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Kräftig und liebenswert

Wer ihn unterschätzt oder gar belächelt, macht einen Fehler. Denn Patrick Wiencek ist kein gewöhnlicher Handballer.

Von Tino Meyer
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Das Publikum feiert Patrick Wiencek – und Patrick Wiencek das Publikum. Mit seiner Art und Weise zu verteidigen, begeistert der 2,01-Meter-Hüne.
Das Publikum feiert Patrick Wiencek – und Patrick Wiencek das Publikum. Mit seiner Art und Weise zu verteidigen, begeistert der 2,01-Meter-Hüne. © imago/Marco Wolf

Fertig? Ja! Patrick Wiencek stöhnt hörbar auf vor Erleichterung, lächelt kurz und dreht ab. Der nächste Interviewmarathon ist geschafft – und jetzt Familienzeit. Seine Frau und die zwei Kinder sind nach Köln gekommen am trainings- und weitestgehend handballfreien Dienstag. „Die Familie ist für mich das Wichtigste im Leben, da ist dann auch der Sport zweitrangig“, erzählt Wiencek noch, dann ist er weg.

Abstand ist wichtig, gerade jetzt in der entscheidenden Turnierphase dieser Handball-Heim-Weltmeisterschaft. Mal den Kopf freibekommen, ein paar Stunden nicht an Handball denken und vielleicht auch noch etwas Nachtschlaf nachholen. Das ist die Aufgabe für den Tag danach.

Nicht dass Wiencek und seine Mitspieler in der deutschen Nationalmannschaft das erstaunlich früh feststehende wie unerwartet souveräne Erreichen des Halbfinales übermäßig gefeiert hätten. Kurz angestoßen wurde, das ja. Doch für mehr haben sie im Moment weder Zeit noch Muße. Die vorher angepeilte Medaille ist schließlich nicht nur Wiencek nicht mehr genug. „Wir wollen ins große Finale“, sagt er nach dem aufwühlenden Spiel gegen Kroatien vor fast 20 000 Zuschauern in der dröhnenden Köln-Arena, was das Einschlafen auch nach einem Sieg nicht unbedingt erleichtert.

Voller Adrenalin habe er lange wach gelegen, meint Wiencek und bestätigt, was die Kollegen nach den Spielen zuvor schon erzählt haben: „Da werden die Nächte natürlich ein bisschen kürzer.“ Was dem TV-Sender RTL übrigens unverhoffte Quotenzuwächse beschert: Dessen Reality-Doku Dschungelcamp entpuppt sich als ideale Schlummerhilfe, nicht nur bei Wiencek.

Nach dem nicht minder emotionalen Unentschieden im Vorrundenspiel gegen Titelverteidiger Frankreich hat er das erzählt, und nun staunt der 29-Jährige, wie schnell sich die Anekdote verbreitet hat. Was sich die Leute doch alles merken können, für was sie sich interessieren ...

Für einen Handballer sind das neue Erfahrungen. Und das Wiencek, seit einigen Jahren bereits Abwehrchef, plötzlich einer der gefragtesten Spieler ist, überrascht ihn fast noch mehr. „Jeder will seine Leistung bringen, erst recht bei einer Heim-WM. Auf wen geschaut wird, ist egal. Momentan spielen wir alle gut. Egal, über wen danach gesprochen wird, Hauptsache wir gewinnen“, sagt Wiencek und das so leise, dass man genau hinhören muss. Fast beiläufig ergänzt er dann noch, dass natürlich auch die Abwehr ganz gut steht.

Das ist das Original. Bamm-Bamm, ein kräftig-liebenswerter Junge aus der Nachbarschaft von Trickfilm-Held Fred Feuerstein sowie Spitznamensgeber für Patrick Wiencek.
Das ist das Original. Bamm-Bamm, ein kräftig-liebenswerter Junge aus der Nachbarschaft von Trickfilm-Held Fred Feuerstein sowie Spitznamensgeber für Patrick Wiencek. © AP

Ganz gut? Deutschland stellt bislang die beste Abwehr der WM, da sind sich die allermeisten Turnierbeobachter einig. Nicht wenige Experten bescheinigen dem Team sogar Weltklasse, allen voran dem Abwehrchef – was Wiencek wiederum fast unangenehm ist. Konfrontiert man den 2,01-Meter-Mann, der Hände hat so groß wie ein DIN-A4-Blatt, mit dem Lob, schaut der noch ein bisschen verlegener als ohnehin – und spricht noch leiser. „Wenn man das Privileg hat, da unten zu stehen“, sagt er und meint das Spielfeld, „beflügelt das enorm. Man hat das Gefühl, dass man nicht mehr kann. Und dann kommt die Stimmung in der Halle“, sagt Wiencek, der daran allerdings auch seinen Anteil hat.

Nicht erst gegen die Kroaten hat er das Publikum animiert, und nicht erst gegen die Kroaten sorgt er mit seiner Art und Weise zu verteidigen für Begeisterungsstürme. Zusammen mit seinem Nebenmann, Vereinskollegen und Zimmerpartner Hendrik Pekeler bringt er selbst die wurfgewaltig-sten Rückraumspieler zur Verzweiflung.

Dabei, und auch diese Geschichte hat sich längst rumgesprochen, sieht er eigentlich eher aus wie ein Anti-Handballer – erst recht verglichen mit dem drahtigen Pekeler neben ihm. Weil Wiencek zu Beginn seiner Nationalmannschaftskarriere etwas moppelig wirkte, haben sie ihn Bamm-Bamm genannt. Als kräftig und liebenswert hat ihn der Spiegel kürzlich beschrieben, eben so wie der Sohn von Fred Feuersteins Nachbar Barney Geröllheimer. Deshalb der Spitzname, der bis heute geblieben ist. Und obwohl Wiencek nach eigener Auskunft gut zehn Kilogramm abgenommen hat, spannt das Trikot immer noch über seinem imposanten Körper.

Nur mit der Keule ist Wiencek nicht unterwegs, er stellt seine Gegner mit körperlicher Präsenz und schneller Auffassungsgabe. Oft genug ist er mit den Händen den Tick eher am Ball als der Gegner – oder er blockt die Würfe und feiert das ausgelassen. Für die letzte, bedeutungslose Hauptrundenpartie gegen Europameister Spanien am Mittwoch (20.30 Uhr, ARD) kündigt er das nächste große Spiel an. „Die Leute wollen eine Show sehen, und die werden wir ihnen bieten“, sagt Wiencek.

Abseits des Spielfeldes kann man sich diese Ausgelassenheit kaum vorstellen. Da ist Bamm-Bamm ein sanfter Riese , nicht etwa das Abwehrmonster, von dem Torwart Andreas Wolff spricht. Am treffendsten beschreibt ihn daher wohl Kumpel Pekeler: „Bamm-Bamm ist eine gespaltene Persönlichkeit. Auf dem Spielfeld emotional, hart, fair, daneben der liebste Kerl, der keinem etwas zuleide tun kann.“ Wiencek kann man dazu nicht mehr fragen, er ist auf dem Sprung. Seine Familie wartet.