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Der Wolf mag Kuchen mit Kirschen

Wie ein zauberhaftes Kinderbuch von Kristin Schulz mit Illustrationen von Helge Leiberg die Angst vertreibt.

Von Birgit Grimm
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Der Maler Helge Leiberg stammt aus Dresden, lebt seit 1984 in Westberlin.
Der Maler Helge Leiberg stammt aus Dresden, lebt seit 1984 in Westberlin. © Robert Michael

Wer kennt das nicht?! Das Kind kann nicht einschlafen und sieht im Dunklen die wildesten Figuren. Wenn die Gardinen am angekippten Fenster sich im Wind bewegen, wenn die Straßenlaternen ins Zimmer leuchten oder der Mond überm Baum vorm Haus verzerrte Schatten wirft, dann lässt die Fantasie des kleinen Mädchens mit den vier klingenden Vornamen Märchen lebendig werden, und Tiere aus dem Wald kommen es besuchen.

Doch die Autorin Kristin Schulz besiegt in ihrem Kinderbuch den Wolf – oder besser gesagt: die Angst vor ihm. Das schafft sie ohne Wackersteine und ohne Jägerlatein. Niemand muss sterben, weder die Großmutter noch der Wolf. Diese Mutter hier erledigt das ach so grausige Raubtier mit unerschütterlicher Freundlichkeit und mit unendlicher Geduld, als hätte sie die ganze Nacht Zeit. Die Tochter hört nicht auf zu fragen: „Warum ...?“, „Und wenn ...?“, „Aber falls doch ...?“ Denn der Wolf kann doch nicht wissen, dass er klingeln muss, und einen Schlüssel hat er auch nicht. Aber er ist schlau und schlüpft im Dunklen durch die Haustür, wenn der Nachbar seinen Hund ausführt. Und er hat Appetit auf Kuchen mit Kirschen, den die Mutter heute noch backen will. Den isst er am liebsten. Wenn das Mädchen nur endlich einschlafen würde! Gefühlt hundert Situationen denkt es sich aus, auf die die Mutter in ihrer Not immer wieder eine neue liebevolle Erwiderung findet und erfindet. Die Autorin entwickelt einen Dialog zwischen Tochter und Mutter, der so aberwitzig ist, dass bald auch der Wolf direkt gefragt wird. Und siehe da, so kommen die beiden nicht nur dem Wolf näher, sondern verscheuchen auch die Angst.

Der aus Dresden stammende Helge Leiberg malte dazu zehn farbige Bilder, auf denen man den Leiberg erst auf den zweiten Blick erkennt. In den 1970er-Jahren studierte er an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste und bald schon verstand er die Kunst als genreübergreifend. So übte er sie auch aus mit Gleichgesinnten: Free Jazz, Film und Tanz flossen und fließen in seine Malerei mit ein. Mit Michael Freudenberg und A. R. Penck musizierte er wild in einer Band, bevor er 1984 die DDR verließ. Seine Illustrationen sind so fantastisch wie die Gedanken eines Kindes, und sie klingen nach wie der Name, den die Mutter dem Wolf gibt: Johann Jakob Jalonik. Die Furcht schleicht sich davon.

Das Mädchen hat Spaß daran, den Wolf in ein Taxi zu setzen und ihn über den Holz- und den Grasweg nach Hause zu schicken. Wunderbar, dass diese Geschichte eigentlich kein Ende findet. Auf de letzten Seite schickt Leiberg das aufgeweckte Kind dann aber doch noch ins Traumland.

Kristin Schulz & Helge Leiberg, Hundert Arten, auf den Wolf zu kommen. Quintus Verlag, 15 Euro. Geeignet für Kinder ab 5 Jahre.

Weiß der Wolf, dass er klingeln muss, wenn er bei der kleinen Mateja Ellen Ruth Sarah Mutesius Kuchen schnabulieren will?
Weiß der Wolf, dass er klingeln muss, wenn er bei der kleinen Mateja Ellen Ruth Sarah Mutesius Kuchen schnabulieren will? © Quintus Veralg