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Dresdner Ärzte-Ehepaar nach Jahren wegen Betrugs verurteilt

Das Landgericht Dresden hat einen Arzt und seine Frau wegen Krankenkassen-Betrug zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Verjährung stand kurz bevor. Doch es laufen weitere Verfahren.

Von Alexander Schneider
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Der Angeklagte Lutz L.
Der Angeklagte Lutz L. © Benno Löffler

Dresden. Der Dresdner Neurologe Lutz L. muss ins Gefängnis. Der 53-jährige Mediziner wurde am Mittwoch am Landgericht Dresden wegen Betruges in 429 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt. Der Arzt soll als Inhaber mehrerer medizinischer Versorgungszentren in Dresden über Jahre Leistungen gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung falsch abgerechnet haben. Seine Frau Carmen L. (42, Ergotherapeutin) erhielt wegen Betruges in 408 Fällen eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Der Prozess hat im April 2020 begonnen und erstreckte sich über rund 90 Verhandlungstage. Der Vorsitzende Richter Christian Linhardt sprach von einem „sehr umfangreichen Verfahren“, in dem man versucht habe, die Beweisaufnahme auf die wesentlichen Kernfragen einzugrenzen. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sieht das Gericht bei beiden Angeklagten jeweils sechs Monate der Strafe als vollstreckt an.

Das Ehepaar, beide waren unter anderem Geschäftsführende Gesellschafter ihres neurologischen-medizinischen Therapiezentrums in Dresden, soll über Jahre ganz verschiedene medizinische und therapeutische Leistungen nicht korrekt abgerechnet haben. Angeklagt waren Fälle aus den Jahren 2009 bis 2012. Der Schaden wurde in der Anklage auch rund 1,3 Millionen Euro beziffert.

Lutz L. hat die Justiz mehrfach genarrt

Unter anderem seien psychiatrische Gespräche mit L.s Patienten falsch oder auf andere Ärzte abgerechnet worden, das gilt auch für Besuche von Ärztinnen in Pflegeheimen, die ebenfalls auf Kollegen abgerechnet wurden, die nie in einem Heim waren, Blutabnahmen, Infusionen und Akkupunkturen. Nicht zuletzt wurde für Therapien kassiert, die nicht abrechnungsfähig waren.

Als die Polizei im Januar 2012 die Einrichtungen der L.s durchsuchte, fanden die Ermittler unter anderem Blankorezepte im Drucker. „Die Gesamtschau der Verstöße steht einem Irrtum entgegen““, sagte Linhardt und sprach von einem „System an Falschabrechnungen“. In anderen Worten: Das Gericht schließt es aus, dass die Verstöße, wie Abrechnungen an Tagen, an denen die Behandlungen nicht stattfanden, oder auf Namen anderer Ärzte Zufall waren. Vielmehr gab es Hinweise darauf, dass die Ärzte ihre Diagnosen nach einem Muster erstellt haben sollen, das einen bestimmte Behandlungsablauf und viele Behandlungen ermöglichte. Die Patienten sollten möglichst lange in den eigenen Behandlungszentren gehalten werden – und somit auch die Kosten, die sich abrechnen ließen.

Der Vorsitzende betonte dabei allerdings mehrfach, das Gericht gehe davon aus, dass die Leistungen ordnungsgemäß erbracht wurden. Die Qualität der medizinischen Leistungen habe in der Beweisaufnahme nicht zur Disposition gestanden. L. soll ein guter Arzt gewesen sein. Das Problem seien die die Abrechnungen. Formal sei es so, dass schon ein falsches Behandlungsdatum dazu führe, dass die Abrechnung rechtswidrig sei, so der Vorsitzende.

Lutz L. hatte die Justiz mehrfach genarrt. So war sein Aufenthaltsort lange unklar, als L. angeblich in England gewesen sei, möglicherweise weil dort eine Privatinsolvenzen wesentlich schneller erledigt sind als in Deutschland. Saechsische.de fand Mitte 2021 heraus, das L. inzwischen in Mühlhausen als Chefarzt einer psychiatrischen Abteilung des Ökumenischen Hainich-Klinikums Mühlhausen in Thüringen eine neue und sicher gut dotierte Anstellung gefunden hatte – während seines laufenden Gerichtsverfahrens.

Der Angeklagte schweigt - anders als seine Frau

Im Frühjahr dieses Jahres erschien L. überraschend nicht mehr zu seiner Hauptverhandlung, sodass das Gericht ohne ihn weiterverhandelte – und einen Haftbefehl erließ. Im Mai wurde Lutz L. in England verhaftet und wieder an die sächsischen Behörden für den Prozess ausgeliefert. Seit dem befand sich der 53-JÄhrige in Untersuchungshaft. Prozessbeobachter gehen davon aus, das L. mit seinem Abtauchen nach England die Hauptverhandlung zum Platzen bringen wollte, denn 2023 wären die Taten verjährt gewesen.

Aufgrund seines inzwischen angeschlagenen Gesundheitszustands hatten Rettungsassistenten dem Prozess beigewohnt. Zur Urteilsverkündung waren keine Sanitäter mehr anwesend. Trotz Haftstrafe und Fluchtversuch hat die Kammer den Haftbefehl gegen L. außer Vollzug gesetzt und angeordnet, dass der Arzt in Deutschland bleiben muss und sich jeden Freitag persönlich auf dem Polizeirevier Sömmerda in Thüringen, es ist in der Nähe seines Wohnorts, und jeden Wohnortwechsel zu melden hat.

Anders als seine Frau hat Lutz L. bis zum Schluss keine Angaben zu den Vorwürfen gemacht. Das Gericht wertete positiv und auch etwas strafmildernd, dass sich Carmen L. am Ende der langen Beweisaufnahme doch noch dazu entschieden hat, sich geständig einzulassen, wenn auch sehr spät. Beide Angeklagte haben nun auch berufsrechtliche Konsequenzen zu erwarten, sagte Linhardt. Nach SZ-Informationen hat L. bereits keine kassenärztliche Zulassung mehr und ihm droht die Aberkennung seiner Approbation.

Weitere Strafverfahren laufen gegen das Ehepaar

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer für den 53-Jährigen eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren, ein lebenslanges Berufsverbot als selbstständiger Arzt und ein fünfjähriges Berufsverbot als angestellter Arzt gefordert. Für dessen Frau forderten die Ankläger immerhin noch drei Jahre Haft. Darüber hinaus forderte die Staatsanwaltschaft die Einziehung von rund 700.000 Euro. Dieses Schadenswert erkannte das Gericht nicht, sondern ordnete die Einziehung von "nur" knapp 250.000 Euro an.

Die Verteidiger Ulf Israel und Alexander Hübner hatten auf deutlich mildere Urteile plädiert, die von einer Gefängnisstrafe absehen, jedoch keine konkreten Strafanträge gestellt. Sie kritisierten, auch die gängige Abrechnungspraxis im Gesundheitswesen habe diese Taten begünstigt. Nach dem Schuldspruch kündigten die Verteidiger an, das Urteil vom Bundesgerichtshof in einer Revision überprüfen zu lassen. Das kann wieder lange dauern. Die Kammer hat aufgrund der langen Hauptverhandlung jetzt ein halbes Jahr für das schriftliche Urteil Zeit.

Gegen das Ehepaar laufen weitere Strafverfahren. Am Amtsgericht Dresden sind bereits zwei Verfahren anhängig, in denen es unter anderem um Darlehensverträge geht. Die Staatsanaltschaft ermittelt auch wegen Insolvenzdelikten gegen Lutz L. und wegen Vernichtung von Beweismitteln gegen seine Frau. Die 42-Jährige soll während des laufenden Prozesses Datenträger zerstört haben.