Kritik am Vorpreschen einiger Länder

Berlin. In den großen deutschen Ferienregionen dürfen Hotels und Restaurants bald öffnen, mehr Kinder können vielerorts auch wieder in Schule und Kita. Einen Tag vor Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten haben erneut mehrere Bundesländer deutliche Lockerungen ihrer Corona-Beschränkungen beschlossen. Zugleich mehrt sich die Kritik am uneinheitlichen Vorgehen der Länder. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plädierte dafür, regional ganz genau hinzuschauen - und bei einem erneuten Ausbruch die Regeln dort auch sehr schnell wieder zu verschärfen.
Kanzlerin Angela Merkel will sich nach Informationen der "Bild"-Zeitung sogar für eine klare Obergrenze der Neu-Infektionen einsetzen, ab der regional wieder die bisherigen harten Maßnahmen gelten sollen. Die anstehenden Lockerungsbeschlüsse sollten mit einem entsprechenden Vorbehalt verbunden werden. Dem Bericht zufolge nannte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) die Schwelle von 50 Neu-Infektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche in einem Landkreis.
Am Mittwoch will Merkel mit den Ministerpräsidenten neue Lockerungsschritte beraten. Zahlreiche Länder sind aber schon vorgeprescht. So dürfen Gaststätten und Hotels in Bayern schrittweise bis Ende Mai wieder öffnen. In Sachsen-Anhalt - und damit in einem Teil der Urlaubsregion Harz - dürfen Ferienhäuser und -wohnungen ab Mitte Mai an wieder an Einheimische vermietet werden. In weiteren Stufen sollen Hotels für Touristen und später alle touristischen Betriebe und Angebote geöffnet werden. Restaurants sollen ab dem 22. Mai öffnen dürfen.
In Bayern sollen alle Schulen ab Mitte Juni öffnen
Auch die Küstenländer Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben die Öffnung von Hotels und Ferienwohnungen vor Pfingsten bereits wieder erlaubt. In allen Ländern sollen weiterhin Abstandsgebote und Hygienemaßnahmen eingehalten werden.
Gleich mehrere Länder legten zudem Pläne für den Neustart der Schulen vor. In Bayern sollen Mitte Juni alle Schüler wieder in die Schule gehen können - "wenn das Infektionsgeschehen es zulässt", sagte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Es soll kleine Klassen mit höchstens 15 Schülern und eine Maskenpflicht auf dem Schulhof geben. In Hessen soll der Unterricht ab dem 18. Mai schrittweise für viele weitere Schüler beginnen. Bis Pfingsten sollen zudem 50 Prozent der Krippen- und Kindergartenkinder in Bayern wieder in die Kitas, in Mecklenburg-Vorpommern die Vorschulkinder schon ab dem 18. Mai.
"Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für ein vorsichtiges Öffnen. Die Erfolge sind eindeutig", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Bayern ist von allen Bundesländern am schwersten von der Pandemie betroffen, zuletzt war die Zahl der Erkrankten aber stark zurückgegangen. Nun sei es daher entscheidend, aus der Krise herauszukommen, langsam und sicher - das bleibe das oberste Gebot, sagte Söder. "Wir machen keine plumpe Öffnung. Das was wir machen, ist ja ein Modell", sagte der CSU-Chef. Der bayerische "Pfad der Vernunft" könne auch für andere Länder eine Blaupause sein.

Doch in mehreren Ländern gibt es auch scharfe Kritik am unabgestimmten Vorpreschen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betonte: "Zusammenbleiben kann man nicht, wenn jeder schon vorher beschlossen hat, was er macht." Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sieht die regionalen Lockerungen kritisch. Sie hinterließen vielleicht bei manchen den Eindruck, sorglose Begegnungen seien wieder möglich.
Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus kritisierte, dass die Länder bislang zu uneinheitlich vorgingen. Er hoffe, dass die Konferenz von Merkel und den Ministerpräsidenten mehr Ordnung ins Verfahren bringe, sagte der CDU-Politiker. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch warf der Bundesregierung vor, das Heft mehr und mehr aus der Hand zu geben. "Das alles ist ein Dominoeffekt, der jetzt in keiner Weise aufhaltbar ist", sagte er. "Jeder muss dem anderen folgen oder ihn überbieten. Ich sehe das als hochproblematisch an."
Gesundheitsminister Spahn dagegen wünscht sich noch flexiblere Anti-Corona-Regeln. "Was wir entwickeln müssen, sind gar nicht Regelungen an den Landesgrenzen, sondern regionale Unterschiede", sagte er im Deutschlandfunk. In Landkreisen mit wenig Infizierten könne man anders handeln als in Kommunen mit vielen Krankheitsfällen. (dpa)