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"Wir sollten nicht länger Corona-Opfer sein"

Schockrocker Alice Cooper widmet dem Virus einen Song und singt auf seinem neuen Album darüber, wie es ist, in einer Problemstadt wie Detroit aufzuwachsen.

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Auch Alice Cooper scharrt mit den Hufen und würden am liebsten sofort wieder auf Tournee gehen.
Auch Alice Cooper scharrt mit den Hufen und würden am liebsten sofort wieder auf Tournee gehen. © Jenny Risher

Alice Cooper ist verewigt in der Rock and Roll Hall of Fame und hat einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame. Auf der Bühne lässt der Pate des Schock-Rock sich gern köpfen und aufschlitzen, dazu singt er Hits wie „Welcome To My Nightmare“ und „Poison“. Auf seinem neuen Album „Detroit Stories“ klingt der 73-Jährige entschieden dunkler und härter als gewohnt: eine Hommage an seinen Geburtsort Detroit, eine Keimzelle von Hardrock, Garage Rock, Blues, Soul, Funk und Techno. Wir sprachen mit Alice Cooper alias Vincent Damon Furnier über die wilden Sixties und die chaotische Gegenwart.

Mr. Cooper, auf „Detroit Stories“ spielen ausschließlich Musiker aus Detroit Songs, die von dieser Stadt inspiriert sind. Wie fühlt es sich an, zu Ihren Wurzeln zurückzukehren?

Einfach gut. Die Platte ist ein bisschen eklektisch. Hauptsächlich enthält sie Hard Rock, aber ich wollte diesmal alle Detroiter Stile erkunden, weshalb man auch Motown-, Blues- und Punk-Stücke hört.

Wie wichtig war Detroit für Ihre Selbstfindung als Musiker?

1968 gründete sich in Los Angeles die Alice Cooper Band und blieb zunächst unentdeckt. Wir passten einfach in keine Schublade, wir waren Außenseiter, weil wir mit unseren theatralen Horror-Shows die Leute zu Tode erschreckten. 1970 gingen wir schließlich nach Detroit, der Heimat des beinharten Hard Rock. Unter Gleichgesinnten wie den Stooges, The MC5, Bob Seeger, Suzi Quatro und Ted Nugent fühlten wir uns natürlich zuhause. Ich bin ja sowieso in Detroit geboren.

Sahen Sie sich damals eigentlich selbst als Underdog?

Wir fühlten uns als Außenseiter in einer Underdog-Stadt. Detroit galt wahlweise als Drogen-Hauptstadt oder Mord-Hauptstadt. Über Detroit wurden viele böse Witze gemacht. Aber dort entwickelten sich auch der berühmte Motown-Soul und ein ganz spezieller Hard-Rock-Sound. Man muss sich nicht dafür schämen, aus der Music City Detroit zu kommen. Jack White gehört übrigens auch dazu. Dort gelang uns mit der Single „Eighteen“ auch der Durchbruch.

1968 gründete sich in Los Angeles die Alice Cooper Band. Mit ihrem theatralischen Glamrock passten sie in keine Schublade und bleiben unentdeckt. Bis Vincent Damon Furnier alias Alice Cooper 1970 wieder zurück in seine Heimatstadt Detroit zog, die Metropo
1968 gründete sich in Los Angeles die Alice Cooper Band. Mit ihrem theatralischen Glamrock passten sie in keine Schublade und bleiben unentdeckt. Bis Vincent Damon Furnier alias Alice Cooper 1970 wieder zurück in seine Heimatstadt Detroit zog, die Metropo © Foto: Straight Records

Warum klang der Detroit Sound wie das Gegenteil von Love & Peace? Wieso diese Heavyness und Dunkelheit?

In Los Angeles hat man eher sexy-mysteriöse Musik à la The Doors, in Frisco Psychedelic Rock und in New York intellektuellen Rock’n’Roll gemacht. Detroit hingegen war die Industriemetropole des Mittleren Westens. Man sagte, dort leben die wahren Amerikaner. Und die wollten, dass ihre Musik klingt wie die Maschinen in den Autofabriken, in denen sie arbeiteten. Die hörten sich keinen erbärmlichen Soft Rock an, sondern robuste Musik mit Attitüde. Genau das hatte ich im Sinn, als ich die neue Platte anging. Mein Produzent Bob Ezrin schlug vor, dass wir sie in Detroit nicht nur aufnehmen, sondern auch schreiben. Da sagte ich: Lass uns mit Musikern von dort arbeiten! Sprich Wayne Kramer von The MC5, Mark Farner von Grand Funk und Johnny Bee von Mitch Ryder & Detroit, aber auch Joe Bonamassa.

Sie haben eine neue Version von Lou Reeds Klassiker „Rock & Roll“ aufgenommen, die Geschichte eines Mädchens, dessen Leben durch den Rock’n’Roll gerettet wird. Handelt der Song auch von Ihnen?

Nein. Ich bin in einer glücklichen Familie aufgewachsen und hatte nie ein Problem mit meinen Eltern. Die Schule fand ich immer toll, weil ich dort viele Freunde hatte. Ich war eigentlich immer schon Optimist. Mit sieben Jahren sah ich das erste Mal Elvis. Ich hörte mir auch ein Album von Chuck Berry an. Diese Art von Gitarrenrock ging in meine DNA über. Mit meiner ersten Band The Earwigs wollte ich 1964 nichts außer Hard Rock spielen.

Sie selbst sind in East Detroit aufgewachsen. Was war das für eine Gegend?

Eine absolut Ungefährliche. Detroit wurde erst zu einem unsicheren Ort, nachdem die Drogen Einzug gehalten hatten. Downtown war irgendwann sehr stark von der Drogenszene geprägt. Deshalb wurde Detroit auch Hauptstadt der Morde genannt. Aber in den Fünfzigern, als ich ein kleiner Junge war, war die Welt noch in Ordnung. Sehr glücklich habe ich jeden Tag mit den verschiedensten Kindern Baseball, Hockey oder Football gespielt. An irgendwelche rassistischen Konflikte kann ich mich nicht erinnern. Hautfarbe spielte bei uns keine Rolle.

Schwere Krawalle hielten im Juli 1967 die Bewohner Detroits in Atem. Die schwarze Bevölkerung fühlte sich von weißen Polizisten schikaniert. Am Ende gab es 43 tote Demonstranten und 3.000 ausgebrannte Häuser. Waren Sie Zeuge dieser Rassenunruhen?

Nein, zu der Zeit lebte ich in Los Angeles. Nachdem wir 1969/70 mit der Band nach Detroit gezogen waren, begannen wir, uns voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Wir spielten an manchen Abenden mit weißen Rock-Bands wie The MC5, The Stooges und The Who. Und im Publikum sah man schwarze Soulstars wie Smokey Robinson, The Temptations und die Supremes. Die Rock-Leute und die Motown-Künstler fühlten sich auf seltsame Weise freundschaftlich verbunden. Hautfarbe spielte für uns keine Rolle. Es ging uns ausschließlich um Musik. Detroit war halt ein Schmelztiegel, wo Menschen aller Rassen hinkamen, um dort zu arbeiten.

Der Song „Don’t Give Up“ handelt von Selbstmord. Hat Detroit ein großes Suizidproblem?

Jede große Stadt hat doch ein Selbstmord-Problem! Das Album haben wir noch vor der Pandemie fertiggestellt. Direkt nachdem wir „Don’t Give Up“ aufgenommen hatten, begann die Krise. Da sagte mein Produzent Bob Ezrin zu mir: „Der Inhalt passt erstaunlicherweise auch auf Corona. Lass uns den zweiten Vers ändern und die Pandemie mit hineinnehmen.“ Ich finde, wir sollten nicht länger Opfer von Covid-19 sein. Deshalb spreche ich in „Don’t Give Up“ zu dem Virus und teile ihm mit, dass es nur noch eine gewisse Zeit auf Erden sein wird. Die Menschheit wird Corona überleben! Es wird Zeit, dass wir etwas positiver auf die Seuche blicken. Lasst uns endlich aufhören, Opfer zu sein, und stattdessen Aggressor werden!

Erwarten Sie, dieses Jahr wieder auf Tour gehen zu können?

Jede Band, die ich kenne, kann es kaum erwarten, wieder auf Tour zu gehen. Es ist sehr ungewöhnlich, dass die gesamte Musikwelt ein Jahr lang still steht. Das gab es noch nie. Alle scharren mit den Hufen und würden am liebsten sofort starten. Gut, dass die Leute endlich geimpft werden. Spätestens in sechs Monaten wird die Musikszene wieder viel positiver denken.

Das Gespräch führte Olaf Neumann.

Alice Cooper: Detroit Stories (earMusic/edel)