Merken

Der verfrühte Weihnachtsengel

von Hans-Jürgen Gückel aus Hartha

 2 Min.
Teilen
Folgen
© Adobe Stock

Dezember 1998. Unsere Patchworkfamilie erwartete Nachwuchs. Zu „meinen“ und „deinen“ kündigte sich „unser“ an. Seit Wochen wussten wir: Es wird ein Mädchen sein. Errechneter Geburtstermin war Anfang Januar – Weihnachten könnte also noch relativ ruhig gefeiert werden. Allerdings hatte da jemand was dagegen.

Am Morgen des 23.12. saßen wir Eltern am Frühstückstisch. Unsere Kinder, zwei Mädchen und zwei Jungs im Alter von sieben bis 15 Jahren, genossen ihren ersten Ferientag; vor 9 Uhr würden sie ihre Zimmer nicht verlassen. Wir liebten diese morgendliche Ruhe, denn das Leben mit sechs Personen im Plattenbau ist von einer gewissen Turbulenz geprägt.

Meine Frau, nicht unerfahren im „Kinderkriegen“, sah mich plötzlich an und meinte, es würde jetzt unweigerlich losgehen. Also schnappte ich sie und die bereitgestellte Tasche, und ab ging es mit dem Auto ins Leisniger Krankenhaus.

Dort wurde zur Eile gedrängt, denn es hieß, die Herztöne seien relativ schwach. Schon ging es in Richtung Kreißsaal. Ich wollte mich gerade im Wartebereich niederlassen, als eine robuste Schwester rief: „Komm Vater, trägst ja eine Mitschuld an dieser Lage, da kannst du uns ein bisschen helfen.“ Meine Hilfe bestand aus Schweißwischen und Händchenhalten. Dann ging alles schnell: Jessica kam, meckerte auch ohne Klaps auf den Po. Von wegen schwache Herztöne! Sie wollte wohl nur noch ein bisschen schlafen …

Am „Heiligmorgen“ realisierte ich: Bescherung mit vier Kindern allein zu Hause – das konnte nicht sein. Bis zum Nachmittag stopfte und briet ich die Traditionsente. Sie wurde ebenso wie alle auffindbaren Geschenkpakete und ein kleines elektrisches Tannenbäumchen im Auto verstaut, und ab ging’s nach Leisnig. Unser Aufzug erregte im Krankenhaus Aufmerksamkeit: ein Vater mit vier Kindern, zwei Wäschekörbe voll bunter Päckchen und ein Weihnachtsbäumchen! Meine Frau war total überrascht, die Kinder begrüßten ihr kleines Geschwisterchen, und gemeinsam packten wir Geschenke aus. Der Teddy für Jessica war fast so groß wie sie selbst. Und ich könnte wetten, sie hat sogar ein bisschen gelächelt. Auch der Stationsarzt und die Schwestern schauten herein. So etwas, sagten sie, hätten sie in all den Jahren noch nicht erlebt.

Zu Hause meinten die Kinder nach dem Weihnachtsessen: „Vati, das war bisher unser schönstes Weihnachten – aber die schlechteste Ente!“ Und Jessica war für uns das schönste Weihnachtsgeschenk. Jetzt ist sie 22 Jahre und ein „Engel“ geblieben.