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„Krieg darf nur letztes Mittel sein“

Nach dem Irak-Krieg bestehen die besten Chancen seit Jahren für eine friedliche Lösung im Nahen und Mittleren Osten. Diese Ansicht vertritt Wolfgang Schäuble (CDU), stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag.

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Müssten deutsche Soldaten zur Sicherung des Friedens und des Wiederaufbaus im Irak eingesetzt werden?

Zunächst liegt die Verantwortung bei den Besatzungsmächten. Schrittweise soll die Verantwortung in die Hände des irakischen Volkes gehen. Dabei können auch die Europäer eine Mitverantwortung übernehmen. Wir können nicht grundsätzlich sagen, da machen wir nicht mit.

Beim Aufbau der Nachkriegsordnung werden den USA Fehler vorgeworfen. Wäre nicht die europäische Erfahrung beim Umgang mit untergegangenen Diktaturen nützlich?

Es ist immer meine Auffassung gewesen, dass amerikanische Führungskraft und Stärke kombiniert mit den historischen Erfahrungen der Europäer bessere Chancen bietet, als wenn die Amerikaner allein handeln. Deswegen ist die Partnerschaft auch im amerikanischen Interesse.

Ich will aber, wenn von amerikanischen Fehlern die Rede ist, daran erinnern, welche Unterstellungen nicht eingetroffen sind. Beispielsweise hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse von Hunderttausenden von Opfern gesprochen. Viel zitierte Experten haben einen monatelangen Partisanenkrieg vorhergesagt, der überhaupt nicht zu gewinnen sei. Andere haben gesagt, die ganze Region werde nach einem Krieg in Flammen stehen. All das ist nicht eingetreten.

Die Lage hat sich verbessert ...

Es hat verhältnismäßig wenig Opfer gegeben, und auch die Infrastruktur ist relativ wenig in Mitleidenschaft gezogen worden. Wir haben eine bessere Chance als seit Jahren, dass wir eine friedliche Lösung für die ganze Region finden. Syrien hat sich ein Stück weit gemäßigt. US-Präsident Bush trifft sich mit dem israelischen und dem palästinensischen Ministerpräsidenten. Russland fordert den Iran ultimativ auf, Versuche zur Umgehung des Atomwaffensperrvertrages zu beenden.

Aber im Land herrscht immer noch großes Durcheinander.

Offenbar waren die Amerikaner nicht hinreichend auf die Situation nach Kriegsende vorbereitet. Es gab schlimme Plünderungen. Aber gemessen an den Befürchtungen, muss man aufpassen, dass wir uns mit unseren Bedenken nicht lächerlich machen.

Glauben Sie an die Domino-Theorie? Man musste nur den Irak umschubsen, und nun lösen sich alle Probleme?

Die Reaktion in Syrien, bei den Palästinensern und im Iran spricht dafür, dass amerikanische Entschlossenheit und Stärke mehr zu Stabilität und Frieden beitragen als europäische Nachdenklichkeit.

War das der beste Krieg, den es jemals gab?

Die besten Kriege sind die, die nicht stattfinden. Der Satz des Papstes ist richtig: Jeder Krieg ist ein Versagen. Hier liegt das Versagen darin, dass es nicht gelungen ist, die Ziele im Irak ohne Anwendung militärischer Gewalt zu erreichen. Das Neue an diesem Krieg ist aber, dass durch die Anwendung moderner Technologien neue Möglichkeiten der Kriegsführung entstanden sind. Darin stecken allerdings auch Gefahren: Man könnte in die Versuchung geraten, militärische Gewalt schneller einzusetzen. Militärische Fähigkeiten müssen aber dafür eingesetzt werden, Gewalt zu verhindern.

Erwächst aus dieser militärischen Möglichkeit nicht auch eine Verantwortung, mörderische Diktaturen zu beseitigen?

Langsam, langsam! Krieg darf nur das letzte Mittel sein. Aber als ultima ratio wird man Gewalt eben nicht ausschließen dürfen. Daran hat sich nichts geändert.

Das war vor dem Irak-Krieg schon genauso. Was ist das Neue an der Situation?

Die Chance, dass Regime, die sich so unverantwortlich verhalten wie der Irak, es sich genauer überlegen, ob sie so weitermachen. Sie spüren, sie können auch gezwungen werden, ihre Politik zu ändern.

Was muss sich am Völkerrecht ändern?

Das Völkerrecht beruht im Wesentlichen darauf, dass Staaten in ihrem Bereich mehr oder weniger machen können, was sie wollen. Das kann heute so nicht mehr gelten. Dazu sind die Staaten zu eng miteinander verbunden. Wir müssen grundlegende Menschenrechtsverletzungen zum Gegenstand der UN machen. Der ganze Katalog der Sanktionen und letztendlich die Androhung von Gewalt muss zur Verfügung stehen. Das galt schon im Kosovo, und es gilt heute im Kongo. Außerdem müssen wir die Politik gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zum Gegenstand des Völkerrechts machen. Wir brauchen dafür rechtlich abgesicherte Verfahren. Über diese Fragen darf niemand allein entscheiden. Die Uno ist ein höchst unvollkommenes Gebilde, aber es darf nicht das Recht des Stärkeren gelten. Wir brauchen eine vernünftige Kombination der amerikanischen Überlegenheit mit multilateralen Entscheidungsverfahren.

Bis jetzt wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Lässt das nicht alles in einem anderen Licht erscheinen?

Bei aller Freude darüber, dass dieses grausame Regime mit weniger Opfern beseitigt wurde als erwartet, gibt einem das natürlich schon etwas zu denken. Aber es herrscht kein Zweifel: Der Irak hat Massenvernichtungswaffen besessen und entwickelt. Daran hatte auch der deutsche Nachrichtendienst nie einen Zweifel. Die UN-Inspekteure haben immer gesagt, dass der Irak täuscht. Wir sollten nicht im Nachhinein wegen möglicher Fehler der amerikanischen oder britischen Nachrichtendienste Saddam Hussein moralisch auf ein Heiligenpodest stellen.

Das Gespräch führte Sven Siebert