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Das Live-Feuer, es lodert wieder

Die Mittelalter-Rockband Saltatio Mortis verbreitet in Dresden trotz Regens Sommerfestival-Stimmung.

Von Tom Vörös
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Erwecken die Live-Branche aus dem Tiefschlaf: Sänger Jörg Roth und seine Band Saltatio Mortis.
Erwecken die Live-Branche aus dem Tiefschlaf: Sänger Jörg Roth und seine Band Saltatio Mortis. © Christian Juppe

Erst tröpfelt es traurig, dann schüttet es so heftig, so dass man schon wieder denken muss: Hier geht mal wieder die Livemusik den Bach runter. Doch schon eine halbe Stunde später hat man Flammen vor Augen. Das Feuer der Musikfans ist am Freitagabend in der Jungen Garde Dresden auf einmal wieder da. Es wird geklatscht, gesprungen, getrunken und gewunken. Und man muss wirklich sagen: Diese Band namens Saltatio Mortis, zu Deutsch Totentanz, hat das Zeug, eine ganze Branche zu reanimieren.

Vor allem Sänger Jörg Roth, der sich auch „Alea der Bescheidene“ nennt, schont sich zu keinem Zeitpunkt des knapp zweistündigen Konzerts und schafft es an diesem Abend, selbst den neutralsten Beobachter mit einer gezielten Salve Freude zum Sympathisanten dieser Combo werden zu lassen. Ja, der Musik-Hitmix aus dunklen Mittelalterweisen, schunkeligen Seefahrer-Shantys und Mainstream-Rockmusik erreicht vor allem durch den fast übereifrigen Sänger vermutlich Fans von ABBA bis ZZ Top.

Ein Moment der Angst

Die Qualität der Liedauswahl ist jedenfalls, selbst für eine Band des Genres, bestechend und würde auch ohne die eindrucksvollen pyromanischen Beigaben problemlos zünden. Bereits bei Lied zwei, „Wir sind die Clowns“, wird aus dem Sitz- ein Steh- und Klatschkonzert. Und nach der nächsten Nummer, „Dorn im Ohr“, tröpfelt es bei Sänger Jörg Roth beinahe aus dem Auge. „Vielen Dank für eure geile Energie“, ruft er in die jetzt regenfreie Fan-Idylle. „Lasst uns einfach nicht damit aufhören und noch paar Ketten sprengen!“ Danach befeuern Saltatio Mortis beim Lied „Loki“ gleich vier Feuerschalen. Man fühlt sich beinahe olympisch und bei all den lächelnden Gesichtern und leuchtenden Augen um einen herum, kann einem schonmal heißkalt werden.

Sänger Jörg Roth sucht den Kontakt zum Publikum.
Sänger Jörg Roth sucht den Kontakt zum Publikum. © Christian Juppe
Rockmusik mit Dudelsack - Saltatio Mortis ist mit vier Nummer-Eins-Alben in Folge die derzeit erfolgreichste Band des Genres.
Rockmusik mit Dudelsack - Saltatio Mortis ist mit vier Nummer-Eins-Alben in Folge die derzeit erfolgreichste Band des Genres. © Christian Juppe
Die große Freude über den Live-Neustart ist dem Sänger ins Gesicht geschrieben.
Die große Freude über den Live-Neustart ist dem Sänger ins Gesicht geschrieben. © Christian Juppe
Wie zu besten Konzertzeiten: Saltatio Mortis liefern tadellos ab.
Wie zu besten Konzertzeiten: Saltatio Mortis liefern tadellos ab. © Christian Juppe

Das dürfte auch beim Sänger und seinen sechs Spielmännern irgendwann der Fall gewesen sein. „Jetzt kommt der Moment vor dem wirklich Angst habe“, sagt Roth. „Vor dem Konzert hatten wir die Premiere auf Youtube, jetzt die Weltpremiere unserer neuen Single. Ich hab wirklich die Hosen voll.“ Das neue Lied „Nie allein“ verläuft allerdings tadellos – ein bisschen Flunkern gehört eben zum Geschäft.

Ebenso das gemeinsame Anstoßen mit den Fans. „Immer wenn es um diese nordischen Sagen geht, dann verlangt es mir nach Met“, kündigt der Sänger das Lied „Heimdall“ an. Aber nicht nur die Leber, sondern auch der Rest wird an diesem Abend nicht verschont. Erst wird bei „Mittelalter“ ein ganzes Lied lang gesprungen, danach beim süffigen Seefahrer-Shanty „Wellerman“ mit den Händen Meereswellen simuliert. „Wir sind ja dafür bekannt, dass wir ein Ganzkörper-Work-out anbieten“, witzelt der Sänger, der jetzt wohl am liebsten von der Bühne gesprungen wäre, um ein Bad in seinem Fan-Ozean zu nehmen. Dass Jörg Roth das sogenannte „Stage Diving“ wenigstens verbal am Leben erhält, lässt mit Liedern wie „Rattenfänger“ zumindest weiter auf bessere Zeiten hoffen. Aber auch Erinnerungen an den Lockdown und seine Begleiterscheinungen werden wach, mit „Mittelfinger Richtung Zukunft“ und dem Doppellied „Besorgter Bürger / Schrei nach Liebe“, letzterer wurde von der befreundeten Band Die Ärzte übernommen.

Nachdem Schlagzeuger Jan S. Mischon mal eben eines seiner Felle „geschrottet“ hat, wie der Sänger sagt, und ein weiterer Trinkspruch absolviert ist, geht es mit „My Mother Told Me“, einem Cover der Hymne aus der Erfolgsserie „Vikings“, noch einmal ganz tief in die Mittelalter-Fantasy-Sparte. Dann verabschiedet man mit „Seitdem du weg bist“ in hoffnungsvoller Voraussicht den Virus.

Erst nachdem quasi alles gesagt und gesungen ist, bringt Jörg Roth als „Prometheus“ den Menschen das Feuer und der lebhafte „Totentanz“ findet mit dem „Spielmannsschwur“ schließlich ein Ende. Saltatio Mortis sorgen gefühlt für einen Neustart der Live-Branche. Die Stimmung glimmt nach dem Konzert jedenfalls noch sehr lange nach.