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"Was das mit den Betroffenen macht, spielt keine Rolle"

Im Streit der Bischöfe von Dresden und Freiburg um einen Missbrauchsfall schalten sich nun ein Anwalt und eine Opfer-Initiative ein.

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Seit 2010 wird die Katholische Kirche immer wieder von schweren Missbrauchsfällen erschüttert.
Seit 2010 wird die Katholische Kirche immer wieder von schweren Missbrauchsfällen erschüttert. © Friso Gentsch/dpa

Von Jens Schmitz*, Tobias Wolf und Ulrich Wolf

Der Streit um die neue Missbrauchsordnung zwischen dem Erzbistum Freiburg und dem Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers wirft immer mehr Fragen auf. Nach Recherchen der SZ und der Badischen Zeitung zum Fall einer Frau aus Sachsen hat sich nun eine Interessenvertretung von Missbrauchsopfern im kirchlichen Kontext zu Wort gemeldet.

Der Umgang mit dem Fall zeige, dass Freiburg grundlegende Prinzipien der Missbrauchsordnung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) nicht verstanden habe oder nicht verstehen wolle, so die Betroffenen-Initiative Süddeutschland. Formaljuristische Fragen dienten dazu, vom Leid der Betroffenen abzulenken.

"Typischer Umgang der Kirche" mit Opfern

„Das ist der typische Umgang der Kirche, man schaut allein auf den Ruf der Kirche und was das mit den Betroffenen macht, spielt keine Rolle“, sagt eine Sprecherin. „Es wird versucht, die Betroffene zu diskreditieren, indem ihr Lügen vorgeworfen werden.“

Der Dresdner Bischof hat zwei Mönchen des Pallottiner-Ordens nach einer Untersuchung gemäß der seit 2020 geltenden Missbrauchsordnung den Seelsorgedienst in seinem Bistum untersagt. Einer der Mönche soll 1990 eine damals 22-jährige Frau aus Sachsen missbraucht, der andere den Missbrauch gedeckt haben. Die Vorwürfe seien glaubhaft und wahrscheinlich, urteilt Timmerevers.

Freiburgs Erzbischof Stephan Burger hält dagegen: Die Vorwürfe seien „nicht bewiesen oder plausibilisiert“. Einer der Beschuldigten gibt regelmäßig Kurse in kirchlichen Häusern.

Der Jesuiten-Orden hatte einem Einsatz des Paters in ihren deutschen Häusern schon vor der Dresdner Untersuchung vorerst widersprochen. Bistümer wie Bamberg und Augsburg folgten für ihre Gebiete, bis die Vorwürfe aufgeklärt sind.

Stephan Burger ist Erzbischof des Erzbistums Freiburg. Der Umgang seiner Diözese mit dem Missbrauchsfall einer Frau aus Sachsen wirft immer mehr Fragen auf.
Stephan Burger ist Erzbischof des Erzbistums Freiburg. Der Umgang seiner Diözese mit dem Missbrauchsfall einer Frau aus Sachsen wirft immer mehr Fragen auf. © dpa/Philipp von Ditfurth

Das Erzbistum Freiburg betonte nun abermals, dass sich die Vorwürfe gegen die beiden Patres kirchenrechtlich nicht erhärten ließen, weil der beschuldigte Pater als angehender Mönch kein Kleriker gewesen sei. Es sei „zweifelhaft, ob es sich bei der Betroffenen um eine Schutzbefohlene“ gehandelt habe. Freiburg verweist unter anderem auf das damalige Alter der Frau.

Diese Darstellung argumentiert nur mit dem römischen Kirchenrecht und lässt die Missbrauchsordnung der DBK außer Acht. Die Glaubenskongregation in Rom hat sich deshalb für unzuständig erklärt und somit Timmerevers und die deutschen Bischöfe in ihrer Verantwortung bestätigt.

Die Kleruskongregation hat die Wirkung eines kirchenrechtlichen Dekrets aus Dresden vorerst ausgesetzt, nicht aber die eigentliche Verfügung nach der Missbrauchs-Ordnung. Eine Grundsatzentscheidung aus dem Vatikan gibt es bislang nicht.

Anwalt: Freiburg soll Fehler richtigstellen

Weil die staatsanwaltlichen Ermittlungen eingestellt worden seien, so Freiburg weiter, habe es auch keine strafrechtliche Grundlage gegen die beschuldigten Patres gegeben. Ähnlich äußert sich die Leitung des Pallottiner-Ordens. Es sei „noch nicht einmal Anklage erhoben worden“, so der Orden. Es gelte die Unschuldsvermutung.

Der Dresdner Bischof hatte Anzeige wegen Missbrauchs erstattet. Die Staatsanwaltschaft konkretisierte die Schilderungen der Betroffenen zu: Nötigung und Vergewaltigung. Über Schuldfragen ist damit aber nichts entschieden.

Was Freiburg und die Pallottiner jedoch bisher nicht erwähnen: Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen nur deshalb eingestellt, weil die Tat 2017 verjährt ist und damit nicht mehr verfolgt werden kann. Zusätzlich hatte die Behörde eine Mitteilung mit den Vorwürfen an das Dresdner Bistum verschickt, die in bestimmten Fällen üblich ist.

Dresdens Bischof Heinrich Timmereverswill an seiner Entscheidung in diesem Missbrauchsfall festhalten, „wie auch immer die Entscheidung der römischen Kongregationen ausfällt“.
Dresdens Bischof Heinrich Timmereverswill an seiner Entscheidung in diesem Missbrauchsfall festhalten, „wie auch immer die Entscheidung der römischen Kongregationen ausfällt“. ©  Thomas Kretschel

Inzwischen hat der Anwalt der betroffenen Frau in einem Brief an Freiburg gefordert, dass das Erzbistum Fehler in seinen Erklärungen zu dem Missbrauchsfall öffentlich richtigstellt. Der Brief liegt der Redaktion vor. Freiburg hatte etwa behauptet, die Betroffene habe Angebote erhalten wie eine telefonische psychologische Unterstützung. Dies sei falsch, so der Anwalt. Die Frau sei nur zum Antrag auf Anerkennung ihres Leids befragt worden.

Auch hatte das Erzbistum mehrfach behauptet, dass die Kanzlei der Freiburger Missbrauchsbeauftragten keine weiteren Unterlagen vom Bistum Dresden-Meißen erhalten habe, die Glaubwürdigkeit und Plausibilität der Vorwürfe belegen könnten – wie fachärztliche Gutachten und Polizeiprotokolle. Dresden zufolge seien die nötigen Unterlagen versandt worden.

Dresdner Bischof hält an Entscheidung fest

Dresdens Bischof Heinrich Timmereverswill an seiner Entscheidung festhalten, „wie auch immer die Entscheidung der römischen Kongregationen ausfällt“. Man stehe mit der Kleruskongregation in Korrespondenz und hoffe auf eine baldige Entscheidung, so das Bistum Dresden-Meißen.

Am Mittwochabend ruderte Freiburg ein stückweit zurück. Nach erneuter Prüfung „konnte heute“ eine E-Mail vom 17.7.2020 gefunden werden, so das Erzbistum. Freiburg werde den Fall erneut prüfen und ihm nachgehen, sofern es neue, veränderte Hinweise oder Informationen gibt.

Von der Betroffenen-Initiative heißt es: „Dass man die Plausibilität der Vorwürfe von Betroffenen nach Belieben immer wieder prüft, ist ungeheuerlich.“ Jedes Mal sei das wieder eine seelische Belastung und Betroffene würden so zum Spielball irgendwelcher Interessen. „Man sollte meinen, dass die Kirche begriffen hat, dass diese Art von Diskreditierung mit das Schlimmste ist, was Missbrauchsbetroffenen passieren kann“, so die Sprecherin.

*Südwest-Korrespondent der Badischen Zeitung.

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