Sachsen
Merken

Kontroversen zur Gemeinschaftsschule

In Sachsen werden Schüler schon nach Klasse 4 getrennt. Doch viele Eltern wünschen ein längeres gemeinsames Lernen. Darum ging es jetzt im Landtag.

Teilen
Folgen
Müssen Sachsens Schüler auch künftig ihren Klassenverband nach der 4. Klasse verlassen?
Müssen Sachsens Schüler auch künftig ihren Klassenverband nach der 4. Klasse verlassen? © Robert Michael/dpa (Symbolbild)

Dresden. Die Gemeinschaftsschule bleibt unter Fachleuten umstritten. Bei einer Anhörung im Landtag äußerten sich am Montag in Dresden Experten zum Pro und Contra des längeren gemeinsamen Lernens in sächsischen Schulen. Doreen Taubert und Burkhard Naumann vom Bündnis für Gemeinschaftsschule warben für die unveränderte Annahme eines Volksantrages, für den in Sachsen mehr als 50 000 Unterschriften gesammelt wurden. "Er ermöglicht flächendeckend längeres gemeinsames Lernen, ohne es zu forcieren. Er ist keine radikale Änderung, sondern eine sanfte Ergänzung des Schulsystems. Er ist der bestmögliche Kompromiss", erklärte Taubert.

Die schwarz-grün-rote Koalition hatte sich zwar grundlegend auf die Einführung der neuen Schulart verständigt, in einem Änderungsantrag zum Volksantrag aber zugleich Bedingungen daran geknüpft. Befürworter der Gemeinschaftsschule befürchten nun, dass sie nicht flächendeckend entstehen kann und nur auf große Städte beschränkt bleibt.

Das wurde auch nach der Anhörung deutlich. "Wir warnen davor, hohe Hürden für die neue, zusätzliche Schulart Gemeinschaftsschulen zu errichten", sagte Linke-Politikerin Luise Neuhaus-Wartenberg. "Wir haben in Sachsen nicht viel gekonnt, wenn bei uns mittel- bis langfristig nur eine Handvoll Gemeinschaftsschulen ins Leben gerufen werden können. Das käme unterm Strich einem neuen Schulversuch mit Modellschulen gleich."

Persönliche Potenziale besser gefördert

"In der Anhörung konnte das Vorurteil, die Leistungen der Schülerinnen und Schüler blieben auf der Strecke, widerlegt werden", fasste Christin Melcher (Grüne) ihre Eindrücke zusammen. Unabhängig von Geschlecht oder Herkunft könnten junge Menschen in Gemeinschaftsschulen entsprechend ihrer Potenziale gefördert und zu ihrem bestmöglichen Abschluss geführt werden.

Bei der Anhörung traten 15 Frauen und Männer auf. Gleich zu Beginn kamen zwei Kritiker zu Wort. Der Erziehungswissenschaftler Matthias Burchardt von der Universität Köln gab zu Protokoll, dass er als "Euphoriebremse" gebucht worden sei. Das Grundproblem sei die Heterogenität der Schüler, Selbstorganisation überfordere gerade schwächere Schüler. Buchhardt verwies auf eine Schule in Tübingen, wo zwar Gemeinschaftsschule drauf stehe, drinnen aber wenig Gemeinschaft sei: "Ersparen Sie sich und ihren Kindern dieses Experiment", lautet sein Fazit.

Der Bielefelder Bildungsforscher Rainer Dollase stellte in Frage, warum Sachsen mit seinen guten Platzierungen bei Bildungsvergleichen überhaupt Änderungen am Schulsystem vornehmen will. Vielmehr sollte gelten: "Never change a winning team". Es gebe keinen klaren empirischen Vorteil für ein längeres gemeinsames Lernen. Zudem seien Gemeinschaftsschulen teurer. Die Einführung einer neuen Schulform sorge für Irritation und Unruhe.

Nur ein optionales Modell

Claus Hörrmann, Lehrer an einer sächsischen Förderschule, warnte vor einem "Methodenzirkus". Ein gegliedertes Schulsystem sei für Schüler effektiver. Uschi Kruse, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Sachsen, erinnerte daran, dass der Volksantrag bereits einen Kompromiss darstelle. Es gehe um ein optionales Modell - nur wenn Schüler, Lehrer und Eltern das vor Ort auch wollen.

"Das längere gemeinsame Lernen bleibt ein Thema, das stark polarisiert", erklärte SPD-Bildungsexpertin Sabine Friedel. Es sei an der Zeit, den jahrzehntelangen Streit um die Gemeinschaftsschule in Sachsen endlich zu beenden und einen Schulfrieden herzustellen - "mit einem Kompromiss, der nun allen Seiten ein Stück weit gerecht wird". AfD-Politiker Rolf Weigand warb dafür, das Volk darüber entscheiden zu lassen, welches Modell umgesetzt wird. (dpa)