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Das sind Deutschlands beste Karikaturen 2022

Der Deutsche Karikaturenpreis wurde am Sonntag erstmals in Düsseldorf vergeben. Die ersten drei Preisträger lieferten Heiteres und Tiefsinniges zum Thema: Lasst mich in Frieden.

Von Peter Ufer
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Mit der Karikatur "Schüleraustausch" gewinnt Tobias Hacker alias Gymmick den ersten Platz beim diesjährigen Karikaturenpreis.
Mit der Karikatur "Schüleraustausch" gewinnt Tobias Hacker alias Gymmick den ersten Platz beim diesjährigen Karikaturenpreis. © GYMMICK

Düsseldorf/Dresden. Die Gala zum Deutschen Karikaturenpreis fand erstmals in Düsseldorf statt, der Heimat der Rheinischen Post. Seit diesem Jahr ist die Düsseldorfer Tageszeitung Partner des renommierten Szene-Preises, der am Sonntag vergeben wurde. Zum 23. Mal geschah das.

236 Karikaturistinnen und Karikaturisten hatten sich in diesem Jahr beteiligt. Eine elfköpfige Jury, in der unter anderem Vorjahressieger OL saß, hatte die Qual der Wahl, die besten Exemplare aus 1.099 eingereichten Arbeiten auszuwählen. Das sind die Erstplatzierten.

1. Platz: "Schüleraustausch" von Gymmick

Tobias Hacker nennt sich Künstler und gab sich ein Pseudonym: Gymmick. Ab und an sei er sogar erfolgreich, sagt der 49-Jährige. Der Nürnberger stellte sich schon als Schüler mehrere Standbeine auf, um nicht umzukippen, wenn ihn einer schubste. Er arbeitet als Liedermacher, Schauspieler, Humorist und Comiczeichner. „Aber das schützt mich nicht vor Abstürzen. Ich fühle ich mich ab und an nah am Abgrund der Demütigung“, sagt Gymmick.

Leben und Leiden bilden bei dem Franken einen Zusammenhang wie Malen und Musizieren. Alle Situationen, die absurde Züge tragen, interessieren ihn. Davon gibt es für ihn im Wühltisch des Alltags jede Menge. Deutschland komisch Vaterland. Die Überflussgesellschaft quillt über von Nonsens. Der Krieg in der Ukraine gehört dazu. „Das ist völlig absurd“, sagt der Künstler. Mit seiner Karikatur, die den Irrsinn der Gewalt zeigt, überzeugte er die Jury und gewann den ersten Preis, den „Goldenen Bleistift“ 2022.

Auf seinem Bild kämpfen Männer gegeneinander, die kürzlich noch miteinander tanzten, lachten, sangen oder lernten. Mit einfachen Strichen, in fast infantiler Weise, simpel und gerade deshalb effektvoll, präsentiert Tobias Hacker in Schwarz-Weiß eine reale Situation, die allen komisch vorkommen muss. Der Widerspruch ist so groß wie der Schützengraben tief. Bei ihm heißen die Jungs Boris und Sascha, aber sie könnten ausgetauscht werden gegen Bernd und Steffen, Ben und Sam, Bechir und Selim oder Barbara und Belka. Der Zeichner verabscheue Gewalt, sagt er, sein Vater war Polizist, er wisse ungefähr, was das bedeutet.

© GYMMICK

Seit 2006 arbeitet Gymmick als Freiberufler für die Nürnberger Zeitung, illustriert Artikel in der Stadtbeilage Nürnberg-Plus, Zeitschriften, Liederbücher und Kinderbücher. Und was bei ihm manchmal so krakelig auf dem Blatt landet, das ist seine große Stärke. Er balanciert zwischen Klamauk und Komplexion, bitter und süß, zwischen kalauerndem Quatschmacher und nachdenklichem Pop-Poeten. Gymmicks Humor kann böse sein, bedrohlich, aber immer wach und ist mit einer gehörigen Portion Herzenswärme versehen.

Die trägt er auch in seiner Stimme. Seit 2015 tourt er mit Kai Sichtermann und Funky K. Götzner als Nachfolger der Band „Ton, Steine, Scherben“ durch Deutschland. Er trat in Rio Reisers Tonspuren, was unmöglich zu sein scheint. Gymmick gerät nicht in die Falle, wie Reiser klingen zu wollen, sondern wie Tobias Hacker. Er singt wie einer von den Barden der alten Wecker- und Wader-Schule. Sein Gesang kehlt sich von ganz unten aus dem Bauch ins Publikum.

„Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird“, sang Reiser auf dem 1972 erschienen Album „Keine Macht für niemand“. Da beschreibt der Sänger den Wunsch nach Frieden. Mit der Gitarre, die Gymmick spielt, hat er in Nürnberg schon mal den Schlagstock eines Polizisten abgewehrt. „Wir müssen uns wehren“, sagt er, „aber nicht mit Gewalt.“

Er holt lieber den Humor aus dem Waffenschrank der Kunst. Die Scherzmethode half ihm schon als Kind. Seine rechte Hand ist von Geburt an verkrüppelt. Er zeigt sie jedem, der sie sehen will, auch auf der Bühne. In einem seiner Kleinkunstprogramme tut er das ganz bewusst und sagt da Sätze wie: „Stein und Brunnen gehen gerade, Schere wird zur Qual.“ Er hat ein spezielles Händchen für Pointen. Den Satz hätte er selber sagen können und gelacht, weil es so schön absurd und emotional ist.

2. Platz: "Erwartungen" von Dominik Joswig

Dominik Joswig gewann den zweiten Platz im Wettbewerb um die beste deutsche Karikatur. Er ist ein ganz anderer Typ als Hacker, eher rational, sehr fleißig und exakt. Seine Bilder sind geradlinig, klar, deutlich. „Humor entsteht aus Kontextverschiebung“, erklärt der 52-Jährige. Die Verschiebung sucht er schon morgens bei einem Spaziergang oder einer kleinen Radtour durch die waldbewachsene Umgebung. Irgendwas Verschobenes findet er immer. Mehrmals radiert er dann beim Zeichnen, verändert die Sprechblasen so lange, bis ihm alles zu passen scheint. Vielleicht malt er so korrekt, um seine innere Unordnung zu ordnen. Dominik Joswig nennt sein Zeichnen „Seelenreinigung“. Da könne er sich „den Ärger über was auch immer von der Seele stricheln“.

Der Zeichner ist kein klassischer Karikaturist, sondern Illustrator. Er studierte Grafikdesign in Mannheim, bebildert unverdrossen, was anschaulich werden soll, Märchenbücher, Monstergeschichten oder Marketingbroschüren. Sein Zeichentisch steht in der Nähe von Berlin. Er wohnt in Wandlitz in einer idyllisch-romantischen Reihenhaussiedlung. „Ich bin dort eher zufällig gelandet, aber es ist wirklich schön hier“, sagt er. Die Häuser sind aus Holz, gebaut in den 1930er-Jahren für Leute, die damals im nahe gelegenen Rüstungsbetrieb arbeiteten.

„Unser Haus ist allerdings aus Stein, denn es brannte in den 1980er-Jahren ab und wurde dann brandsicher wieder errichtet“, sagt Dominik Joswig. Er weist noch darauf hin, dass die Häuser alle einen statisch verstärkten Keller besäßen. „Wir sind hier bombensicher“, sagt er und merkt schon beim Reden, dass das irgendwie ein Kellertreppenwitz der Geschichte ist. „Die Bauherren arbeiteten in der Rüstungsindustrie und schützten sich gleichzeitig vor einem Einschlag. Und wir könnten heute wieder dort hocken und warten, bis alles vorbei ist.“

© Dominik Joswig

Nach Berlin gekommen ist er 1999, nachdem er fertig war mit seinem Designstudium. Erst lebte er in Charlottenburg, dann am Prenzlauer Berg. „Geboren bin ich ja in Karlsruhe und wollte raus aus der Provinz in die Großstadt. Jetzt sitze ich wieder in der Provinz, in Wandlitz.“ Da fuhr er mit dem Rad aus lauter Neugier in die Waldsiedlung, um nachzusehen, wie einst Erich Honecker, der DDR-Staatschef, wohnte. Er sei so ernüchtert gewesen, weil das so provinziell gewesen sei. Lächerlich, wie die SED-Macht hauste.

Zwei Kinder brachte Dominik Joswig mit seiner Frau auf die Welt. (Anm.: Ich finde so eine Formulierung immer etwas komisch. Frauen bringen Kinder auf die Welt, das ist für mich der Akt des Gebärens. Er hat mit seiner Frau zwei Kinder) Mit der Familiengründung begann, was sich in seiner Karikatur widerspiegelt: Erziehung. Als er seinen ersten Sohn, der inzwischen studiert, in der Mehrsprachen-Kita anmelden wollte, habe er es nicht mal auf die Warteliste geschafft.

Letztlich fiel ihm ein Stein vom Herzen und eine Idee in den Kopf, die er nach und nach immer mehr ausmalte. Denn viele Eltern neigen bekanntlich dazu, ihr Kind für etwas ganz Besonderes, insbesondere für besonders hochbegabt zu halten. Wie sie das tun und dass sie ihm damit an Gewalt antun, das zeigt seine Karikatur vortrefflich. Diee Jury stimmte mehrheitlich für den zweiten Platz.

Begründung: Die stolzen Eltern stehen in der Tür eines in kaltem Blau gehaltenen Kinderzimmers. Über dem Babybett hängt ein Mobile, bestückt mit allerlei bildungsbürgerlichen Erfolgssymbolen: Atommodell, mathematische Formeln und Geige. An der Wand eine Weltkarte mit Mondphasen. Selbst der Teddy liest ein Buch. Das ganze Zimmer scheint zu schreien: Mach uns stolz!

Nur das Kind liegt ob dieses Anspruchs da, reglos, unbehaglich und verschreckt. Es ist der Schrecken eines armen, überforderten Wesens, von dem erwartet wird, viel früher als die anderen Kinder zu krabbeln, zu brabbeln und die Weltformel zu lösen. Dominik Joswigs Karikatur „Erwartungen“ überzeugt durch Atmosphäre, Detailreichtum und den Ausdruck auf dem Gesicht des Kindes, das alle wissen lässt: „Lasst mich in Frieden!“

3. Platz: "Pock" von Huse

Björn Ciesinski, 1976 in Bremen geboren, belegte den dritten Platz im Wettbewerb um den Deutschen Karikaturenpreis 2022. Sein Vater habe immer gesagt, er möge sich mal einen Beruf suchen, der ihm Spaß mache. Cartoonist passt da ganz gut. Die Kunsthochschule wollte ihn allerdings nicht immatrikulieren, aber er nahm sich die Freiheit, trotzdem künstlerisch zu arbeiten. „Man schafft das auch so“, sagt er. „Es braucht nur ein gewisses Durchhaltevermögen. Denn die Arbeit ist Fluch und Segen zugleich.“

Heute lebt der Norddeutsche in Lurup, einer Vorstadt von Hamburg. „Ich bin zurzeit Cartoonist, Familienvater, Lebenmann“, sagt er und lacht. Denn das mit dem Lebemann, nun ja, das nimmt er sich nicht mal selbst ab. Er läuft mit Strohhut und kurzen Hosen durch den Garten hinter seinem kleinen Einfamilienhaus. Da klettert er ins Baumhaus oder springt im Trampolin auf und ab.

Er hat den Sprung raus. „Wenn das Leben mal richtig scheiße ist, auf Deutsch gesagt, dann kriege ich mit der Karikatur einen anderen Blick drauf“, sagt er. Der Zeichner spielt gern, besonders gern mit Wörtern und Wendungen. Er nennt sich Huse. Die Dänen sagen das, wenn sie jemanden beherbergen, wenn einer untergebracht sein will. Geborgenheit gibt Rückhalt.

Er lässt sein ausgemaltes Personal sprechblasend kommunizieren. Ein Gekreuzigter denkt auf einer seiner Zeichnungen kurz vor dem Verdursten daran, ob er daheim den Herd ausgemacht hat. Zwei Schnecken mit Haus auf dem Rücken fragen sich in einem anderen Cartoon: „Zu mir oder zu dir?“

© Huse

Huse wirkt manchmal wie ein Kind, gefangen im Körper eines Endvierzigers. Sein Lächeln verrät ihn. Er kann das Leben nicht wirklich ernst nehmen. Deshalb illustriert er so gern Kinderbücher, die schönsten Seiten der Fantasie. „Wer einmal als Cartoonist angefangen hat, der hört nicht so einfach wieder auf. Wahrscheinlich mache ich das, bis mir der Pinsel aus der Hand fällt“, sagt er und tunkt den Pinsel in die Farbe.

In seinem Cartoon „Pock“, den er für den Wettbewerb einreichte, hämmert eine Mieterin im unteren Stockwerk wütend mit dem Besenstiel gegen die Zimmerdecke, weil es ihr von oben offenbar zu laut herunterschallt. Auf den ersten Blick eine Ikone deutscher Spießigkeit, ein Klischee, das der Zeichner raffiniert gebrochen hat. Denn das zornige „Pock, Pock, Pock“ der Mieterin kommt verstärkt zurück: über gewaltige Boxen und ein Mikrofon, das der/die Mietende über ihr geschickt auf dem Zimmerboden platziert hat.

So entsteht ein Perpetuum Mobile aus Ärger und Frust, eine Blase sich verstärkenden Ärgers. Da passt es, einzuschätzen, dass Huses Humor doppelbödig daherkommt. „Ohne Humor ist das ja alles nix, haha“, sagt Björn Ciesinski und muss über sich selber lachen.

Der Katalog zum 23. Deutschen Karikaturenpreis „Lass mich in Frieden“ ist ab sofort in den DDV-Lokalen, im Buchhandel und online bei www.ddv-lokal.de unter der Rubrik „Bücher & Unterhaltung“ erhältlich. Er bietet 154 Abbildungen auf 144 Seiten und kostet 19,90 €. Die traditionelle Ausstellung mit den Karikaturen ist derzeit in Düsseldorf zu sehen. Sie kommt über weitere Stationen wie Berlin nach Dresden, wo sie vom 14. November bis 26. Februar 2023 im Haus der Presse zu sehen ist.