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Warum erwärmt sich die Arktis so schnell? Leipziger Forscher auf Flug-Expedition

Fünf Flugzeuge und ein Ballon sind derzeit in der Arktis unterwegs. Es geht um die Ursachen für eine außergewöhnliche Erwärmung dort. Unser Wissenschaftsredakteur war vor Ort.

Von Stephan Schön
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Das Eis schmilzt. Die Nordpolarregion verändert sich rasant. Mit Folgen direkt bis zu uns.
Das Eis schmilzt. Die Nordpolarregion verändert sich rasant. Mit Folgen direkt bis zu uns. © Stephan Schön

Es war wohl der wichtigste Tag dieser Expedition. Halo kehrt zurück. Kommt aus der Werkstatt in Basel wieder zum Dienst in der Expedition hinter den Polarkreis. Ohne das Stratosphärenflugzeug hätte diese bisher größte deutsche Flugexpedition in die Arktis nicht erfolgreich enden können. Doch nun fliegt Halo wieder zum Nordpol. Und mit ihm auch die Forscher aus Leipzig. Seit Montag sind nun fünf Flugzeuge in der Luft mit dem einem Ziel: zu verstehen, was da in der Arktis vor sich geht. Warum sich diese Region so viel schneller als andere erwärmt.

Nicht warm, sondern bitterkalt ist es derzeit im Hangar von Kiruna. Mehr noch davor. Bis auf minus 20 Grad sinkt nachts hier im arktischen Nordschweden die Temperatur. Sie steigt auch tagsüber nicht über null. Der zivile Flughafen Kiruna wird von nicht mehr als zwei, drei Maschinen täglich angeflogen. Es sind Skitouristen und Arbeiter für die größte Eisenerzmine Europas, die es hierher zieht.

Der Ort selbst mit seinen 22.000 Einwohnern bietet wenig Attraktion. Am ehesten noch das völlig überteuerte Eishotel vor der Stadt. Sonst stemmen sich die kleinen Häuser der Siedlung gegen den eisigen Wind. Ein kleiner Skihang dahinter und viel Wildnis drumherum. Die beginnt gleich hinter den riesigen Halden vom Bergwerk.

Stratosphärenflugzeug Halo auf Expedition in der Arktis. Halo befindet sich in Kiruna. Die Arena Arctica ist das Basecamp für die Forscher.
Stratosphärenflugzeug Halo auf Expedition in der Arktis. Halo befindet sich in Kiruna. Die Arena Arctica ist das Basecamp für die Forscher. © Stephan Schön

Es ist nicht der Ort, für den Schweden wegen seiner Landschaft so bekannt ist, sondern es ist das Eisenerz. Kiruna hat aber noch etwas von Bedeutung, seine Arena Arctica. Es ist das größte Gebäude am Flughafen, geschaffen für Forscher aus aller Welt. Wissenschaft kann sich hier einmieten. Hinter riesigen roten Rolltoren versuchen sich derzeit gleich drei Forschungsflugzeuge, sich vor der Kälte zu verbergen. Vergeblich. Der Wind zerrt an den meterhohen Toren. Er pfeift unten hindurch.

Arena Arctica ist das Tor ins Nordpolargebiet. Hier werden die Flugzeuge fit gemacht für ihre polaren Ausflüge. Von hier lenkt Manfred Wendisch die Geschicke seiner Arktisexpedition Halo-AC3. Der Professor und Leiter des Instituts für Meteorologie an der Leipziger Universität ist mit seinem Team für sechs Wochen hier. Drei sind nun schon vergangen, eine davon war die wohl bitterste der letzten Jahre. Halo, das Stratosphärenflugzeug, mit dem es Richtung Nordpol gehen sollte, musste am Boden bleiben. Defekt. Tagelang war unklar, ob es damit überhaupt noch einen weiteren Forschungsflug bei dieser Expedition geben würde.

Manfred Wendisch ist Meteorologieprofessor an der Universität Leipzig. Jetzt leitet er die größte deutsche Flugexpedition in die Arktis.
Manfred Wendisch ist Meteorologieprofessor an der Universität Leipzig. Jetzt leitet er die größte deutsche Flugexpedition in die Arktis. © Stephan Schön

Direktflug zum Nordpol

Fünf Jahre Vorbereitung standen auf dem Spiel. Die Nerven lagen blank. Wiederholen ließe sich so eine große Expedition auf lange Sicht nicht. Die Flugzeuge sind auf viele Jahre vorab ausgebucht. Und Forschungsgelder müssten erst wieder neu herangeschafft werden. Wie frustrierend war es dann für die Forscher zu sehen, als die französische Maschine von Meteo France vorbei an Halo zum Polarflug aus dem Hangar gezogen wurde. Oder als die Briten sich mit ihrem großen Forschungsflieger Faam zum Eis verabschiedeten. Sieben bittere Tage des Wartens für das Team von Halo-AC3 bedeutete der Flugzeugschaden. Doch dann kam Halo aus der Baseler Werkstatt heraus und zurück nach Kiruna.

Im kleinen Raum im Hangar kehrt seitdem wieder mehr Leben ein. Sechs Tische, zehn Leute, wie ein kleines Klassenzimmer. Nur statt einem Lehrer steht vorn eine große Videowand. Um 14 Uhr ist die Schalte zu den Forscherkollegen drüben im Hangar, zu den Briten und den Franzosen. Es ist auch die Videokonferenz, bei der sich die Forscher in Kiruna mit ihren Kollegen auf Spitzbergen absprechen. Dort befinden sich derzeit die zwei deutschen Polarflugzeugen vom Alfred-Wegener-Institut.

Die drei deutschen Flugzeuge gehören unmittelbar zu dieser Expedition Halo-AC3. Die beiden anderen unterstützen die Expedition. Manfred Wendisch, wissenschaftlicher Koordinator dieser Großexpedition, vermittelt und moderiert. Wer fliegt wann? Und wohin? Die Arktis ist groß, der Luftraum trotzdem begrenzt. Sinnvolle Planung und Absprache ergeben die besseren, die sich ergänzenden Daten aus der Atmosphäre.

Geflogen wird, wann immer es geht, mit allen fünf Flugzeugen. Und von der deutsch-französischen Nordpolar-Station Awipev auf Spitzbergen aus lassen Wissenschaftler vom Leipziger Institut für Troposphärenforschung täglich ihren großen Fesselballon steigen. Lidar-Lasersysteme und Wolkenradar schauen zudem bis in die Mikrostruktur und auf die Partikel in der Atmosphäre. Das alles zusammen bringt Daten und damit auf Jahre hinaus Forschungsarbeit und Forschungsergebnisse.

Stratosphärenflugzeug Halo wird im Hangar der kleinen nordschwedischen Stadt Kiruna gewartet.
Stratosphärenflugzeug Halo wird im Hangar der kleinen nordschwedischen Stadt Kiruna gewartet. © Stephan Schön

Halo-AC3 ist die bisher größte deutsche Flugexpedition in der Arktis. Meteorologen, Klimaforscher, Physiker, Chemiker und Wolkenforscher sind dort dabei. Ein Sonderforschungsbereich, der vom Leipziger Professor Wendisch geleitet wird, ist wesentlicher Teil dieser Expedition. Ein anderer Teil kommt vom Halo-Schwerpunktprogramm dazu. Letztlich sind an die 100 Wissenschaftler aus sechs Universitäten, fünf Instituten und zudem die internationalen Partner beteiligt. Sie alle schauen derzeit darauf, was sich in der Arktis verändert. Und das geschieht rasant.

Es geht um einen für die gesamte Welt bedeutsamen und leider fatalen Klimaeffekt in dieser polaren Region. Das Nordpolargebiet erwärmt sich schneller als andere Regionen. Zwei bis drei Grad waren es allein in den letzten 50 Jahren. Und, so berichtet Professor Wendisch, dieser Effekt verstärke sich selbst. Das alles hat Folgen für das Wetter weltweit, insbesondere auch für Mitteleuropa. Unsere Wetterküche ist nun mal die Arktis. Verändert die sich, dann hat dies Folgen für uns. Aber bisher fehlen Daten aus der Atmosphäre, um diese Folgen genauer vorherzusagen.

"Es geht darum, die Luftmassen in der Arktis zu verfolgen. Mit Flugzeugen, die genau das können, fliegen wir mit den Luftmassen mit", erklärt Manfred Wendisch. Bisherige Messungen haben vor allem von einem festen Standort aus beobachtet und abgewartet, bis die Luftmasse darüber hinweggezogen ist.

"Wir wollen dem Luftpaket folgen, etwa so wie einem großen Luftballon. Wir wollen beobachten, was sich wann während des Transportes der Luftmassen verändert." Die große Frage dabei ist, wie sich solch ein Luftpaket ändert, wenn es aus dem Norden vom Eis kommt und dann auf das vergleichsweise warme Meer trifft. "Oder umgekehrt: Was passiert, wenn eine Warmluftmasse aus dem Süden Richtung Norden marschiert."

Voller Technik für den Flug zum Nordpol ist dieses Forschungsflugzeug.
Voller Technik für den Flug zum Nordpol ist dieses Forschungsflugzeug. © Stephan Schön

Gigantische Wolken und Regen statt Schnee

Genau das war am 12. März passiert. In den ersten Tagen der Expedition, als glücklicherweise noch Flüge mit Halo möglich waren, geschah Unglaubliches. Die Wissenschaftler konnten in diesem gigantischen "Athmospheric River" mitschwimmen. Starker Regen setzte über dem Meer-Eis ein – zu einer Jahreszeit, in der es eigentlich über dem nordpolaren Eis minus 20 bis minus 30 Grad kalt ist.

Die Forscher haben Wolken in so großen Höhen beobachtet, wie man es sonst nur aus den Tropen kennt. Schließlich ist Manfred Wendisch mit seinem Team in Halo bis ganz knapp vor den Nordpol geflogen. "Wir waren bei einem Flug bis auf 89,45 Grad. Und das war auch nötig, weil wir genau da so einen kräftigen Warmlufteinschub hatten, der bis zum Pol reichte", berichtet der Leipziger Expeditionsleiter.

Bisher wurde ein solches Mitdriften mit der Luftmasse bestenfalls bei Kaltluftausbrüchen gemacht: "Ich kenne keine Forschungskampagne, die ihren Schwerpunkt hauptsächlich auf solche Warmlufteinbrüche gelegt hat." Da kam die Rekordwärme am Nordpol gerade recht. Mehr davon wünscht sich Wendisch, zumindest für die Zeit der Beobachtung in den nur noch verbleibenden knapp drei Wochen. "Eine der zentralen Vermutungen ist, dass die stärkere Erwärmung in der Arktis auch mit der stärkeren Verwellung des Polarwirbels einhergeht."

Statt eines Rings schnell strömender Luftmassen um den Nordpol bilden sich tiefe Wellen in diesem Windband. Wenn die Arktis sich erwärmt, dann rücken diese Wellen und Ausbeulungen des Jetstreams weiter nach Süden, so die These der Forscher. Das wiederum führe dazu, dass an der einen Seite warme Luft stärker und viel weiter Richtung Nordpol strömen kann.

An der anderen Flanke aber dringt kalte Polarluft weit nach Süden vor. Kaltluftausbrüche nennt Wendisch das. Auf einen solchen hofft er nun noch, am besten einen, der bis Mitteleuropa reicht. Halo, das Flugzeug, würde dem genau folgen. Richtung Deutschland halt statt zum Pol.

Marlen Brückner von der Leipziger Universität bereitet ihre Dropsonden vor. Sie fallen dann am Fallschirm herab und senden dabei Daten aus der Atmosphäre.
Marlen Brückner von der Leipziger Universität bereitet ihre Dropsonden vor. Sie fallen dann am Fallschirm herab und senden dabei Daten aus der Atmosphäre. © Stephan Schön

Ein solcher arktischer Kaltluftausbruch wäre jedoch ziemlich dumm für uns. Denn dann wäre hier erst einmal Schluss mit Frühling. Noch ist so etwas nicht in Sicht. Und die Forscher entwerfen ihre Flugpläne weiter für den Norden. Ein Flugplan, wie ein Strickmusterbogen mit Achsen waagerecht und senkrecht, mit sich immer wieder kreuzenden Linien. Es sind Tausende Kilometer Flugbahn, die die Forscher Tag für Tag planen. 120 Flugstunden hat die Expedition allein für Halo bekommen. "Es kann in Höhen von bis zu 15 Kilometern lange Strecken von bis zu 10.000 Kilometern zurückzulegen", erklärt Andreas Minikin vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das für Halo verantwortlich ist.

Das reicht von Kiruna bis zum Nordpol und zurück. Näher wäre es von Spitzbergen aus. Nur, dort bestünde das Risiko, wegen Nebels oder Wolken am Boden bleiben zu müssen. Stimmen die Bedingungen für einen Anflug auf Sicht am Flughafen Longyearbyen auf Spitzbergen nicht, dann müssen die Maschinen am Boden bleiben. Dann also doch lieber aus dem sonnigeren Kiruna etwas weiter fliegen mit einer gewissen Startgarantie. "Wir schauen auf unterschiedlichen Skalen auf diese Phänomene.

Halo hat eine große Reichweite, deckt einen weiten Bereich überblicksmäßig ab und kann den Wellen folgen", sagt Manfred Wendisch. "Die Polarflieger erreichen viel kleinere Räume, schauen dafür aber mehr in die Details. Der Ballon an der Nordpolarstation Awipev bringt die detailliertesten Informationen. Das ist wie ein Nadelstich in die Atmosphäre. Es geht also angefangen vom einzelnen Tropfen in der Atmosphäre bis hin zum synoptischen Windfeld mit etwa 500 bis 1.000 Kilometern."

Drei Wochen frieren die Forscher noch in ihrem Hangar hinterm Polarkreis. Nur wenn sie dann zu ihrem oft zehnstündigen Flug mit Halo aufbrechen oder sich in ihrem Klassenzimmer für die nächste Routenplanung zusammentun, wird’s warm. Egal ob Kaltlufteinbruch oder Wärmeblase.

Stratosphärenflugzeug Halo auf Expedition in der Arktis, Halo befindet sich in Kiruna in Nordschweden hinter dem Polarkreis.
Stratosphärenflugzeug Halo auf Expedition in der Arktis, Halo befindet sich in Kiruna in Nordschweden hinter dem Polarkreis. © Stephan Schön