Kollektiv 01099: Die lieben Rapper aus der Dresdner Neustadt

Zwei Jungs in Kapuzenpullovern stehen vor der Dresdner Schauburg. Während einer hüpfend tanzt, zündet sich der andere eine Zigarette an und beginnt, zu einem House-Beat zu rappen. "Draußen ist es frisch, und ich dreh‘ mir noch zwei. Die Boxen sind zu laut, und sie hol’n wieder Polizei. Was hab‘ ich getan, Herr Kommissar? Wir sind doch brav." Die Rap-Combo 01099 zündet gerade deutschlandweit. Das Video zu "Frisch" wurde auf YouTube fast fünf Millionen Mal aufgerufen.
Der Song "Frisch" hat zudem mehr als 55 Millionen Aufrufe bei Spotify, der digitalen Streaming-Plattform für Musik im Netz und damit Gradmesser für den Erfolg der Künstler. Etwa 2,3 Millionen hören dort monatlich die Dresdner Band. Helene Fischer hat 2,5 Millionen Hörerinnen und Hörer. Und ihr beliebtester Song "Atemlos durch die Nacht" gerade mal doppelt so viele Aufrufe. Die Rapper Gustav, Paul und Zachi treffen einen Nerv. Nicht nur in Dresden, wo sie vor vier Jahren in Gustavs Kinderzimmer anfingen zu musizieren. Jetzt füllen sie Hallen mit mehr als 1.000 Menschen. So wie im Dresdner Stromwerk.
"Wir sind alle noch voll die lurchigen Leute"
Die Menge kreischt, als der Song "Frisch" das Konzert eröffnet. Für die Dresdner Jungs ist es ein Heimspiel am Ende ihrer einmonatigen Tour durch Deutschland, Österreich, die Schweiz. Das Licht geht aus, blaue Scheinwerfer leuchten durch den Bühnennebel das Publikum an. "Wuh"-Schreie schneiden die Luft, schwer von Schweiß und Dopamin. Menschen klatschen, als Paul, Gustav und Zachi die Bühne stürmen. Alle Arme sind nach oben gerissen. Tanzen, Hüpfen, Schreien.
Vor zweieinhalb Jahren waren 01099 schon einmal im Kraftwerk Mitte. Da kannte sie kaum jemand. Sie spielten dort erstmals drei Songs live, waren danach aber am Boden. Beim Soundcheck für die P-16-College-Party hat nichts geklappt. Sie wurden von der Bühne geschickt, weil es so lange dauerte. Damals waren sie ohne Gage gebucht. "Wir waren nicht wirklich wichtig", sagt Paul. Sie hatten zudem eine andere Erwartung an den Auftritt. Sie übten viel, fühlten sich sicher. Doch die große Bühne war ihr Endgegner. "Das hat uns brutal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt." Damals gab es keinen Backstage für sie, nun gibt es einen, bestückt mit Bier und Zigaretten.
"Das Konzert hier schließt den Kreis", sagt Gustav. "Wir haben es jetzt irgendwie erreicht, gefühlt sind wir alle trotzdem noch voll die lurchigen Leute." Für ihn und die Band sei es einfach schön, musizieren zu dürfen. Vor einem ausverkauften Stromwerk zu spielen, macht sie stolz. Mittlerweile haben die Rapper Tour- und Festival-Erfahrung, mit vielen fähigen Leuten, sodass ihnen die Technik kaum versagt. Sie sind fest davon überzeugt, ihren missglückten Auftritt von damals wiedergutzumachen – trotz Erkältung.
Während Zachi schlapp ist, klingt Pauls Stimme nasal. Auf dem Livekonzert hört man davon nichts mehr. Der eigene Mischer hat es aus der Stimme retuschiert. Beim Soundcheck proben alle drei ihren Rap-Einsatz mit Beat und kurzer Tanzeinlage. Viel üben – das müssen sie nicht. Es ist offensichtlich, dass alle drei sehr musikalisch sind. Paul und Gustav stammen aus Haushalten, die Wert auf Jazz- und Klassik-Ausbildung legen. Zudem kennen sie sich unter anderem vom Dresdner St.-Benno-Gymnasium, das ein eigenes musisches Profil hat.
Rap ohne Sexismus und Plastik
Ihre wohlbehüteten Wurzeln haben die drei nicht vergessen. Im Szene-Podcast "Deutschrap rasiert" von BigFM plauderten sie über ihren Erfolg. "Wir kommen aus mega guten Verhältnissen. Wir hatten immer Glück im Leben. Deswegen sind wir so liebe Burschen, so doof das klingt", sagt Zachi. Paul erzählt von der Anfangszeit, als 01099 noch klassischen Deutschrap à la Kollegah gemacht hat. Irgendwann hätten sie alle lachen müssen, da es sich für sie so wenig authentisch anfühlte. Jetzt haben sie auch das Rauchen aufgegeben wie ihr befreundeter Künstler Rin, mit dem sie einen Song produzierten. Genauso wie mit Cro.
Die Jungs gelten also längst nicht mehr als Untergrund-Künstler. Sie sind eine feste Größe in der Szene. Fan-Kontakt ist ihnen aber weiterhin wichtig. Sichtbar durch ihre privaten Einblicke in den sozialen Netzwerken oder den Livestream auf TikTok für ihr letztes, ausverkauftes Tour-Konzert am Freitag. Nicht verwunderlich deshalb: Paul begrüßt vor dem Dresdner Konzert die Fans, die seit mindestens 17 Uhr auf die Band warten – also drei Stunden vor Beginn. Doch warum lieben die Menschen die drei? Weil sie ihre Lieder mit Liebe machen, so die Musiker. Das spüre das Publikum. Und sie geben sich nicht als Macker, verzichten auf Sexismus in ihren Texten.
Trotzdem haben sie Angst, sich zu professionalisieren. "Man kann schnell in so eine Maschinerie reinkommen, in der alles Plastik wird", sagt Gustav. Er meint, nicht authentisch zu sein. Stichwort Ghostwriting. Paul glaubt, dass ihre Angst sie davor schützt. Aber: "Natürlich wollen wir unsere Musik professionell machen, also gut abliefern." Sie sind sich einig: Ihre nächsten Lieder können nicht nur vom Tourleben handeln. Ihr Zehn-Jahres-Ziel sei dabei eine Art 01099-Mania an der Elbe: nicht mit Roland Kaiser, dafür mit ihren Lieblingsbands, so wie das ehemalige Chemnitzer Kosmonaut-Festival der Band Kraftklub.
"Wir haben jetzt schon in 16 Städten gespielt, und wir haben uns jeden Tag auf Dresden gefreut", startet Gustav den Abend im Stromwerk. Die Menge kreischt und klatscht. Die Hände gehen wieder hoch, die Beine stoßen sich vom Boden ab. Fast jede und jeder bewegt sich wie ein Wassermolekül durch die Halle, elektrisiert von 01099. Einige Jugendliche stürmen raus – um Luft zu schnappen und ohne zu rauchen. Sie reden wild und quer, bestätigen sich selbst, wie sehr sie 01099 feiern. Doch plötzlich ertönt ein neuer Song. So schnell, wie sie draußen waren, sind sie auch wieder drinnen. Ganz anders als die 01099-Crew, die sich in der deutschen Musikszene mit ihrem fluffigen Sound etabliert hat.