Von Karin Schlottmann
Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst laufen bald nach neuen Spielregeln ab. Die Bundesländer haben beschlossen, künftig ohne Bund und Kommunen mit den Gewerkschaften über Lohn- und Gehaltserhöhungen zu verhandeln. Das ist der Abschied vom Flächentarifvertrag im öffentlichen Dienst und dem Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Rügen bis Garmisch-Partenkirchen.
Ernst-Otto Stüber will noch nicht recht daran glauben, dass es tatsächlich so weit kommt. Er ist Oberbürgermeister in Bochum und Vorsitzender der kommunalen Arbeitgeberverbände. „Ein Austritt aus der Tarifgemeinschaft ist keine Lösung, es ist gefährlich, alles aufs Spiel zu setzen“, kritisierte der Sozialdemokrat im SZ-Gespräch den überraschenden Schritt, den der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) am Wochenende verkündete. Er glaube, dass Querelen innerhalb der Länder-Tarifgemeinschaft der wahre Grund sind.
Auch die kommunalen Arbeitgeber in Sachsen reagierten skeptisch. „Ich gehe davon aus, dass man sich wieder findet“, sagte Verbandsgeschäftsführer Frank Reinhard. Es müsse schließlich nicht jedes Mal der Bund die Verhandlungsführerschaft übernehmen. Daran stoßen sich die Länder am meisten. Der Bund beschäftigt die wenigsten öffentlich Bediensteten und profitiert sogar noch bei steigenden Löhnen und Gehältern. Deshalb, so die Kritiker, verhandelt er weniger hart mit der Gewerkschaft Verdi, als es den Ländern lieb ist.
Bund, Länder und Gemeinden hatten sich im Januar nach Streikdrohungen der Gewerkschaft auf einen Anstieg der Gehälter um 4,4 Prozent in 27 Monaten geeinigt.
Sowohl SPD- als auch Unionspolitiker aus mehreren Bundesländern verteidigten gestern den Alleingang. Das bisherige Verfahren, über den gesamten öffentlichen Dienst gemeinsam zu verhandeln, sei starr und unbeweglich, monierte Sachsens Finanzminister Horst Metz (CDU). Außerdem seien die Kommunen mit Streiks in Kitas und beim öffentlichen Nahverkehr leichter von den Gewerkschaften unter Druck zu setzen, sagte Metz.
Das sei übliche Kraftmeierei von Länderministern, entgegnete Stüber. Die jüngste Tarifauseinandersetzung habe eindrucksvoll bewiesen, dass wenige Tage mit Arbeitsniederlegungen der Flughafen-Feuerwehren genügten, um tausende Bürger zu verärgern und enormen wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Stüber sprach sich gegen eine „Zersplitterung“ der Arbeitgeberseite aus, die die „soziale Stabilität“ gefährden könne.
Auch Verdi in Sachsen warnte vor den aus Gewerkschaftssicht negativen Folgen des Austritts. „Das ist der erste Schritt. Als nächstes folgen regionale Tarifverträge, die die Abwanderung von Ost nach West weiter verstärken“, warnte Verdi-Sprecher Stefan Brangs.
Er rechne mit einer „Politisierung“ der Tarifrunden, weil die Beschäftigten direkt gegen ihren Arbeitgeber in Stellung gebracht werden müssten. „Das wollen wir nicht, aber es könnte uns helfen.“ Die Konflikte würden auf diese Weise in die Regionen getragen. Das Ziel von Verdi, einheitliche Löhne und Gehälter zu erzielen, bleibe ohnehin erhalten. S.4