Taiga tabu: Tharandts Waldforscher und der Krieg

Wo wachsen Deutschlands Bäume der Zukunft? Vielleicht achttausend Kilometer östlich von hier, am Ussuri-Fluss, wo es nur noch ein Katzensprung ist bis nach China oder ans Japanische Meer. Es gibt dort Winter mit 35 Grad Kälte und Sommer, die sogar ein bisschen heißer sind, als in Dresden. Der Wald ist Extreme gewöhnt. Ob er zu uns passen würde, lässt sich im Moment aber nicht erforschen. Denn er liegt in Russland.
Baumarten fürs künftige Klima zu testen, gehört zu den Aufgaben des Forstbotanischen Gartens in Tharandt. Ulrich Pietzarka, wissenschaftlicher Chef der Anlage, reist seit zehn Jahren regelmäßig in den russischen Fernen Osten. Er durchstreift die Wälder, sammelt Saatgut ein, von Mongolischer Eiche, Korea-Zirbe oder Baum-Aralie. Im Forstgarten hat er aus den Samen bereits Baumschüler gezogen. Mit ihnen will er ein neues Fernost-Quartier begründen.

Auch dieses Jahr wollte der Kustos wieder losfliegen. Nach der Zwangspause wegen Corona hatte er sich besonders auf die Reise gefreut. Seine Partner in einer Landwirtschaftsakademie der Region Primorje sind für ihn gute Freunde geworden. Pietzarkas Traumziel: die Insel Sachalin. Doch der Alptraum des Krieges hat alle Pläne zerstört. "Alles ist komplett zum Erliegen gekommen", sagt der Wissenschaftler. "Wir sind sehr traurig."
Die TU Dresden, zu der die Forstwissenschaft gehört, pflegt vielfältige Kooperationen mit russischen Universitäten und Forschungseinrichtungen, vor allem in den Ingenieurwissenschaften, den Verkehrswissenschaften, den Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaften und auf dem Gebiet der nachhaltigen Energiegewinnung und Kreislaufwirtschaft.

Zum Zeitpunkt von Russlands Angriff auf die Ukraine bestanden 19 Kooperationsverträge. Diese Beziehungen seien nun ausgesetzt, erklärt eine Sprecherin der Uni. Es gebe keine gegenseitigen Besuche und keine gemeinsamen Veranstaltungen mehr. In einigen Fällen seien die Projektgelder gestoppt worden. "Das bedeutet jedoch nicht, dass die TU Dresden alle Brücken zu russischen Forschenden abreißt."
Russische Kollegen entsetzt vom Angriff
Das trifft auch auf die Brücken zu, die Ulrich Pietzarka in Russlands Fernen Osten geschlagen hat. Seine persönlichen Verbindungen hat er keineswegs gekappt. Noch immer steht er mit den Kollegen in Kontakt, über Telefon, E-Mail oder soziale Netzwerke. Doch ist er vorsichtiger geworden mit dem, was er kommuniziert. Man könne nie wissen, wer da mithöre oder mitlese.
Dass Russland in der Frage des Krieges geeint hinter Putin steht - Ulrich Pietzarka hat ein anderes Gefühl. Seine russischen Bekannten seien entsetzt über den Angriff. Einige hätten Angehörige bei der Armee, die nun in der Ukraine eingesetzt seien, und um deren Leben sie nun bangten. Öffentlich gegen die Aggression zu reden, traue sich aber keiner. Wer sein Auskommen behalten wolle, müsse die offizielle Linie unterstützen.

Der Ausfall Russlands als Forschungsgebiet ist keineswegs nur ein Verlust für den Pflanzenfreund Pietzarka. Das riesige Land fehlt weltweit im Tauschring von Saatgut, den die botanischen Gärten unterhalten, um biologische Vielfalt zu sichern und Risiken zu streuen. Allein der Tharandter Garten, so schätzt Pietzarka, steht im Austausch mit etwa zwanzig russischen Gehölzsammlungen, von Kaliningrad bis Wladiwostok. "Das ist schon eine Hausnummer."
Russische Studenten pilgern zu Heinrich Cotta
Tharandts Forstleute sind mit denen in Russland durch zweihundert Jahre Geschichte verbunden. Schon bald nach Erhebung von Heinrich Cottas Lehranstalt zur Forstakademie 1816 fanden sich russische Studenten ein, um die neuen Ideen für eine geregelte Forstwirtschaft kennen zu lernen. Der Holzhunger im Zarenreich war groß, etwa für den Schiffbau. In Sankt Petersburg steht die einzige Forstakademie, die, gegründet 1803, noch älter ist, als die Tharandter.

Albrecht Bemmann, ehemals Professor für Forstnutzung und osteuropäische Forst- und Holzwirtschaft in Tharandt, hat in Sankt Petersburg studiert. Zu dieser Zeit hieß es Leningrad. Als 24-jähriger Doktorand, mit kargem Schulrussisch aber einer großen Neugier auf das Riesenland, zog er 1974 an die Newa. Während andere auf eine Oberförsterstelle in der DDR spekulierten, folgte er seiner Abenteuerlust. "Alle haben nur mit dem Kopf geschüttelt."
Sorge um Ausbluten der Wissenschaft
Die erste Zeit war hart. Doch Bemmann biss sich durch, bestärkt auch vom familiären Anschluss, den er bei Einheimischen fand. Dafür ist er bis heute dankbar, sagt er. Anfang der 1980er ging Bemmann nach Moskau, um dort Tagungen für die Forstleute des Ostblocks zu koordinieren. Insgesamt lebte er sieben Jahre in der Sowjetunion. "So bin ich ganz tief in die russische Seele eingestiegen."

Als DDR und Sowjetunion Geschichte waren, drängte Albrecht Bemmann auf die Gründung eines Osteuropa-Lehrstuhls in Tharandt, den er selbst übernahm. Er hoffte, das Verständnis von Ost und West für einander könnte wachsen, durch den Austausch von Studenten und Wissenschaftlern und durch gemeinsame Projekte. "Die Trennung der beiden Welten zu überwinden, war meine Herzensangelegenheit."
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Dieser Herzenswunsch ist unerfüllt geblieben. Trotz einiger Jahre der Zusammenarbeit mit Tatarstan, wo sich Bemmann und der Waldbau-Professor Sven Wagner mit Aufforstung und mit der Qualitätsverbesserung beim Eichenwuchs befassten und, bis zum Kriegsausbruch, Lösungen für die "Verpappelung" von Brachen suchten, blieben die Russen auf Distanz. Die Deutschen spürten zunehmend Misstrauen, selbst bei langjährigen Partnern. Man habe es ja nur auf das Holz der russischen Wälder abgesehen, mussten sie sich anhören.

Diese Sicht der Dinge hat die Tharandter Profs schockiert. Russlandkenner Bemmann ist gleichwohl nicht überrascht. Der Argwohn gegen Ausländer, die "Spiomanie", erinnere ihn an die Sowjetzeit. Putin habe den Glauben an das große, imperiale Russland, das auf sich selbst vertraut, neu belebt. Er rechne mit dem Ausbluten der russischen Wissenschaft, auch im Forstbereich, sagt Bemmann. "Für das Ökosystem Wald ist das ein riesen Defizit."