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Klettern und streicheln für die Seele

In Radebeul-Mitte haben sich Psychotherapeuten in einer ungewöhnlichen Praxis zusammengeschlossen.

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© Norbert Millauer

Von Peter Redlich

Radebeul. Wenn es an der Tür im zweiten Stock der Wasastraße 128 klingelt, eilt Labradorhündin Juli schwanzwedelnd an den Eingang und begrüßt den Gast. „Manche Kinder sind nur zur Behandlung zu locken, weil sie von der Hündin wissen“, sagt Anett Große. Die Sozialpädagogin hat gemeinsam mit ihrem Hund eine Ausbildung zur Behandlung von traumatisierten Menschen gemacht. Mobbing in der Schule gehört beispielsweise dazu oder ein anderes schlimmes Erlebnis – etwa sexueller Missbrauch.

Seit Freitag ist die Gemeinschaftspraxis unter dem Namen FITZ (Freies Integratives Therapie Zenrum) in Radebeul-Mitte geöffnet. Ein Mann und sechs Kolleginnen, alle erfahrene Psychotherapeuten und Heilpraktiker. „Wir haben uns Anfang des Jahres kennengelernt. Alle waren in der Situation, etwas Neues, Eigenes beginnen zu wollen. Da haben wir uns erst beschnuppert und dann beschlossen, diese Gemeinschaftspraxis zu eröffnen“, sagt Frank Schumann. Nicht ganz einfach, weil die Kasse bestimmt, wo welche Praxen eröffnen dürfen. Drei der Neugründer sind auch Radebeuler.

Schumann ist der Exot und eben auch der einzige Mann in der Truppe im Alter zwischen 38 und 53. Der Exot deshalb, weil er als Heilpraktiker Klettertherapie anbietet. Nicht irgendwo draußen im Elbsandsteingebirge, sondern schon direkt in Radebeul in der Praxis. Im 36 Quadratmeter großen Kursraum ist eine komplette Kletterwand mit verschiedensten Griffelementen aufgebaut.

Schumann erzählt von Leuten, die sich noch nie sportlich betätigt haben, übergewichtig, teils mit einem sehr geringen Selbstwertgefühl. „Wenn solche Menschen überhaupt vom Boden abheben, es mit eigener Kraft schaffen, dann hebt das deren Selbstwertgefühl enorm. Ein erster Schritt, um Ängste und Sorgen loszuwerden“, schildert der Klettertherapeut. Vor allem auch mit der Möglichkeit, dies in einem geschützten Raum auszuprobieren, ohne Blicke im Rücken zu haben. Hyperaktive Kinder werden an der Kletterwand ruhiger. Sie haben Respekt und müssen sich konzentrieren. Für weitere Schritte gibt es natürlich auch die Möglichkeit, nach draußen in die Natur zu gehen, sagt Schumann.

Lilly Kozerski versucht, gestressten und verängstigten Menschen zu helfen. Sie hat Erfahrung mit der Behandlung von schwerst traumatisierten Menschen. Sie und auch ein Teil ihrer Kolleginnen arbeiten zugleich an der Uniklinik in Dresden und bringen viel Wissen von dort mit. Zu ihren Spezialitäten gehören aber auch solche scheinbar weniger schwierigen Behandlungen, wie Leuten Prüfungs- oder Flugangst zu nehmen. „Auch Schauspieler kommen zu mir, die vor einem Auftritt übernervös sind und nichts vermasseln wollen“, sagt die Therapeutin.

Das Programm der Mitstreiter in der neuen Gemeinschaftspraxis umfasst viele Möglichkeiten, Menschen zu helfen, den Kopf wieder frei für das wirkliche Leben zu bekommen. Dazu gehört nicht nur die Behandlung von Traumata nach schlimmen Erlebnissen und Familientherapie, sondern auch Anleitungen, um schon vor dem großen Zusammenbruch etwas selbst tun zu können.

Yoga-Kurse zählen dazu und ebenso sogenannte Achtsamkeitskurse. Lilly Kozerski: „Das sind Kurse, in den wir die Menschen dazu bringen möchten, aus dem gehetzten Leben wieder runterzukommen, auch kleine Dinge in ihrer Umwelt wieder wahrzunehmen. Letztlich sich selbst dahin zu bringen, den großen Burnout zu verhindern.“

Offenbar ist die Zahl der Menschen, die derartige Hilfe brauchen, auch hier im Kreis Meißen nicht klein und nimmt zu. Denn die ersten Besucher hatten die Therapeuten vom FITZ schon vor ihrer Eröffnung. Dabei ist die Praxis keine, zu der man wie zum Arzt kommt, sich ins Wartezimmer setzt und dann drankommt. „Alle unsere Termine werden vorher vereinbart, übers Telefon oder per E-Mail“, sagt Anett Große.“

Einige der Behandlungen zahlen Kassen. Andere müssen privat bezahlt werden. Auf der Internetseite stehen Preise ab 50 Euro die Stunde. „Wir beraten aber auch Patienten, wo sie finanzielle Unterstützung bekommen können, wenn die Kasse nicht zahlt“, sagt Frank Schumann. Die freundliche Begrüßung von Labradorhündin Julie ist in jedem Fall gratis zu haben.

www.fitz-radebeul.de