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Bekenntnisse des Ex-Bild-Chefs: Bei Putin, Trump und an Kohls Sterbebett

Kai Diekmann leitete jahrelang als Chefredakteur die Redaktion der Bild-Zeitung. Jetzt erzählt er in seinem autobiografischen Buch „Ich war Bild“ schlaglichtartig Storys seiner Karriere - inklusive kleiner Fehler.

Von Peter Ufer
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„Wir sind Bild! Wer ist mehr?“ Kai Diekmann 2011 als Chefredakteur in Berlin mit dem Titelblatt eines Probe-Exemplars der größten Bild-Zeitung aller Zeiten – eine Sonderausgabe im XXL-Format.
„Wir sind Bild! Wer ist mehr?“ Kai Diekmann 2011 als Chefredakteur in Berlin mit dem Titelblatt eines Probe-Exemplars der größten Bild-Zeitung aller Zeiten – eine Sonderausgabe im XXL-Format. © dpa

Er ging mit Putin baden, begleitete Lady Gaga beim Meditieren, interviewte als einziger deutscher Journalist Trump, spielte mit Günter Wallraff Pingpong, dauerumarmte Helmut Kohl und verstand Angela Merkel nicht immer.

Bundespräsident Christian Wulff redete ihm 2011 blöderweise auf die Mailbox, drohte mit Strafanzeige, wenn die Bild den Beitrag über die Finanzierung seines Eigenheims in Großburgwedel veröffentlicht. Für den Journalisten eine Steilvorlage, für den Politiker der Anfang vom Ende.

Altkanzler Helmut Kohl wird von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann (r.) in Ludwigshafen anlässlich seines bevorstehenden 80. Geburtstags am Samstag.2010 interviewt.
Altkanzler Helmut Kohl wird von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann (r.) in Ludwigshafen anlässlich seines bevorstehenden 80. Geburtstags am Samstag.2010 interviewt. © dpa/Daniel Biskup

Kai Diekmann erzählt jetzt in seinem autobiografischen Buch „Ich war Bild“ schlaglichtartig Storys seiner Karriere inklusive kleiner Fehler. Der Journalist leitete seit 2001 insgesamt 16 Jahre lang als Chefredakteur die Redaktion der Bild-Zeitung, war ihr Herausgeber, verließ 2017 endgültig den Springer-Verlag. Seine Jahre als Bildboss gleichen dem Zeitraum der Kohl- oder Merkel-Ära. Und obwohl es noch gar nicht so lange her ist, wirken die Geschichten dennoch wie aus der Zeit der letzten Dinosaurier.

Die Gegenwart setzt mit Klimakrise, Krieg, Social Media und künstlicher Intelligenz längst andere Prioritäten. Zudem lassen die Affäre um den Diekmann-Nachfolger Julian Reichelt sowie die verwirrenden Ansagen samt Ostschelte des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner im Springer-Verlag die fein aufgebaute Fassade stark bröckeln. Das Bedürfnis, einmal dahinter sehen zu dürfen und die Mechanismen kennenzulernen, ist deshalb groß und von öffentlichem Interesse.

„Wir sind Papst“

Da kommt Diekmanns Druckwerk genau richtig. Doch wer hofft, der Autor nähme die Leserschaft mit, um von einem Insider mehr über die Struktur, Abläufe und Mitarbeitende innerhalb des Springer-Imperiums zu erfahren, der braucht das Buch nicht zu lesen. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagte Diekmann: „Ich habe natürlich eine Meinung zu all dem, was da gerade passiert. Ich bin schon seit über sechs Jahren nicht mehr bei Bild und daher Gott sei Dank nicht Teil dieses Dramas. Deswegen erlaube ich mir den Luxus, meine Meinung für mich zu behalten.“

Allerdings sind seine subjektiven, akribisch mit Daten, Fotos, Dokumenten, Briefen und E-Mails unterlegten Erinnerungen zeitgeschichtlich interessant. Der Medienprofi gibt offen Einblicke in das Innenleben eines Menschen, der als ungekrönter König der Boulevardpresse mit der publizistischen Macht der damals noch auflagenstärksten Zeitung Europas spielen konnte.

Was er nicht erzählt: In seiner Zeit als Chefredakteur sank die Auflage der Printausgabe laut Wikipedia um über drei Millionen Exemplare. Die verkaufte Auflage betrug im 1. Quartal 2023 exakt 1.053.897 Exemplare, ein Minus von 76,1 Prozent seit 1998.Dennoch präsentiert der Mann, der sein Studium abbrach, um 1985 bei Springer als Volontär anzuheuern, mit Freude seine Begegnungen mit Präsidenten, Päpsten, Kanzlern und Künstlern. Auf vielen Seiten zeigt er mit Fotos ein Prominentenpuzzle, das die Neugier clever weckt.

Zudem schreibt der Autor ganz nach Bildmanier flott, spritzig, immer mit einem Hang zum Abenteuer, bei dem der tolle Hai gewinnt. Sein 544 Seiten starkes Selfie-Werk liest sich, als glaube der gebürtige Ravensburger, der heute in Potsdam und auf Usedom lebt, nach wie vor an seinen großartigen gesellschaftspolitischen Einfluss, den er ausgeübt haben will.

Wenn er schreibt, die „Berufskrankheit der Mächtigen ist die Hybris“, hat der 58-Jährige inklusive seiner selbst recht. „Wenn ich eine Marke wäre,“ sagte er kürzlich, „wäre ich wahrscheinlich Coca-Cola. Ein Klassiker in den wunderbaren Farben rot und weiß – und manchmal ein bisschen ungesund.“

Mit Michael Gorbatschow und Angela Merkel 20111 am Brandenburger Tor.
Mit Michael Gorbatschow und Angela Merkel 20111 am Brandenburger Tor. © Reuters/Pool

„Wir sind Papst“ wurde nach der Wahl Joseph Kardinal Ratzingers zum obersten Katholiken am 20. April 2005 eine der meistzitierten Schlagzeilen der Boulevardzeitung. Die Parallele zu seinem „Ich war Bild“ ist nicht zu überlesen. Allerdings wusste der Papst immer, dass er nicht der Bild-Chef ist.

Selbst wenn man dem Journalisten bei seiner teilweise amüsanten Rückschau eine gewisse Selbstironie unterstellt, bleibt ein fahler Beigeschmack. Denn der Autor verteidigt zwölf Kapitel lang sein „Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen“, als müsste er sich vor dem Fegefeuer retten. Kai Diekmann möchte offenbar nachträglich als gewiefter Journalist, ehrlicher Bürger, aber vor allem als harmoniebedürftiger Mensch in die Historie eingehen. Das Ganze wirkt in weiten Teilen wie eine Art Selbstgefälligkeitsjournalismus, wobei die Betonung hier nicht auf Journalismus liegt.

Kohl-Fan für Jahrzehnte

Seine Arbeitstaktik aus Egozentrik, Politikernähe und Medienmacht verhalf ihm zu exklusiven Geschichten, Neid aus der Branche und Angriffe von Gegnern inklusive. Seine Sicht dazu zu erfahren, macht das Buch spannend. Gleichwohl sind die Geschichten unfreiwillig ein Offenbarungseid einer Dauerkungelei zwischen dem Medienunternehmen und Politikern beziehungsweise andersherum.

Eine kleine Anekdote im Buch steht dafür symbolisch: Bereits mit 17 Jahren darf der Journalistennachwuchs zum ersten Mal Helmut Kohl interviewen. „Herr Dr. Kohl, ist die Jugend wirklich so schlecht wie ihr Ruf?“, fragt er. Kohl antwortet und schenkt ihm ein Portemonnaie mit CDU-Logo. Wenn Diekmann Jahre später über seinen, wie er ihn nennt, väterlichen Freund und Trauzeugen Helmut Kohl parteiergreifend ausbreitet, wie viel Geld er seinen Söhnen überließ, wie das Erbe geregelt werden soll oder was im Haus am Sterbebett des Ex-Kanzlers geschah, so bedient das einen Voyeurismus, der Privates ohne politische Relevanz in die Öffentlichkeit zerrt.

Auch aus anderen Vier-Augen-Gesprächen zitiert er munter. Aber selbstverständlich wussten die anderen immer, dass sie sich mit dem Bild-Chef unterhielten, der letztlich nichts für sich behalten kann. Auch Jahre später nicht.

Das ebenfalls kürzlich erschienene Buch „Noch wach?“ von Benjamin von Stuckrad-Barre rund um die Reichelt-Affäre kann durchaus als Fortsetzung der Bild-Geschichte nach dem Abschied von Diekmann gelesen werden. Der Schriftsteller erhebt darin vertrauliche Gespräche aus einstigen Freundschaften, unter anderem mit Mathias Döpfner, zur Literatur. Das ist jedoch kein Schlüsselroman, sondern vielmehr ein Schlüssellochroman.

Um zu lernen, wie die Springer-Welt um sich selbst kreist, dazu sind beide Bücher bestens geeignet. Gleichzeitig zeigen sie, wie sich der Journalismus nicht immer zu seinem Vorteil veränderte. Zukunft jedoch hat er allemal. Das ist die positive Botschaft des letzten Bild-Dinos. „Was früher die Zeitung war, ist heute Twitter, was das Fernsehen war, ist heute Youtube“, so Diekmann. Am Ende des Buches schreibt er, dass genau deshalb Journalismus umso wichtiger sei. Der müsse die massenhafte Selbstinszenierung auf ihren Gehalt und Wahrhaftigkeit prüfen, Relevanz herstellen, Fakten sortieren und erklären, was richtig ist. Das ist schon immer das Geschäftsmodell des Journalismus. Ihn aufzugeben, wäre fatal.

  • Kai Diekmann: Ich war BILD, DVA, 544 S., 34 Euro.
  • Der Autor präsentiert sein Buch am 4.7. ab 20 Uhr im Dresdner Haus des Buches, Külzring