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Cancel-Culture an der Humboldt-Uni?

Eine Biologin will darüber vortragen, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt. Nach Protesten sagt die Berliner Uni ab – und gerät erst recht unter Beschuss.

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Bei einer Demonstration gegen den Vortrag der Biologin Vollbrecht hängen vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Uni Transparente mit drastischer Kritik.
Bei einer Demonstration gegen den Vortrag der Biologin Vollbrecht hängen vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Uni Transparente mit drastischer Kritik. © dpa

Die Absage eines Vortrags an der Humboldt-Universität Berlin hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Die Uni habe der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen, sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen. „Sie hätte stattdessen Rückgrat beweisen sollen und alles daran setzen müssen, dass der Vortrag stattfinden kann.“

Nach der Ankündigung von Protesten hatte die Hochschule den Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht gestrichen, der am vergangenen Samstag gehalten werden sollte. Der Titel lautete „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“. Gegner der Absage kritisieren die Entscheidung als Einknicken und Verletzung der Wissenschaftsfreiheit. Andere Stimmen finden die Aussagen der Biologin in der Genderdebatte problematisch.

Wie können wir Wissenschaftsfreiheit gewährleisten?

Die Humboldt-Universität will laut Sprecher Boris Nitzsche nun am 14. Juli eine Podiumsdiskussion veranstalten, zu der auch Stark-Watzinger und die Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) eingeladen werden sollen. Zuvor hatte der RBB über den neuen Termin berichtet. „Es geht uns vor allem um die Frage: Wie können wir Wissenschaftsfreiheit gewährleisten? Wie müssen sich Universitäten und auch die Politik dazu aufstellen?“, so Nitzsche.

Der Vortrag solle kontextualisiert und diskutiert werden. Es sei ausschließlich um die Sicherheit gegangen, sagte er mit Blick auf die Absage. „Nach Fragen an die Polizei haben wir die Veranstaltung abgesagt, weil wir befürchteten, dass die Situation eskalierte. Es waren eine Demonstration und eine Gegendemonstration angekündigt.“

In den Sozialen Netzwerken geht die Biologin Marie-Luise Vollbrecht alias "Frau Summer" gegen Gender-Politik und Trans-Menschen vor. Dabei wird sie oft sehr aggressiv. Hier beleidigt sie die Soziologin Dana Mahr.
In den Sozialen Netzwerken geht die Biologin Marie-Luise Vollbrecht alias "Frau Summer" gegen Gender-Politik und Trans-Menschen vor. Dabei wird sie oft sehr aggressiv. Hier beleidigt sie die Soziologin Dana Mahr. © Screenshot: Dana Mahr

"Große intellektuelle und organisatorische Feigheit"

Es müsse möglich sein, dass auch umstrittene Personen Vorträge halten. „Für die Handhabung von solchen Situationen sind Hochschulen derzeit nicht gut aufgestellt“, so Nitzsche. Die Absage mit Sicherheitsbedenken zu begründen, sei eine absolute Unverschämtheit, kritisierte der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch („Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“). Sie unterstelle Gewalttätigkeit.

In Wirklichkeit aber hätten die Uni-Leitung oder die von ihr mit der Planung Beauftragten „erst bei der Programmgestaltung geschlafen und dann versucht“, das „selbst verursachte Problem hastig und mit großer intellektueller und organisatorischer Feigheit aus der Welt zu schaffen“, sagt Linguist Stefanowitsch.

„Unwissenschaftlich“ und „menschenverachtend“

Die Gruppierung „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ hatte zu Protest aufgerufen. Marie-Luise Vollbrechts Aussage, in der Biologie gebe es nur zwei Geschlechter, sei „unwissenschaftlich“, „menschenverachtend“ und „queer- und trans*feindlich“, heißt es in einer Stellungnahme. Vollbrechts Vortrag ist auf Youtube zu finden und hatte am Dienstagnachmittag knapp 80.000 Zugriffe.

Darin erklärt die Forscherin, warum es ihrer Ansicht nach nur zwei biologische Geschlechter gibt und dass das biologische Geschlecht vom sozialen Geschlecht (Gender) zu unterscheiden sei. Sie wolle niemandem etwas Böses, sagte Vollbrecht im RBB. „Ich habe immer gesagt: Es geht hier nur um Biologie. Es geht hier nicht um Politik oder Meinungen außerhalb der Uni.“

Kinder „indoktriniert“ und „aufdringlich sexualisiert“?

Die Biologin war im Juni mit anderen Autoren in die Kritik geraten. Sie behaupteten in einem Beitrag der Tageszeitung Welt, in ARD und ZDF wäre „geleugnet“ worden, „dass es nur zwei Geschlechter gibt“. Auch würden Kinder „indoktriniert“ und „aufdringlich sexualisiert“. Der Welt-Artikel war danach zurückgezogen worden, Springer-Verlagschef Matthias Döpfner persönlich hatte ihn als "unterirdisch" bezeichnet.

Am Wochenende hatte HU-Sprecherin Birgit Mangelsdorf erklärt, die „Meinungen“, die Marie-Luise Vollbrecht in dem Artikel vertreten habe, stünden nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten. „Wir distanzieren uns daher ausdrücklich.“ Laut Sprecher Nitzsche habe aber die Entscheidung, den Vortrag abzusagen, nichts mit dem umstrittenen Artikel zu tun. (dpa)