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Patchwork-Familien zerbrechen oft

Zusammengewürfelte Familien müssen viel aushalten. Viele scheitern daran.

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© Foto: 123RF/syntika82

Das Schlimmste waren die gemeinsamen Ferien. Die beiden Töchter von Marion Brandt waren schon lange auf Konfrontationskurs mit ihrem Stiefvater Alfred. Zwar hatten sie dem gemeinsamen Urlaub am Gardasee zugestimmt. Aber reden wollten sie mit Alfred nicht. Sie blieben motzig auf ihren Zimmern. Keinen Bock auf den neuen Mann ihrer Mutter, der sich so viel Mühe gab – ihnen die Nikolausstiefel befüllt, die Geburtstagsgirlanden aufgehängt und die Möbel zusammengebaut hatte.

„Ich wollte, dass sie ihn gerne haben und achten“, sagt Marion Brandt. Stattdessen liegen Jahre hinter der zusammengewürfelten Familie, die schwierig bis unerträglich waren. Warum nur? An gutem Willen mangelte es dem Paar nicht. Doch die sogenannten Stief- oder Patchworkfamilien bringen ein erhebliches Konfliktpotenzial mit sich.

„Ich weiß aus Untersuchungen mit kanadischen Daten, dass die Familien ein sehr hohes Trennungsrisiko haben und oft nicht halten“, sagt Valerie Heintz-Martin, die am Deutschen Jugendinstitut zu diesem Thema forscht. „Für Deutschland dürfte das nicht so viel anders sein.“ Manche Experten sprechen sogar von einem mehr als 50-prozentigen Trennungsrisiko.

Auch bei den Brandts war das Scheitern greifbar. Türenknallen, Augenrollen, schmallippiges Abblitzenlassen des Stiefvaters – die Töchter waren schwer genervt, und das Paar hatte den Kanal zeitweise gestrichen voll. Familientherapeuten wie Christiane Watzel kennen das Problem. „Die Paare, die zu uns kommen, sind verzweifelt“, sagt Watzel. „Sie stehen direkt vor der Wand und wissen nicht mehr weiter. Sie haben sich das alles so toll vorgestellt, und wenn es mit den Kindern dann schiefläuft, sind das maximale Verletzungen. Die tun sehr weh.“ Drei Viertel des Angebots in ihrer Praxis sind Paarberatungen, die Hälfte davon befindet sich in Stieffamilienkonstellationen, erzählt sie. „Es ist die Familienform des 21. Jahrhunderts.“

Viele Paare sind verzweifelt

Bundesweite Zahlen dazu gibt es laut Bundesfamilienministerium nicht. Etwa zehn bis 14 Prozent der Familien in Deutschland dürften laut einer Ministeriumssprecherin Stief- oder Patchworkfamilien sein. Aktuell werde gerade ein Familienbericht erarbeitet, der sich auch „mit der Vielfalt von Familienformen“ beschäftige, heißt es dazu. „Wegen der dürftigen Datenlage konnte das Thema lange Zeit nicht so intensiv beforscht werden“, so Familienexpertin Heintz-Martin.

Dabei sind die Probleme enorm. Wer sich im Netz in den Foren bewegt, in denen Betroffene Dampf ablassen, erschrickt. „Ich komme mit meiner Stieftochter nicht klar“, das sind noch die freundlicheren Worte, die Stiefeltern dort finden. Aber auch Schimpfwörter wie „Teufelskind“, „Störenfried“ oder „Balg“ fallen. Die Kinder kontern gerne mit kränkenden Bemerkungen wie „Du hast mir gar nichts zu sagen“, „Hau ab“, „Dumme Kuh“. „Fettsack“ sei er von seinen Stiefsöhnen genannt worden, erzählt ein Betroffener.

Stefanie Frick leitet in Esslingen eine Beratungsstelle. Sie versucht, Gründe für die Konflikte zu finden. Die Stieffamilie sei oft ein Schlachtfeld enttäuschter Liebe, von Demütigung und Ablehnung, erzählt sie. Opfer seien alle Beteiligten. „Heile sollte es wieder werden. Aber heile wird es halt nie mehr wieder“, sagt sie. Das müssten sich alle Beteiligten klarmachen und die Erwartungen auf ein realistisches Niveau herunterschrauben. „Es ist wichtig für die Stiefeltern und Stiefkinder, dass sie nicht so tun müssen, als müssten sie sich von jetzt an lieben. Dass man auch mal sagen darf, wie blöd man sich gegenseitig findet, nimmt ganz viel Druck.“ Dann könnten Stieffamilien auch gelingen.

Die Probleme der Kinder in Patchwork-Familien

Die Position des Kindes verändert sich in der Patchworkfamilie. War es vorher Einzelkind, hat es nun vielleicht Geschwister. War es das Älteste, kann es zum Jüngsten werden. War es das einzige Mädchen, muss es diese Rolle mit jemandem teilen. Das Kind muss die Erfahrung machen, dass alle Kinder in der Patchworkfamilie gleich wichtig sind. Sie haben feine Antennen, wenn eines bevorzugt wird, informiert das Portal Eltern.de. Viele Familien machen den Fehler, dass sie anfangs zu hohe Erwartungen stellen.

Am leichtesten gelingt die neue Familie, wenn die Kinder Säuglinge oder Kleinkinder sind. Bleibt ihnen die Hauptbezugsperson erhalten, verkraften sie die Trennung leichter.

Kinder im Vorschulalter brauchen Zeit, um über die Trennung der Eltern zu trauern. Sie fühlen sich oft mitschuldig und übertragen die Schuldgefühle auf den neuen Partner. Sie reagieren oft mit Wut und Eifersucht auf Ersatzvater oder -mutter. Schaffen es diese, die Beleidigungen nicht allzu persönlich zu nehmen, kann sich das Kind an die neue Familie gewöhnen, und die Situation entspannt sich.

Am schwersten haben es Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Da sie den nun in Trennung lebenden Elternteil lieben, befinden sie sich dem neuen Vater oder der neuen Mutter gegenüber in einem Loyalitätskonflikt: Kommen sie mit ihnen aus, fühlen sie sich als Verräter gegenüber dem leiblichen Elternteil. Der neue Partner sollte daher nicht versuchen, den leiblichen Vater zu ersetzen, sondern nur anstreben, mit dem Kind eine Freundschaft aufzubauen.

Kinder im Jugendalter verstehen zwar meist die Beweggründe der Trennung, haben aber Probleme, den neuen Partner als Autorität zu akzeptieren. Quelle: www.eltern.de

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Sie rät jedem, sich frühzeitig Hilfe zu suchen. „Die meisten kommen erst, wenn sie extrem unter Druck stehen“, weiß sie. Dass der Bedarf da ist, zeigen die Zahlen bei der Beratungsstelle. Inzwischen macht dort die Beratung von Stief- und Patchworkfamilien ein Drittel aller 250 Beratungen jährlich aus. Und es werden immer mehr. Die Kinder sind dabei nicht „böse“ in ihrem Verhalten, darauf legt Watzel Wert. „Sie haben ja schon genug verloren, und das ist ihre Reaktion darauf“, erklärt sie. Und Stiefeltern sollten sich tunlichst aus der Erziehung heraushalten. Bis nicht mehr jeder Streit eskaliert und jeder seinen Platz in der neuen Familie gefunden hat, dauert es Studien zufolge fünf bis sieben Jahre.

Trotz der vielen Betroffenen ist das Thema immer noch nicht so richtig in der Öffentlichkeit angekommen, und auch an Hilfsangeboten fehlt es aus Sicht von Frick. Yvonne Woloschyn aus Brandenburg, selbst Patchworkmutter, hat im November deshalb im Netz kurzerhand den ihren Angaben zufolge ersten Online-Patchwork-Familienkongress organisiert, Motto: „Vom Drama zur Harmonie“. Die Resonanz war groß, „mit rund 1 500 Anmeldungen und einem durchweg positiven Feedback“, erzählt sie.

Wie wichtig es ist, mit den ganzen Problemen der Stieffamilien wahrgenommen zu werden, das hat auch Marion Brandt schmerzlich erfahren. Jahrelang sei sie zwischen Loyalität zum neuen Partner, Fairness gegenüber dem biologischen Vater und dem eigenen schlechten Gewissen gegenüber allen Beteiligten herumgeirrt. Froh sei sie, dass sie endlich mal erzählen könne, was das bedeutete. „Bisher hat mich nur niemand gefragt.“ (dpa)