Schirgiswalde: Obstbauer Stolle gibt die Plantage ab

Schirgiswalde-Kirschau. Das beliebteste Obst der Deutschen ist der Apfel. Gut 25 Kilogramm Äpfel hat jeder Deutsche laut Statista, dem deutschen Online-Portal für Statistiken, im Erntejahr 2018/19 zu sich genommen. Das heißt: Um die 550 Tonnen Ernte von Stolles Apfelplantage in Schirgiswalde in einem durchschnittlichen Jahr aufzuessen, bedürfte es etwa 20.000 Menschen. Oder um es mit den Worten des Obstbauern auszudrücken: "Ein Mensch alleine schafft es nicht, eine unserer Jahres-Ernten in seinem Leben zu essen."
31 Jahre lang hat Bernhard Stolle die Obstplantage bewirtschaftet, die sich über 32 Hektar unter anderem auf dem Schirgiswalder Lärchenberg erstreckt. Er hat in dieser Zeit seinen eigenen Schätzungen zufolge 18.000 Tonnen Äpfel verschiedener Sorten, 1.300 Tonnen Erdbeeren und 1.800 Tonnen Aroniabeeren geerntet, außerdem rund 700 Tonnen Süßkirschen.
Seit Mitte Juli ist die Erdbeersaison vorbei. Das Jahr war schlecht - nur 45 Tonnen Ertrag haben die Felder erbracht. Viele Früchte verfaulten, weil die Selbstpflücker ausblieben. Wann die Apfelernte in diesem Jahr starten kann, hängt vom Wetter ab. Einen genauen Termin kann der Plantagen-Chef noch nicht nennen - wohl aber mit Gewissheit sagen: "Es wird die letzte Saison sein, in der wir auf den Wochenmärkten in Herrnhut und Wilthen und aus unserem Hofladen heraus direkt vermarkten."
Neuer Eigentümer ist das Stadtgut Görlitz
Denn: Das Unternehmen ist verkauft. Am 1. November dieses Jahres wird es in den Besitz des Görlitzer Stadtgutes übergehen. Das betreibt unter anderem Bio-Obstbau rund um die Landeskrone, bewirtschaftet Flächen zum Apfel-, weitere zum Kirschanbau. Außerdem gehören tausende Hühner zur Eiproduktion zum Betrieb.
An dieses Unternehmen hat Bernhard Stolle 31 Jahre Lebenswerk verkauft. Dennoch tut er sich mit dem Abschied von seinen Obstbäumen nicht schwer: "Meine Enkel Nummer fünf und sechs wohnen in Finnland. Wegen Corona konnten wir uns in den vergangenen beiden Jahren überhaupt nicht sehen", sagt Bernhard Stolle. Und auch davor sei die freie Zeit für die Familie rar gewesen. Denn: "Es gibt ja immer irgendetwas zu tun - Apfelernte, Verkauf oder Baumverschnitt", sagt er. Und: "Ich habe auch das Gefühl, dass mir jetzt ein Rucksack abgenommen wird."
In 31 Jahren hat sich in den Obstgärtnereien vieles gedreht. Vielem davon musste sich Bernhard Stolle fügen, um mit dem Betrieb zu überleben. Er erklärt: "In Europa gibt es keine Kleinabnehmer für Obst und Gemüse mehr." Früher, erinnert er sich, habe er mit den Obst- und Gemüsehändlern in der Region individuelle Verträge verhandelt und die Ware direkt dahin geliefert.
Heute bestimmen Großabnehmer den Preis. Ob Stolles Äpfel am Ende in den Edeka-Märkten in Sohland, Wilthen oder Bautzen liegen - er kann es kaum sagen. Und das schmerzt.
Klimawandel macht Ernteertrag unvorhersehbar
Und dann ist da noch der Klimawandel. In den vergangenen Jahren, hat Stolle beobachtet, wurden die zu erwartenden Ernteerträge immer unvorhersehbarer. "Ein Frost während der Blüte oder ein Hagelschauer können dafür sorgen, dass die gesamte Ernte vernichtet wird", sagt Stolle. Solche Wetterereignisse hätten zugenommen.
Auch deshalb ist er froh, dass sich ein gestandenes Unternehmen seines Lebenswerkes angenommen hat. Natürlich, sagt er, hätte es ihm gefallen, wenn eines seiner drei Kinder die Obstgärtnerei übernommen hätte. Aber: "Dann hätte ich immer mitgefiebert, ob sich das Geschäft rechnet. So richtig raus wäre ich nie gewesen."
Kurzum: 31 Jahre Lebenswerk hin oder her - Bernhard Stolle sagt, er gehe mit zwei lachenden Augen: "Ich bin froh, dass mit dem Görlitzer Stadtgut ein erfahrenes Unternehmen auf mich zugekommen ist. Ein Einzelkämpfer hätte es schwer gehabt." Und als schwer schätzt Bernhard Stolle die Zukunft des Stadtguts in Schirgiswalde ohnehin ein: So seien die Interessen von 45 Erben und Erbengemeinschaften unter einen Hut zu bringen, dessen Pächter der Obstbetrieb bislang war.
Dazu seien auch Fragen der Nutzung von Wirtschaftswegen und Zufahrten zu klären. Darüber hinaus will der neue Eigentümer komplett auf Bio-Obstbau umstellen und künftig nur noch Äpfel und Aroniabeeren anbauen.
Bernhard Stolle selbst bemüht sich derweil, wenigstens einen kleinen Teil der Ernte im Ort zu halten. Er sei im Gespräch mit zwei Berufskollegen, um den Verkauf am Schirgiswalder Baumarkt Eisen Krämer aufrecht zu erhalten. Alles andere wäre dumm, findet Stolle, denn: "Der Händler setzt sich dort in ein gemachtes Nest."