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Das ist der Sieger beim Karikaturenpreis 2021

Olaf Schwarzbach gewinnt den Deutschen Karikaturenpreis. Er überzeugte die Jury mit einer karottenreifen Mohrrübe. Das sind die Gewinner.

Von Peter Ufer
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laf Schwarzbach hat mit seiner Karikatur zum Motto „Normal, aber anders“ gewonnen.
laf Schwarzbach hat mit seiner Karikatur zum Motto „Normal, aber anders“ gewonnen. © Ronald Bonß

Dresden. Wenn Olaf Schwarzbach zeichnet, verzieht er sich. Dann setzt er sich an seinen Schreibtisch in einem winzigen Erker gleich hinter der Küche seiner Altbauwohnung am Prenzlauer Berg. Die teilt er sich mit seiner Freundin und Tochter. Aus dem Fenster blickt er rüber zur Gethsemanekirche. Um die Ecke befinden sich die Hintersee-Bar, das Tatoo-Studio „Blut und Eisen“ und die Buchhandlung „Prior & Mumpitz“. Wenn er fertig ist mit der Zeichnung, setzt er noch sein Signum darunter: OL. Seit 1990 arbeitet er als freischaffender Karikaturist und läuft jeden Tag durch seinen Kiez.

Da gehört er hin wie der große Laubbaum im Hinterhof. Käthe Kollwitz lebte hier ab 1891 in einem Eckhaus der damaligen Weißenburger Straße, seit 1947 Kollwitzstraße. Die ist nur ein paar Minuten Fußweg entfernt von Schwarzbachs Erker.

Der Prenzlauer Berg war für Kollwitz lebendige Vorlage für sämtliche Widersprüche des Lebens. OL geht es nicht anders. Wenn Kinder mit Buddelzwang ihre Mütter zur Weißglut bringen, dann sieht der Mann genau hin. Der Kollwitz-Platz liefert ihm Stadtneurosen und Pissbudenlyrik, Helikopter-Eltern und Rollstuhl-Armut. Die alten Armen gibt es hier öfter, als Politiker es wahr haben wollen. Selbst Schwaben, die massenhaft nach der Wende in die deutsche Hauptstadt zogen, sympathisieren inzwischen mit der Idee, Mietmonopolisten zu enteignen.

Die Gewinnerkarikatur: M-Wort von Olaf Schwarzbach alias OL wurde mit 4.000 Euro dotiert.
Die Gewinnerkarikatur: M-Wort von Olaf Schwarzbach alias OL wurde mit 4.000 Euro dotiert. © OL

1965 kam Olaf Schwarzbach in Berlin zur Welt. Er hätte diese seine Welt wohl auch nie freiwillig verlassen, wenn nicht seine Mutter gestorben wäre. Ab dem dritten Lebensjahr wuchs er bei seiner Tante in Potsdam auf. In seiner Jugend, erzählt OL, sei er oft traurig gewesen und wusste nicht, wieso. Keiner erklärte ihm, was mit der Mutter passiert war. Als er acht war, da stand in seinem Schulzeugnis: „Vor allem muss er noch lernen, bewusst die Verhaltensnormen des Klassenkollektivs zu beachten.“

Er lernte nach der 10. Klasse Offset-Drucker in einem Betrieb, der der SED gehörte, druckte Kataloge und Groschenromane für den Westen. Irgendwie passte das nicht zusammen. Er trat aus der Freien Deutschen Jugend (FDJ) aus. „Ich habe meinen Ausweis an die SED-Bezirksleitung geschickt und dazu geschrieben: Als Individualist fühle ich mich in einer Massenorganisation unwohl“, sagt er. All das erzählt Olaf Schwarzbach, wenn er gefragt wird. Aber er hat es auch schon aufgeschrieben in seinem Buch „Forelle Grau – Die Geschichte von OL“.

Geflügelter Bleistift in Silber

2. Platz für "Rassistische Klischees" ist mit 3.000 Euro dotiert.
2. Platz für "Rassistische Klischees" ist mit 3.000 Euro dotiert. © Flemming
Den zweiten Preis holte Kai Flemming. Flemming wurde 1964 geboren. Der Hamburger arbeitet als Werbetexter. Seine Cartoons veröffentlicht er seit gut sieben Jahren, unter anderem in der Frankfurter Rundschau.
Den zweiten Preis holte Kai Flemming. Flemming wurde 1964 geboren. Der Hamburger arbeitet als Werbetexter. Seine Cartoons veröffentlicht er seit gut sieben Jahren, unter anderem in der Frankfurter Rundschau. © ronaldbonss.com

Da steht, dass ihm damals die Folgen egal gewesen seien, er wollte weder studieren und sei faul gewesen. Er kündigte auch gleich noch seinen Arbeitsplatz in der Druckerei. Mit 20 fing er als Kunst-Tiefdrucker im Prenzlauer Berg an. Inspiriert von den Comic-Autoren Gerhard Seyfried, Robert Crumb und Asterix-Zeichner Albert Uderzo begann er, seinen Alltag und die Absurditäten des SED-Systems in kleinen Comic-Episoden zu verarbeiten. Die handeln „von Ostfrust und jungen Leuten ohne Zukunft“, wie er schreibt. Seine erste Comic-Vernissage, die er zusammen mit einem Freund veranstaltete, wurde ein Happening mit Folgen.

Die Stasi beschlagnahmte seine Bilder, die ihr zu systemkritisch und zu ordinär in einem erschienen. Ihm wurden Staatsfeindlichkeit und Pornografie vorgeworfen. Damals wandte er sich hilfesuchend an den Anwalt Lothar de Maizière. Der erklärte ihm jedoch, dass die Bilder reichen würden, um in den Knast zu wandern. „Da wusste ich, dass ich erpressbar bin für die. Ich würde aus der Nummer nur rauskommen, wenn ich für die arbeite oder abhaue.“ Er entschied sich fürs Abhauen, floh über Ungarn und Österreich nach Westdeutschland. Nach dem Mauerfall ging er erst nach England und kehrte später nach Berlin zurück.

Geflügelter Bleistift in Bronze

Bronze (2.000 Euro) sicherte sich Katharina Greve mit "Antisemitismus".
Bronze (2.000 Euro) sicherte sich Katharina Greve mit "Antisemitismus". © Katharina Greve
Katharina Greve, 1972 in Hamburg geboren, lebt in Berlin. Dort studierte sie Architektur, arbeitet jedoch seit 2002 als Comic-Zeichnerin, Künstlerin und Autorin.
Katharina Greve, 1972 in Hamburg geboren, lebt in Berlin. Dort studierte sie Architektur, arbeitet jedoch seit 2002 als Comic-Zeichnerin, Künstlerin und Autorin. © ronaldbonss.com

In seiner Autobiografie sucht OL seine eigene Geschichte. „Ich war lange gefangen in meiner Vergangenheit, weil die nie aufgeschlüsselt wurde“, sagt er. Als er 2000 eine „schlechte Phase“ hatte, wie er erklärt, da musste er etwas ändern. Gerade hatte er den erst erworbenen Führerschein wegen Alkohol verloren, es kriselte in der Beziehung. „Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, was die Vergangenheit mit mir gemacht hat“, sagt Schwarzbach.

Humor sei für ihn schon früher Notwehr gewesen und ist es nach wie vor. Notwehr gegen das, was um ihn herum passiert und Notwehr gegen sich selbst. Er arbeitet sich ab an seinen Gedanken und den komische Verhältnissen. Seine Bücher über die „Mütter vom Kollwitzplatz“ sind Kult, seine Kalender auch. Er trägt sie selbst in die Buchhandlungen in der Nähe seiner Malerkers, und sie verkaufen sich wie frische Schrippen. Er gewann 2003 und 2012 den dritten Platz beim Deutschen Karikaturenpreis und 2018 den Heinrich-Zille-Karikaturen-Preis. Ganz im Sinne Zilles zeichnet OL die sozialen Verhältnisse aus und kommt den Berliner Spannungen mit Ironie und bitterem Spott sehr nah.

Beste Newcomerin: Annika Frank

Als beste Newcomerin der Szene wurde die Mannheimerin Annika Frank für "Neue Normalität" mit 1.000 Euro ausgezeichnet.
Als beste Newcomerin der Szene wurde die Mannheimerin Annika Frank für "Neue Normalität" mit 1.000 Euro ausgezeichnet. © Annika Frank

Am vergangenen Sonntag nahm er den Goldenen Bleistift bei der Gala des Deutschen Karikaturen-Preises entgegen. Comedian Olaf Schubert sagte in seiner Laudatio sehr passend: „Ich freue mich, dass Olaf inzwischen ein Erfolgsmodell geworden ist. Von mir ganz abgesehen, heißt ja nicht nur der Preisträger, sondern auch die neue Bundeskanzlerin schließlich Olaf.“

Der Deutsche Karikaturenpreis ist mit insgesamt 11.000 Euro dotiert. In diesem Jahr hatten nach Veranstalterangaben 248 Zeichner gut 1.150 Werke eingereicht. Der Preis wird von der "Sächsischen Zeitung" und dem Bremer "Weser-Kurier" vergeben.

Zusätzlich wird ein mit 1.000 Euro dotierter Publikumspreis vergeben. Das Ergebnis werde voraussichtlich auf der Leipziger Buchmesse im März 2022 bekannt gegeben.

Im kommenden Jahr kommt die "Rheinische Post" als Partner hinzu. Daher findet die Preisverleihung 2022 auch erstmals in Düsseldorf statt, der Heimatstadt der "Rheinischen Post".