„Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es bleiben!“: Eine Gemeinde in Baden-Württemberg macht mit einem Verhaltenskodex für Flüchtlinge Schlagzeilen. Die banalen Belehrungen schürten Vorurteile, warnen Kritiker.
Hardheim. Der Alltag in der kleinen Gemeinde Hardheim im Norden von Baden-Württemberg ist aus den Fugen geraten. Seitdem die beschauliche 4600-Seelen-Gemeinde rund tausend Flüchtlinge aufgenommen hat, hat sich für die Bewohner vieles verändert. Ob vor dem Supermarkt, auf den Straßen oder am Fußballplatz, überall prägen fremde Gesichter das Alltagsbild. Für Bürgermeister Volker Rohm (Freie Wähler) war das ein Grund, einen Verhaltenskodex an die Asylbewerber zu verteilen. Der Knigge für die Flüchtlinge spaltet die Gemüter.
„Liebe fremde Frau! Lieber fremder Mann!“, beginnt das Schreiben, über das die Flüchtlinge laut Gemeinde in verschiedenen Landessprachen informiert wurden. „Viele von Ihnen haben Schreckliches durchgemacht. Krieg, Lebensgefahr, eine gefährliche Flucht durch die halbe Welt“, heißt es zunächst noch einfühlsam.
Doch rasch ändert sich der Ton, es folgen banale Belehrungen: „Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es bleiben!“, heißt es etwa. Und wenn man öffentliche Toiletten benutze, „ist es hier zu Lande üblich, diese sauber zu hinterlassen“. Weiter geht es darum, Ware im Supermarkt zu zahlen, bevor man sie aufmacht. Oder nach 22 Uhr die Nachtruhe zu respektieren. Und: „Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen.“
Die Benimmregeln für Flüchtlinge in Hardheim
„Der nachfolgende Text wird in vereinfachter Form in den verschiedenen Landessprachen durch Bedienstete des Betreibers den Flüchtlingen vor Ort näher gebracht.
Liebe fremde Frau, lieber fremder Mann!
Willkommen in Deutschland, willkommen in Hardheim. Viele von Ihnen haben Schreckliches durchgemacht. Krieg, Lebensgefahr, eine gefährliche Flucht durch die halbe Welt. Das ist nun vorbei. Sie sind jetzt in Deutschland.
Deutschland ist ein friedliches Land. Nun liegt es an Ihnen, dass sie nicht fremd bleiben in unserem Land, sondern ein Zusammenleben zwischen Flüchtlingen und Einwohnern erleichtert wird.
Eine Bitte zu Beginn: Lernen sie so schnell wie möglich die deutsche Sprache, damit wir uns verständigen können und auch sie ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen können.
In Deutschland leben die Menschen mit vielen Freiheiten nebeneinander und miteinander:
Es gilt Religionsfreiheit für alle. Frauen dürfen ein selbstbestimmtes Leben führen und haben dieselben Rechte wie die Männer. Man behandelt Frauen mit Respekt.
In Deutschland respektiert man das Eigentum der anderen. Man betritt kein Privatgrundstück, keine Gärten, Scheunen und andere Gebäude und erntet auch kein Obst und Gemüse, das einem nicht gehört.
Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es auch bleiben! Den Müll oder Abfall entsorgt man in dafür vorgesehenen Mülltonnen oder Abfalleimer. Wenn man unterwegs ist, nimmt man seinen Müll mit zum nächsten Mülleimer und wirft ihn nicht einfach weg.
In Deutschland bezahlt man erst die Ware im Supermarkt, bevor man sie öffnet.
In Deutschland wird Wasser zum Kochen, Waschen, Putzen verwendet. Auch wird es hier für die Toilettenspülungen benutzt. Es gibt bei uns öffentliche Toiletten, die für jeden zugänglich sind. Wenn man solche Toiletten benutzt, ist es hier zu Lande üblich, diese sauber zu hinterlassen.
In Deutschland gilt ab 22.00 Uhr die Nachtruhe. Nach 22.00 Uhr verhält man sich dementsprechend ruhig, um seine Mitmenschen nicht zu stören.
Auch für Fahrradfahrer gibt es bei uns Regeln, um selbst sicher zu fahren, aber auch keine anderen zu gefährden. (Nicht auf Gehwegen fahren, nicht zu dritt ein Rad benutzen, kaputte Bremsen reparieren und nicht mit den Füßen bremsen).
Fußgänger benutzen bei uns die Fußwege oder gehen, wenn keiner vorhanden, hintereinander am Straßenrand, nicht auf der Straße und schon gar nicht nebeneinander.
Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen.
Mädchen und junge Frauen fühlen sich durch Ansprache und Erbitte von Handy-Nr. und Facebook-Kontakt belästigt. Bitte dieses deshalb nicht tun!
Auch wenn die Situation für sie und auch für uns sehr beengt und nicht einfach ist, möchten wir sie daran erinnern, dass wir sie hier bedingungslos aufgenommen haben.
Wir bitten sie deshalb diese Aufnahme wert zu schätzen und diese Regeln zu beachten, dann wird ein gemeinsames Miteinander für alle möglich sein.
Stand 06.10.2015“
1 / 15
Die Hardheimer Benimmregeln sorgen deutschlandweit für Schlagzeilen. Am Donnerstagvormittag bricht die Internetseite der Gemeinde zusammen, das Telefon im Rathaus steht nicht mehr still. „Flüchtlinge sind Diebe, schmutzig und baggern allesamt Mädchen an - das bleibt nach der Lektüre des Leitfadens“, schreibt beispielsweise „Spiegel Online“. Bürgermeister Rohm kommt mit Interviews nicht mehr hinterher, kann den Hype nicht verstehen.
Das Gemeindeoberhaupt verteidigt die umstrittenen Benimmregeln. „Der Leitfaden ist nicht als Schikane gedacht, sondern soll das Zusammenleben zwischen Asylbewerbern und Bevölkerung erleichtern“, sagt Rohm. „Wir wollen die Asylbewerber damit nicht zu guten Deutschen machen.“ Bei den Verhaltensregeln handele es sich um Empfehlungen nach Beschwerden, die überwiegend von Bürgern an das Rathaus herangetragen worden seien.
Angelika von Loeper, Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, sieht das anders: Zettel zu verteilen, in denen Vorurteile aneinandergereiht würden, trage keineswegs dazu bei, die Ängste der Bürger abzubauen. „Ich halte das für einen falschen Ansatz und hochproblematisch“, sagt sie. „Das nährt meiner Ansicht nach rassistische Tendenzen.“ Das baden-württembergische Integrationsministerium wollte sich nicht äußern.
Doch nicht alle teilen die kritische Auffassung: „Wenn Flüchtlinge nach Deutschland kommen, müssen sie sich an unsere Regeln halten. Hardheim sollte ein Beispiel für ganz Baden-Württemberg sein“, sagt der Bundestagsabgeordnete und Bezirksvorsitzender der CDU Württemberg-Hohenzollern, Thomas Bareiß. „Wir brauchen jetzt klare und unmissverständliche Integrationsregeln, der Vorstoß der Gemeinde Hardheim ist richtig.“ (dpa)