier in den Arm und geht vor das Haus. Diese Stille, die uralten Bäume. Bald werden sich hoffentlich auch die scheuen Katzen an die neue Umgebung gewöhnt haben. Das ist doch sicher schnell vergessen: das kurze Eingesperrtsein und das Rumsen.

www.oberlausitzer-verlag.de